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Abenteuer6 min Lesezeit

Grosse Helden auf kleinen Booten (Teil 2)

Tollkühne Segler, die auf ihren (fast) fliegenden Kisten gemeinsam einsam über den Atlantik segeln

Grosse Helden auf kleinen Booten (Teil 2)
© Classe Mini

Die SkipperInnen der Mini 6.50 und ihre legendäre Regatta Mini-Transat sind die wahren Sympathieträger des Regattasports.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 08.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Die (frühe) Geschichte und Entwicklung der Mini-Transat-Regatten
  • Warum die Franzosen in dieser Klasse so dominant sind
  • Wo die Mini-Regatten stattfinden
  • Welche Qualifikations-Regatten und -Kriterien für die Mini-Transat gelten

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Tollkühne Segler, fliegende Kisten

Doch was macht denn nun den Charme der Mini 6.50 aus? Stimmt – es sind die „tollkühnen Seglerinnen und Segler in ihren fliegenden Kisten“, die mit ihren Abenteuern an Bord für den Stoff sorgen, aus dem Träume gemacht und Legenden gebildet werden. Und dabei geht es seit jeher um das hehre Ziel eines jeden engagierten Mini-Seglers: Die Minitransat – die mythische Regatta der kleinen Boote über den großen Teich.

  • Bereits 1977 wurde die Mini-Transat von dem Briten Bob Salmon ins Leben gerufen. Damals gab es noch keine Klasse im eigentlichen Sinne, die Boote durften lediglich eine Maximallänge von 6.50 m nicht überschreiten. So kam es etwa, dass der Deutsche Wolfgang Quix auf einer Waarship 5.70 mitsegelte. Die erste Etappe, die damals schon zu den kanarischen Inseln führte, war für die 24 Einhandsegler noch eine reine Überbringer-Strecke – regattiert wurde, erst ab Teneriffa. Was sich jedoch schon bei der nächsten Ausgabe ändern sollte. Übrigens mussten die schnellsten Segler im Ziel auf den Organisator des Rennens noch warten – er segelte selbst mit. Ein Belgier verschwand spurlos während der Atlantiketappe.

  • Zwei Jahre später, die Mini-Transat wird seither immer in ungeraden Jahren gesegelt, siegte bereits der erste Prototyp, der speziell für diese Regatta konzipiert wurde. Der Amerikaner Norton Smith hatte u. a. die Möglichkeit, zwei Vorsegel gleichzeitig im Passatwind auszubaumen; sein Boot war das erste mit Wasserballast. Und das Erste mit namhaftem Sponsor: American Express!

  • Die Ausgabe 1981 war geprägt von dramatischen Wetterverhältnissen. Ein Mini-Segler verlor noch vor dem Start im englischen Kanal in einem Sturm sein Leben, zwei weitere versenkten später im Hurrikan „Irene“ ihre Minis, konnten aber gerettet werden. 14 Segler mussten La Coruna als Nothafen anlaufen. Zwei Tage nach dem Start auf den Kanarischen Inseln sank der Mini des Kanadiers Steven Callahan. Er trieb danach sagenhafte 76 Tage auf seiner Rettungsinsel quer über den Atlantik, bis er vor den Westindischen Inseln gerettet wird.

  • 1983 öffnet sich die Transat erstmals für Zwei-Personen-Teams, die ein Drittel der Flotte und prompt das zweitplatzierte Schiff stellen.

  • 1985 geht die Regatta in französische Hände über – Bob Salmon wollte lieber segeln als organisieren. Yves Parlier gewinnt auf einem selbst gebauten Proto aus Karbon – trotz 16 Stunden Strafe wegen Abkürzung in der Biskaya.

  • 1987 kommt sensationell die Französin Isabelle Autissier als Erste vor den Kanarischen Inseln an, findet aber die Ziellinie nicht und wird von einem Schweizer Zweihand-Team überholt. Ein weiterer Schweizer – der spätere Katamaran-Spezialist Laurent Bourgnon aus Genf – siegt auf der langen Etappe und wird Gesamtzweiter.

  • 1991 schlagen die Wettergötter wieder grausam zu: Die beiden Franzosen Marie Agnes Peron (nach der später eine Mini-Regatta benannt werden sollte) und Philippe Graber verschwinden spurlos in der Biskaya. Ein gewisser Michel Desjoyeaux gewinnt die zweite Etappe auf dem ersten Prototyp mit Schwenkkiel!

  • 1993 musste die erste Etappe neutralisiert werden, weil ein Sturm die Biskaya zum Hexenkessel machte.

  • 1995 siegt Yvan Bourgnon, Bruder von Laurent und setzt gewisse Schweizer Akzente in diesem Rennen.

  • 1999 sind unglaubliche 70 Boote am Start, Grund genug für die Organisatoren, Qualifikationskriterien einzuführen, die auch heute noch erfüllt werden müssen: Teilnahme an mehreren Mini-Regatten im Vorfeld und eine 1.000sm-Strecke einhand nonstop. Hürden, an denen bis heute jedes Jahr Dutzende Segler scheiterten, bevor ihr großer Traum "Mini-Transat" überhaupt in greifbare Nähe rückte.

  • 2001: Das Rennen ändert radikal seine Route. Von 2001 bis 2011 startet die Mini-Transat in Fort Boyard/Charente-Maritime und führt nach Salvador de Bahia, Brasilien, mit Zwischenstopps in Puerto Calero oder Funchal/Azoren. Da man nicht mehr bis zum Ende der Hurrikan-Saison warten muss, kann der Start schon früher, Anfang September, erfolgen. Das Rennen führt jedoch durch den berüchtigten Kalmengürtel rund um den Äquator. Es gibt nun zwei Wertungen: Prototypen und Serienboote.

  • 2007: 89 Segler starteten von La Rochelle aus nach Salvador de Bahia.

  • 2013: Der Kalmengürtel mit seinen nervtötenden Flautenpassagen veranlasst die Organisatoren der Mini-Transat, das Rennen auf die Route Finistere/Frankreich – Antillen mit einem Zwischenstopp auf Lanzarote oder anderen Kanarischen Inseln zu verlegen. Der für den 13. Oktober 2013 geplante Start in Douarnenez wird mehrmals verschoben, um den 84 angemeldeten Einhandseglern (31 auf Prototypen, 53 auf Serienbooten) die sehr harten Seebedingungen zu ersparen. Nach dem Start am 28.10. wurde bereits zwei Tage später das Rennen wegen miserabler Wetterbedingungen abgesagt. Die Segler wurden aufgefordert, in Nothäfen zu segeln und mussten sich später erneut für einen Start versammeln. Erst am 13. November hatte sich das Wetter ausreichend gebessert. Die Ministen wurden nun in einem Schlag, ohne Zwischenstopp in die Karibik geschickt – 3.600 Seemeilen nonstop sind eine sehr, sehr lange Strecke für SeglerInnen, die auf 6.50 m Bootslänge im Regattamodus unterwegs sind.

  • 2017: Bei der 21. Ausgabe treten 81 Teilnehmer (25 Prototypen und 56 Serienboote) auf der Strecke La Rochelle - Le Marin mit Zwischenstopp auf den Kanarischen Inseln gegeneinander an. Die erste Etappe startet am 1. Oktober, die zweite am 1. November in Las Palmas de Gran Canaria. Die Rennleitung schreibt einen Umweg über die Kapverdischen Inseln vor, um einem Tropensturm auszuweichen, der sich zu einem Hurrikan entwickeln könnte.

  • 2021: Sagenhafte 90 Skipper sind auf 25 Prototypen und 65 Serienbooten nach Guadeloupe unterwegs. Nach einer Verschiebung um 25 Stunden wird die erste, 1.350 sm lange Etappe am 27. September gestartet. Die Ankunft der ersten Etappe wird durch den Ausbruch des Cumbre Vieja auf der Kanaren-Insel La Palma gestört. Mehrere Skipper wurden während dieser Etappe Opfer von Orca-Angriffen. Nach einer Beschwerde von 19 Teilnehmern entschied die Jury, dass die Empfehlungen der Regattaleitung, während eines Tiefs vor dem spanischen Kap Finisterre im nächstgelegenen Hafen Schutz zu suchen, vage und ungenau waren. 80 Skipper erhalten eine 24-stündige Zeitgutschrift.

Französische Dominanz wird angekratzt

Die Mini-Transat wurde über die Jahre hinweg zu einer der wichtigsten, aber auch verlässlichsten Offshore-Regatten überhaupt. Sie bot (späteren) Segelgrößen wie Parlier, Bestaveen, Desjoyeaux, Le Cam, Bourgnon, aber auch Isabelle Autissier und last not least Ellen MacArthur eine Spielwiese, auf der sie sich als „Youngster“ austoben und Erfahrung sammeln konnten. Später erhielten und nutzten (heute allgemein bekannte) SeglerInnen wie Isabelle Joschke, Ian Lipinski, Jörg Riechers, Boris Herrmann, Samantha Davies, Thomas Ruyant und viele mehr ihre Chance bei den "Ministen".
Über Jahrzehnte dominierten die Franzosen "ihre" Mini-Transat, doch andere Nationen beginnen an diesem Image penetrant zu kratzen. Dabei legten die Schweizer Ministen die Messlatte hoch: Nach den Erfolgen der Bourgnon-Brüder, nach einem Mini-Intermezzo des IMOCA- und Vendée Globe-Stars Bernhard Stamm mischten zwei eidgenössische Segler die Klasse auf, bevor sie in die weiterführende Figaro 3, Class 40 und IMOCA ein- und umstiegen: Justine Mettraux und Simon Koster. Justine Mettraux wurde in der Serienwertung 2013 Gesamtzweite, Simon Koster wurde Dritter. Ein Ergebnis, das der Deutsch-Schweizer 2017 in der Mini-Transat-Prototypenwertung wiederholte.

Bleiben wir noch ein wenig bei den "Nicht-Franzosen". Der Deutsche Jörg Riechers schaffte im gleichen Jahr einen sensationellen zweiten Rang bei den Prototypen; 2019 wurde Morten Bogacki auf Riechers Boot in der Proto-Wertung Dritter. Und 2021 schoss der erst 19-jährige Deutsche Melwin Fink "den Vogel ab", als er im oben erwähnten Tief während der ersten Etappe nicht den Empfehlungen der Regattaleitung folgte und trotz kerniger Windstärken gen Kanaren weitersegelte. Fink ersegelte einen zwar umstrittenen, aber letztendlich anerkannten Rang 1 in der ersten Etappe und wurde Dritter overall. Einen Podiumsplatz bei der Mini-Transat-Serienwertung hatte vor Melwin Fink noch kein anderer Deutscher geschafft!

Minis am Fastnet-Felsen

Doch nicht alles in der Mini 6.50-Szene ist auf die Mini-Transat ausgerichtet. Immer mehr Regatten, mit teils über 100 Teilnehmern, finden vor allem vor den französischen, britischen, aber auch italienischen Küsten statt – die Italiener sind übrigens drauf und dran, sich als die zweitstärkste Nation unter allen Mini-Seglern zu etablieren.

Besonders bekannt ist allerdings die Mini-Fastnet: Start ist vor einem französischen Atlantik-Hafen, es muss der verkehrsreiche Ärmelkanal überquert werden und ganz wie bei der großen "Regatta-Schwester" wird ebenfalls der Fastnet-Rock gerundet, bevor es erneut über den Kanal wieder zurück zum Start- und Zielort in Frankreich geht.

Ganz egal, wie man zur Classe Mini stehen mag – ob als überzeugter Fan der kleinen Flitzer oder kopfschüttelnd als Zweifler mit der Frage "wie man auf solch kleinen Booten überhaupt über den Atlantik segeln kann" – die Klasse, ihre Boote und vor allem die segelnden Protagonisten sind nach wie vor ganz vorne in der Beliebtheitsskala unter Segeln.
Oder anders formuliert: Cooler als Mini 6.50 geht’s gar nimmermehr!

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