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Ohne Altersbeschwerden

Socrates ist die älteste Person, die einhand, nonstop um die Welt und die vier großen Kaps segelte.

Ohne Altersbeschwerden
Jeanne Socrates, die älteste Rekordseglerin der Welt © Jeanne Socrates (S/V Nereida)

Sie ist die älteste Frau (Jg. 1947), die jemals eine Solo-Nonstop-Weltumseglung geschafft hat. Sie ist die älteste Person, die jemals um alle fünf Kaps einhand und ohne Unterbrechung gesegelt ist. Und sie ist die erste Frau überhaupt, die für diesen Trip die nordwestliche Pazifikküste als Ausgangsort gewählt hat.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 07.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau.
  • Die Abenteuer der betagten, aber mehr als „rüstigen“ Seglerin Jeanne Socrates (Jahrgang 1942), die zwei Altersrekorde aufstellte.
  • Was Jeanne Socrates während ihrer Rekordfahrt alles passierte.
  • Warum sie sich selbst als „Glückskind“ bezeichnet.

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Oh, doch, Frau kann sich durchaus beschaulichere Möglichkeiten vorstellen, den Ruhestand zu genießen. Aber eben nur vorstellen – die Realität sieht bei der top fitten „Rentnerin“ Jeanne Socrates derzeit etwas anders aus. „Es ist wie eine Sucht, ich muss einfach segeln. Alles andere ist verschwendete Zeit! Also suchte ich mir die Möglichkeit aus, am längsten, alleine auf dem Boot unterwegs zu sein – und das ist eben die Nonstop-Weltumseglung!“ Diese Sätze sagte sie als 70-Jährige, kurz vor dem Start zu ihrer (vorerst) letzten großen Reise, die wohl die Krönung ihrer Seglerkarriere bleiben wird.

Aller guten Dinge sind drei

Dass sie dies in einem etwas forschen Ton sagte, liegt daran, dass sie bereits zwei Versuche hinter sich hatte – und jedes Mal ihre Reise … nein, nicht abbrechen, sondern unterbrechen musste. Sie kenterte, verlor ihren Mast, hatte Probleme mit der Wasserversorgung, setzte ihr Schiff 60 Meilen vor dem Ziel auf einen Sandstrand. „All’ diese Dinge, mit denen Frau sich als Weltumseglerin eben so rumschlagen muss, dear!“, erzählte sie locker Ihrer Majestät Queen Elizabeth, die sie nach ihrem vorletzten Rekordversuch zum Tee im Buckingham Palace empfing. „Doch nach jeder Unterbrechung segelte ich weiter und schloss immer den Kreis!“.

Heimat? Das Meer!

Jeanne Socrates ist in England eine der ganz großen Langfahrt-Ikonen – allerdings erst seit wenigen Jahren. Zuvor achtete kaum jemand auf ihre immer weiter führenden Reisen rund um den Globus. Erst als 50-Jährige begann sie gemeinsam mit ihrem Mann die Welt auf dem Wasser zu bereisen – bis der seinen jahrelang andauernden Kampf gegen den Krebs bei einem Karibik-Abstecher verlor. „Ich hatte noch das Schiff, Geld, und das bisschen, was ich nicht sowieso schon übers Segeln wusste, brachten mir Freunde bei!“ erinnert sich Jeanne Socrates heute. Also segelte sie weiter, auch in Gedenken an ihren Mann, ohne sich um Publicity oder sonstige Aufmerksamkeiten zu scheren.
Bis sie vor zwei Jahren die „Duchess of Kent-Trophy“ von Segelikone Sir Robin Knox-Johnston persönlich überreicht bekam: Als älteste Frau, die jemals einhand auf einem Segelboot mit Unterbrechungen die Welt umrundete. „Bei diesem einen Rekord wird es jedenfalls nicht bleiben!“, soll Jeanne zu ihrem Kollegen Robin gesagt haben. Und meinte damit nichts Geringeres als die Weltumseglung nonstop und einhand.

Immer links liegen lassen

Zwei Versuche wagte sie, die Welt nonstop einhand zu umrunden. Zweimal scheiterte sie. „Beim dritten Mal wird’s klappen!“ In British-Columbia rüstete sie im Winter 2017/2018 an der Pazifikküste ihr Boot für die Weltumseglung auf – „obwohl: auf einer Najad stimmt eigentlich immer alles, da muss nur selten mal etwas ausgetauscht oder repariert werden!“ Reiseroute: Kap Hoorn, Kap d. g. Hoffnung, Kap Leuwin links liegen lassen und durch den Pazifik wieder hoch in den Norden. „Da unten kenne ich mich aus, hab’ schon zig Törns dort gesegelt, bloß eben nie aneinander hängend und alleine!“.

Rettungsinsel verloren

Am 3. Oktober segelte sie schließlich los, um ihren Traum während des Sommers in der südlichen Hemisphäre zu verwirklichen. Kurz nach dem Start schien ihre Reise schon wieder zu Ende: „In einem eher mäßigen Seegang löste sich meine Rettungsinsel vom Heck, stürzte ins Wasser und entfaltete sich – so wie’s ja eigentlich auch sein sollte. Nur diesmal gab es einfach keinen Grund dafür!“ erzählte sie via Satelliten-Telefon. Unmöglich, das Teil wieder zusammenzufalten oder sonst wie an Bord zu verstauen. Und ohne wollte Frau sich nun mal nicht auf die wildesten Meere dieses Planeten wagen.
Also erkundigte sie sich en détail nach den Regeln für ihre Rekordfahrt und siehe da: „Eine Rettungsinsel darf von einem fahrenden Boot aus übergeben werden, nur dürfe niemand an Bord kommen bzw. sonstiges Werkzeug übergeben!“ Na bitte – zwei Tage später fuhr ein Boot längsseits, übergab den Rettungskasten … und Jeanne segelte regelkonform weiter auf ihrem Rekordtörn.

Kap Hoorn umrundete sie bei „erstaunlich glatter See, mit wenig Wind!“ an Heiligabend; auf ihrem weiteren Weg durch den südlichen Atlantik hielt sie sich so nördlich wie möglich, wegen gemeldeter Eisberge, berichtete sie auf ihrem Blog.

Unterhaltsam

Überhaupt: ihr Blog. Auf ihm zeigte Jeanne Socrates, dass sie in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche "ältere Dame" ist. Obwohl sie ja nun nicht gerade zur IT-Generation zählte, nutzt sie ihren Blog täglich für lange bis sehr lange Lageberichte. Minutiös berichtete sie ihrer von Tag zu Tag anwachsenden Fangemeinde, wie sie das Kap der Guten Hoffnung links liegen lässt, wie sie in den Mast klettern musste – sie hatte nach alter Weltumsegler-Sitte Steigbügel daran ansetzen lassen – um „kleinere Probleme“ zu lösen oder „mittelgroße Katastrophen“ aus dem Weg zu räumen.

Natürlich ist es immer eine Frage der Sichtweise, aber schon während ihrer Weltumseglung berichtete Jeanne Socrates auf ihrem Blog, dass „ihre Reise eine ruhige“ sei.
Understatement? Denn einfach war es sicherlich nicht, schon gar nicht für eine (damals) siebzigjährige, mag sie noch so fit sein; aber „ich kam eben ohne größere Katastrophen aus“, berichtete sie. Einmal hätte sich beinahe der Unterwant verabschiedet, mitten im Southern Ocean. Den habe sie eben repariert, erzählt sie später lapidar. Für die Reparatur der Windinstrumente musste sie in den Mast, doch „diese Tortur bis dort hoch war umsonst“, berichtet sie, der Fehler lag irgendwo anders im System. Radar und Windgenerator wurden von schwerer See im Südmeer weggefegt, als sie in einem Sturm beigedreht lag. Und als dann im gleichen Sturm noch die Selbststeuerung beschädigt wurde, schickten Neptun und Poseidon in Personalunion der älteren Dame auf dem Meer eine anschließende Flaute, so dass sie in aller Ruhe tauchen konnte, um das defekte Ruder des Windpiloten zu reparieren.

Sie segelt und segelt und segelt

Bei der Ansteuerung von Kap Leuwin/ Australien musste sie durch wirklich harte See, schlug sich durch dichten Nebel. Mehrmals riss ihr die Genua am Vorliek, doch sie hing verständlicherweise an dem Segel, reparierte und richtete es immer wieder.
In der tasmanischen See feierte sie ihre "sechs Monate auf See, ohne einer Menschenseele begegnet zu sein". Später musste die „Sailing Grandma“, wie sie mittlerweile alle Welt nennt, ihre Solar-Panels wieder instand setzen und reparierte sogar ihren Generator.
Alles in Ruhe, alles entspannt.

An Tag 104 segelte sie offiziell von der westlichen in die östliche Hemisphäre, als sie den Greenwich Meridian überquert. Am Tag 131 hatte sie die halbe (berechnete) Strecke geschafft. Jeanne Socrates segelt und segelt und segelt.
Überhaupt, die Zeit. Da sie keinen Geschwindigkeits-, sondern einen Altersrekord anpeilt, fährt sie nicht immer den „logischen Weg“ (wie Bernard Moitessier das formuliert hätte), sondern macht durchaus auch „Schlenker“, um näher an Inseln oder am Festland vorbeizukommen. Der Grund dafür fliegt fast immer um sie herum – Jeanne Socrates liebt Vögel über alles. Sie fotografiert jeden fliegenden „Gast“, der sich auf seiner Reise auf ihrer Najad 380 ausruht, sie spricht mit den Albatrossen, die an ihr vorbeisegeln, sie kennt jede Vogelart, die sich in ihrer Nähe blicken lässt. „Es sind meine Glücksbringer“, schrieb sie, „auch wenn sich das auf hoher See absurd anhören mag!“

Unter einem guten Stern

Wie auch immer: Glück hat sie reichlich gehabt, und glücklich, sogar überglücklich kehrte die Britin in ihre Wahlheimat British Columbia zurück. Die letzten Tage seien außergewöhnlich anstrengend gewesen, sprach sie leise in die Mikrofone der lokalen TV-Sender, die am Steg auf sie warteten. Zu viel Flaute und eine alte See. Deshalb habe sie sich auch um ein paar Tage verspätet.
Aber was macht nach fast einem Jahr auf See schon der eine oder andere Tag aus?

Heute segelt Jeanne Socrates weiterhin gerne, nimmt aber kaum noch lange Strecken "in Angriff". Wenn man einmal das Unmögliche geschafft habe, orakelte sie kürzlich in die Mikrofone eines TV-Senders, "dann soll man das Schicksal nicht allzu sehr herausfordern, um Ähnliches nochmals zu versuchen!"
Doch, ein Mal habe sie noch an eine weitere Weltumseglung gedacht, erzählt sie weiter. Das war, als
am 22. Februar 2020 vorübergehend ihren Rekord wieder verlor. Der 81-jährige Bill Hatfield hatte seine Solo-Nonstop-Weltumsegelung vollendet. Aber da Hatfield nicht südlich von Neuseeland oder Tasmanien vorbeikam, bleibt Sokrates der älteste Mensch, der die Welt "einhand, ohne Hilfe und nonstop über die großen Kaps" umsegelte.
Wünschen wir ihr, dass sie diesen Rekord noch lange halten und genießen kann!

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