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Boote im Porträt5 min Lesezeit

Zugvogel - Die Fernwehjolle

Eine Jolle, die alles kann: Regatten gewinnen, segelnd „wandern“ und am Steg eine gute Figur machen

Zugvogel - Die Fernwehjolle
Zugvogel Morgenstern © Schwertzugvogel Klassenvereinigung

Achtung, es folgt die Ode auf eine Bootsklasse, die es in sich hat. Die das Reisen sozusagen in der Bezeichnung trägt und das Beschwingte im Logo zeigt. Eigentlich ist an dem Boot so ziemlich alles genial: Der Name, das Segelzeichen, der Riss, die Segeleigenschaften, das Bodenständige und Gutmütige, die Klasse, der gewisse Charme und natürlich der Ruhm, in dem man sich sonnen kann.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 17.11.2016, aktualisiert am 16.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Die Geschichte von zwei Jugendfreunden, die auf dem Zugvogel erstmals ihr Fernweh stillten.
  • Warum der Zugvogel eine echte Wander- und Regattajolle ist.
  • Das Segelzeichen drückte einst Fernweh aus – heute ist es längst legendär
  • Welche Regattagrößen auf dem Zugvogel ihre Karriere begonnen haben.

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Der Klassiker unter den Segeljollen: Zugvogel Jollen in unserer Bootsbörse

Die Rede ist vom Zugvogel – einem ursprünglich als Wanderjolle, auch zum Selbstbau konzipierten Boot aus Sperrholz, das es im Laufe von mehr als fünf Jahrzehnten vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu einer höchst ansehnlichen Klasse gebracht hat. Die nicht zuletzt auch bei Regatten quantitativ und qualitativ besticht.

Mit Bier und Gitane Mais

Es war irgendwann in den frühen Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Genauere Jahresangaben würden unnötigerweise den Autor kompromittieren – nur so weit: Er war noch ziemlich jung, fühlte sich aber bereits reichlich erwachsen. Und das Boot, das er erstmals von seinem Vater für einen längeren Törn mit seinem besten Kumpel ausgeliehen bekam, war nur unwesentlich jünger.

Der Alte setzte uns Jungs samt Boot auf der Insel Reichenau auf dem Bodensee ab, half noch beim Aufriggen, versorgte uns mit (völlig unnötigen) Ermahnungen in Sachen Gewitter, Angeln (ohne Schein), ließ noch ein paar Floskeln zum Thema „Gefahren durch Nikotin und Alkohol“ los und fuhr dann von dannen. Mit gemischten Gefühlen, wie er uns später gestand.

Kaum war er verschwunden, legten wir auch schon ab: Aus dem Dorfladen hatten wir uns zehn Flaschen Bier besorgt, die wir zum Kühlen unter die Bodenbretter, schön nah am Wasser verstauten. Die Franzosen-Fluppen mit Maispapier hingen uns sowieso schon im Mundwinkel und wir starteten ins größte Abenteuer unseres jungen Lebens. Drei Wochen segelten wir kreuz und quer übers Schwäbische Meer, drei Wochen fühlten wir eine Freiheit, wie wir sie nie für möglich gehalten hätten.

Auf unserem Schwertzugvogel aus Holz – noch eine der ersten Baunummern, ohne Travellerschiene, dafür aber mit Zeltpersenning – machten wir den Bodensee unsicher. Was nicht wörtlich zu nehmen ist, denn dieser Unsicherheitsfaktor kam nie und nimmer bei einem von uns beiden auf.

Bei jeder Wetterlage segelbar

Das lag natürlich am Boot: Wenn ich heute daran zurückdenke, wie wir damals auf dem gutmütigen Knickspanter, mit der dann doch ziemlich großen Genua bei wirklich jeder (!) Wetterlage unterwegs waren. Wie wir völlig losgelöst vom Hier und Jetzt in manchmal brachialen Böen das 5,80 m lange Holzboot zum Gleiten brachten, als wir sonnenschossen und halsten wie die Deppen oder am Wind sozusagen auf der Backe – Knickspanter brauchen Lage! – die Höhe maximal ausreizten… es war ein Traum, der uns nicht ein einziges Mal durch Zicken des Bootes vergällt wurde.

Okay, wir hatten keinen Spinnaker, weil die Klasse bis heute keinen will. Und in das supercoole Trapez konnten wir auch nicht steigen, weil die Klassenvorschriften das ebenfalls verboten. Aber wir waren auf „unserem“ Boot unterwegs, hingen stolz außenbords und unsere gelben Öljacken wurden vom Bodenseewasser getränkt.

Wir konnten unter freiem Himmel schlafen, hörten manchmal den Regen auf die Zeltpersenning tropfen, wurden leise von den Wellen vor Anker und dem Sundowner-Bier in den Schlaf gewiegt und ein paar Nächte segelten wir sogar durch. Weil der Mond so helle schien und die schnuckeligen Mädels vom Strandbad „auch mal rauswollten“.

Drumbo
Drumbo © Schwertzugvogel Klassenvereinigung

Charme der Sechziger

Wenn ich heute daran zurückdenke, war dies alles nur möglich, weil wir auf einer Wanderjolle par excellence segelten. 1960 von Ernst Lehfeld im Auftrag der Zeitschrift „Yacht“ konstruiert, sollte sie eine Art Volksjolle für den kleinen Geldbeutel sein, aber dennoch den neuesten Stand der Technik repräsentieren.

Damit jüngere Leute (wie man damals so sagte) ihren „Spaß haben“ und ältere Herr- und Frauschaften mehr oder weniger kentersicher „auf Törn“ gehen konnten. Eigenschaften, die vom Zugvogel bis heute bravourös erfüllt werden.

Überhaupt, der Name! „Zugvogel“ war damals der Inbegriff für Fernweh, barg im gewissen Sinne schon einen Hauch Wehmut und den Duft der weiten Welt. Es gibt kaum eine andere Jollenklasse, bei der „nomen“ so sehr „omen“ war bzw. ist. Und die breiten Vogelschwingen im Klassenzeichen – cooler ging es gar nimmermehr.

Obwohl ausschließlich als Wanderjolle konzipiert, avancierte der Zugvogel schon in den Sechzigern zu einer höchst aktiven Regattaklasse. Zwei Personen segeln den Knickspanter – es gibt Versionen aus Holz und aus Kunststoff – ohne Spinnaker, aber (wie beim Nordischen Folkeboot) mit ausgebaumter Genua vor dem Wind.

Schwert- und Kielversion

Am Wind wird klassisch hängend ausgeritten, seit Mitte der Siebzigerjahre ist eine Travellerschiene nach den Klassenstatuten erlaubt und 1978 wurde das Rigg mittels Einführung von Unterwanten geändert und die Ansatzpunkte der Oberwanten weiter nach innen verlegt. Das verlieh dem Zugvogel im gewissen Sinne Flügel – immerhin wird bei Yardstickrennen seitdem zwischen alter und neuer Riggversion unterschieden.

Apropos Unterschiede. Den Zugvogel gibt es bekanntlich auch in einer Kielversion. Auf demselben Rumpf wird statt eines Schwertes ein Kiel angehängt, ein deutlich höherer Mast und sage und schreibe zwei Quadratmeter mehr Segelfläche gefahren. So ist sicheres und durchaus sportliches Küstenwandersegeln möglich und älteren Personen wird eine noch gutmütigere Variante für die „alten Tage“ geboten. Dass beide Boote bald in der Regatta- und Wander-Szene legendär waren, muss an dieser Stelle nicht gesondert erwähnt werden.

Mehr als 4.500 Zugvögel wurden in beiden Varianten – Schwert und Kiel – bis heute gebaut. International bekannte Regattagrößen wie Gerd Eiermann, Thomas Schiffer, Peter Linnekuhl, Heiko Krick, Thorsten Wagner, Werner Fritz und Thomas Jungbluth haben auf dem Boot ihre Duftmarke hinterlassen. Nicht nur, weil sie erfolgreich damit segelten, sondern weil sie trotz großer Triumphe in anderen Klassen immer wieder gerne zu der „Volksjolle“ zurückkehrten.

Jollenwandern
Jollenwandern © Schwertzugvogel Klassenvereinigung

Doch selbst wenn es ein wenig vermessen klingen mag angesichts einer Regattagemeinde, die allerorten mit dem Prädikat „höchst sympathisch“ geehrt wird – der Zugvogel ist und bleibt im Tiefschnee der meisten Seglerherzen eine Wanderjolle. Mit der auch heute noch Abenteuer im Sinne von „zurück zu den Wurzeln“ erlebt werden können. Selbst dann, wenn keine Maispapier-Fluppe im Mundwinkel des Steuermanns hängt.

Das könnte sie interessieren? Bei Boot24 finden Sie eine äußerst interessante Auswahl von Zugvögeln, die sich genau zu dieser Art Freizeitbeschäftigung – wir meinen segeln, nicht Fluppe rauchen – eignen würden. Sie haben die Qual der Wahl!

Segelzeichen
Segelzeichen © Schwertzugvogel Klassenvereinigung

Schwertzugvogel

Länge ü.a.: 5,80 m
Breite ü.a.: 1,88 m
Segelfläche am (und vor) Wind: 18qm

Kielzugvogel

Segelfläche am Wind: 20qm

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