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Erst mal nutzen, erst mal gucken

Warum es sich empfiehlt, das Boot zunächst einmal kennenzulernen

Erst mal nutzen, erst mal gucken
Erst einmal Überblick gewinnen: Gucken Sie das neue alte Boot an und probieren es in Ruhe aus © pixabay.com/Pexels

Wenn man sich für ein Gebrauchtboot entscheidet oder bereits übernommen hat, gibt es den ersten, mächtigen Impuls, so viel wie möglich zu erneuern. Das Boot soll schöner, behaglicher und die Technik auf den neuesten Stand gebracht werden. Manches Detail, das vor Jahren oder Jahrzehnten gebaut wurde, gibt es heute kleiner, leichter, energiesparender und auch in moderner, formschöner und insgesamt praktischerer Ausführung.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 09.09.2014

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • wie Sie übliche Fehler bei der Übernahme eines Bootes vermeiden
  • welche Einzelheiten Sie sich in Ruhe anschauen sollten
  • wie clevere Eigner ihre Bootsjobs priorisieren
  • warum Sie sich nicht „verbasteln“ sollten

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Moderne LED Positionslampen oder Kühlaggregate kommen heute mit einem Bruchteil der Amperestunden veralteter Technik aus. Hinzu kommen heutige Vorstellungen von zeitgemäßer Bord- und Navigationselektronik.

Beim Segelboot sind die Winschen vielleicht noch original ohne die längst übliche selbst holende Funktion. Man braucht beide Hände zum Dichtholen. Bei verchromten Modellen ist die Bronze angelaufen, die Verchromung zeigt Pusteln oder ist abgeblättert. Es gibt handlichere, leichtere und stärkere Modelle. Kurz: man kann endlos ändern.

Doch Vorsicht. Einer der Gründe, warum man sich für ein Gebrauchtboot entschieden hat, sind vermutlich die Kosten. Wer unüberlegt und zu schnell erneuert, umbaut oder verschönert, gibt rasch viel Geld aus. Ganz zu schweigen von der Arbeit. Auch haben sich der Konstrukteur und die Werft damals etwas dabei gedacht. Meist waren das erfahrene Leute.

Also: das neue alte Boot erst mal anschauen, in Ruhe ausprobieren und ein oder zwei Sommer nutzen. So findet man heraus, was gelungen ist, was verbesserungswürdig erscheint und was (vorerst) so bleiben kann.

Dabei sollte genau zwischen kann und muss Themen unterschieden werden. Sicherheitsrelevante Ausrüstung wie beispielsweise die Bilgenpumpe (1 x manuell, 1 x elektrisch), die Bordelektrik oder die Positionslaternen einschließlich deren Verkabelung, bei Segelbooten die Kielbolzen, Ruder, Pinne oder Ruderanlage (Übertragung vom Rad zum Quadranten) und das Rigg, bestehend aus dem sogenannten stehenden und dem laufenden Gut (Schoten, Fallen, Reff- und Trimmleinen) werden zuerst angeschaut.

Wann wurden beispielsweise Wanten und Stagen zuletzt gewechselt? Überhaupt nicht? Dann wird es bei einem betagten Boot Zeit. Auch hier gilt: Nichts überstürzen, sondern die Drähte im Herbst beim Einwintern des Bootes mit nach Hause nehmen und dann, wenn zur Klärung von Fragen Zeit ist und die Takler Ruhe haben, neu machen lassen. Wie sehen Wantenspanner, Bolzen, Splinte und unverzichtbaren Gelenkstücke (Toggles) aus?

Bei Motorbooten wie Segelyachten lohnt ein gründlicher Blick in den Motorraum. Wie sieht die Maschine aus? Gibt es Spuren von austretendem Kühlwasser? Zustand des Keilriemens? Wie alt und in welchem Zustand ist der Impeller der Kühlwasserpumpe?

Wann wurden das Motoröl und der Ölfilter zuletzt gewechselt? Wie sieht das Getriebeöl aus und wie alt ist es? Ist der Verkabelung der Maschine in Ordnung? Gibt es Scheuerstellen? Sitzen Stecker und Kabelbinder sicher?

Wo gibt es Opferanoden an der Maschine, am Rumpf, oder der Wellenanlage? Wie viel Material ist noch da? Wo sitzt die Sicherung der Motorelektrik. Ist bei der Umsteckvariante noch Reserve oder sind alle freien Sicherungen bereits ab gebrutzelt? Um solche Sachen sollten Sie sich bald kümmern.

Mit der Verschönerung des Interieurs sollte erst begonnen werden, wenn klar ist, ob das Schiff überhaupt dicht ist. Leider sind die wenigsten Boote bei Wind im Seegang mit entsprechender Beanspruchung und Schräglage dicht. In der Regel tropft es durch Fensterrahmen, Luken, Kabeldurchführungen oder die Püttinge.

Je nach Bauweise lassen sich Fensterrahmen mit behutsam nachgezogenen Schrauben abdichten oder zur Reinigung und Montage mit neuen Gummiprofilen, zur Not auch etwas Sikaflex abdichten. Leckende Püttinge müssen in der Regel komplett ausgebaut, entrostet und mit neuen Packungen (Dichtungen) fachmännisch montiert werden. Da hängt das Rigg dran.

Mit diesen grundsätzlichen Themen beschäftigt sich der clevere Eigner zunächst. Denn erst, wenn das Boot unter Deck trocken ist, lohnen neue Polster samt Innenleben (Schaumstoff). Auch diese Dinge lassen sich teuer bei wassernahen Adressen (dem Bootsausrüster) kaufen. Vieles gibt es in ausreichender Qualität auch beim Schaumstoffzuschnitt oder im Campingzubehör. Vieles macht der Änderungsdienst oder Schneider daheim.

Wichtige Regel: Wenn die Überholung des Bootes preiswert gelingen soll, sollte man Prioritäten setzen und die Liste nach und nach in Ruhe abarbeiten.

Erfahrene Eigner nehmen sich nicht viel vor, sondern immer nur ein oder zwei Projekte pro Winter, die sie neben ihrem Alltag des Arbeits- und Familienlebens auch wirklich schaffen. Denn nur abgeschlossene Baustellen an Bord machen zufrieden.

Abschließend eine goldene, immer zu beherzigende Regel beim Betrieb eines gebrauchten Bootes: Wer mehr macht als die sogenannt „ereignisorientierte Instandhaltung“ wird zum Hobbyschrauber und kommt nicht mehr aufs Wasser. Sprich: Repariert wird, was kaputt ist oder absehbar den Geist aufgibt und nicht, was eventuell eines Tages mal kaputtgehen könnte.

Wenn es die veraltete Positionslaterne tut und diese zum Boot passt, wozu dann für den ohnehin seltenen Fall der Nutzung auf sündteure LED Laternen umrüsten?

Abgesehen von den üblichen und einzuhaltenden Routinearbeiten gemäß Wartungsplan (Anoden-, Öl- und Filterwechsel) lässt man beispielsweise einen funktionierenden Motor am besten in Ruhe. „Never touch a running system“ heißt das englische Sprichwort. Sollte tatsächlich einmal etwas kaputtgehen, wird es repariert. Aber reparieren Sie ihr Boot und sich nicht kaputt.

Und sollten Sie nach einigen Jahren eine größere Batterie (mehr Amperestunden) und ein darauf abgestimmtes Ladegerät mit fehlbedienungssicherer, schonender und intelligenter Ladecharakteristik brauchen, suchen Sie es in Ruhe aus. Und bauen Sie es gleich so ein, dass sie das Thema vergessen können.

Vielleicht ist eines Tages für den ambitionierten Segler auch die Zeit für schnellere, stärkere Zweigangwinschen in selbst holender Ausführung gekommen. Sind sie aus Edelstahl, wird ab und zu mal mit Politur drüber gewischt, fertig. So werten Sie ihr Boot Schritt für Schritt auf, vermeiden Fehler und die Kosten bleiben im Rahmen. Übrigens: Gebrauchtes Bootszubehör in ordentlichem Zustand lässt sich verkaufen. Das schont die Bordkasse.

Wer sein Gebrauchtboot vorrangig nutzt, auf die Prioritäten achtet und nur Sachen macht, die technisch nötig sind, verbastelt sich nicht. Er spart Zeit und ordentlich Lehrgeld.

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VG