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Segelyacht A - Die moderne Galeone

Wie Philippe Starck an Vorbilder des 16. Jahrhunderts anknüpft

Segelyacht A - Die moderne Galeone
Das Designerstück unterwegs zum Probeschlag in der Kieler Förde © KarleHorn & Waldi (CC BY 3.0)

Der 143 m Motorsegler «A» einer Kieler Werft irritiert die Bootswelt. Wissenswertes zu dieser Yacht und Hintergrund zum provokanten Design.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 30.06.2017, aktualisiert am 12.02.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • warum der Motorsegler von Andrei Igorewitsch Melnitschenko etwas anders aussieht
  • was die «Adler von Lübeck», die holländische «Batavia» oder die schwedische «Vasa» mit dem Schiff zu tun hat
  • wie das Design in Kenntnis seiner geschichtlichen Vorbilder einzuordnen ist
  • warum die Masten vorwärts geneigt sind
  • welche schiffbaulichen Herausforderungen in diesem Motorsegler stecken
  • Einzelheiten zur Takelage mit drei unverstagten 100 m Masten

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Alles an diesem Schiff ist schlicht und groß. Wie schon die 119 m Motoryacht des Russen Andrei Igorewitsch Melnitschenko, der sie 2008 nach dem Initial des Vornamens seiner Frau Aleksandra kurz und bündig «A» taufte (siehe: Die größten Motoryachten der Welt). Schlichter und prägnanter lässt sich eine Yacht nicht nennen. Der hochbordige Rumpf wirkt abweisend, wie ein unzugänglicher Monolith. Seitdem die Yachtwelt eine Idee von den Proportionen des 143 m langen und 25 m breiten Schiffes hat, sind Entsetzen und Ablehnung groß.

Echt jetzt? Das Schiff kurz vor Auslieferung in der traditionsreichen Kieler Werft
Echt jetzt? Das Schiff kurz vor Auslieferung in der traditionsreichen Kieler Werft © KarleHorn (CC BY-SA 4.0)

Mehr noch als Melnitschenkos Motoryacht des Pariser Designers Philippe Starck und des französischen Konstrukteurs Martin Francis, an dessen eigenwilligen U-Boot Look sich die Szene beinahe gewöhnt hat, polarisiert die neue «A».

Auch die nach vorn hin abgesenkte Bordwand, die entgegen der Fahrtrichtung geneigten Masten sind speziell. Ebenso der je nach Tageslicht mal weiße, mal graue Rumpf, dessen ovale Bullaugen erst bei gewissem Sonnenstand sichtbar werden. Nur zum Anlegen und Aussetzen der Beiboote öffnet sich der Rumpf mit seitlich ausfahrbaren Balkons und Klappen. Das sieht einfacher aus, als es ist, weil derart große Öffnungen den Rumpf schwächen. Entsprechend aufwendig ist es, sowas zu bauen. Und dicht sollten die Designerluken auch sein, damit da nicht ständig an Bord gefeudelt werden muss und das Schiff überhaupt von der Klassifikationsgesellschaft abgenommen wird.

Die radikale Trennung des Draußen vom hermetisch abgeschirmten Innen provoziert die entschiedene Ablehnung des Schiffes. Da hat einer ein Schiff für sich gebaut. Ganz offensichtlich nicht, um anderen zu gefallen. Es ist ihm anscheinend egal, was andere darüber denken.

Vorne niedrig und achtern hoch wie eine traditionelle Galeone
Vorne niedrig und achtern hoch wie eine traditionelle Galeone © KarleHorn (CC BY 3.0)

Schon im Dock, wo sonst U-Boote oder Fregatten entstehen, war das Schiff gewöhnungsbedürftig. Als das Gefährt zur ersten Probefahrten durch die Kieler Förde geschleppt wurde, erschien das Objekt mit Projektnamen «White Pearl» unwirklich wie eine Fata Morgana. Das wird wohl eine Weile so bleiben, wo immer sie auftaucht. Andererseits hat die Côte d’Azur schon abgefahrene Entwürfe und Krachmacher wie Luca Bassanis 36 m Männerspielzeug, den Treibsatz «Wallypower» gesehen - und überstanden.

Die 50 kn «Wallypower» wirkt auch wie von einem anderen Planeten
Die 50 kn «Wallypower» wirkt auch wie von einem anderen Planeten © Wally Yachts

Archetypische Form der traditionellen Galeone

Dabei ist die Form so alt wie die Galeonen des 16. und 17. Jahrhunderts, siehe den «Adler von Lübeck», die holländische «Batavia» oder die schwedische «Vasa». Diese Schiffe waren achtern hoch und vorn niedrig. Das Achterkastell war das ruhigste und sicherste, exklusiv der Schiffsführung vorbehaltene Areal. Solche Fracht- und Kriegsschiffe waren schwimmende Macht. «Size and importance are brothers» meinte Harold «Mike» Vanderbilt einmal. Das erklärt, warum die «A» mit gut 20 Metern achtern so enorm hoch ist. Wie bei jedem neuen Boot unserer Tage sollte auch dieses deutlich mehr Platz bieten. Wer eine schnittige 119 m Motoryacht hat, möchte sich vergrößern. Melnitschenkos neuer Schlitten hat acht Decks.

Fata Morgana, durchgeknalltes Rendering oder real?

Designer Philippe Stark segelt seit seiner Kindheit. Er hat die «Bénéteau First 35» und «41 S 5», den umstrittenen 24 m Maxi «Virtuelle» mit whirlpoolartig runder Plicht, die 65 m Motoryacht «Wedge Too», den Daysailer vom Typ Tofinou 12» und für Steven Jobs die 79 m Motoryacht «Venus» gestaltet. Starck provoziert mit aufmerksamkeitsstarkem Design. Man kann darüber streiten, ob «Virtuelle» ein praktisches und gelungenes Design ist. Sicher ist, dass sich die Exzentrik für Starck lohnte, weil Steve Jobs über «Virtuelle» auf den Designer aufmerksam wurde und ihn für seine Yacht engagierte.

Blick auf den Kiel mit den grünen Scheiben der Unterwasserlounge und den Wasserschaufeln der Verstellpropeller
Blick auf den Kiel mit den grünen Scheiben der Unterwasserlounge und den Wasserschaufeln der Verstellpropeller © Nobiskrug Werft

So hat Starck für Melnitschenko die Galeone zeitgemäß interpretiert. Er hat den Prunk und die Kanonenpforten weggelassen und das Heck wiederum stufig über mehrere Decks wie bei Motoryachten zum Spiegel hinab geführt. Mit der neuen «A» entstand ein Motorsegler, dessen birnenförmige, zum Deck hin eingeschnürte Spantform wie bei seinen Vorbildern nach oben hin gewichtsparend schmaler ausgeführt ist. Diese Form sparte früher bei der Schiffsvermessung Steuern. Schiffbaulich lässt es das Ganze ruhiger im Wasser liegen.

Starck hat seine Arbeitsweise einmal so erklärt, dass er sich eine Aufgabe ansieht und das Konzept dann auf seine Essenz reduziert. Das Herausschälen des Archetypischen ist eine große Herausforderung für einen Designer. Der Grat zwischen Gelingen und Scheitern ist schmal.

Bei dieser Arbeit gibt es ein Innen und ein Außen. Praktisch jeder, der «A» gesehen hat, findet sie entsetzlich. Es ist eine Geschmacksfrage, die sich jeder selbst beantwortet. Dennoch wäre ich hier vorsichtig: Dieses Design ist in seiner konsequenten Trennung des Innen, welches einzig der Eigner, seine Crew und die Werft kennen, und der äußeren Anmutung seiner Zeit und dem ihr assoziierten Geschmack möglicherweise weit voraus. Warten wir es also einfach mal ab.

Außerdem muss eine Yacht für Leute, die schon alles haben, in ganz anderer Hinsicht überzeugen. Wer einen richtig großen Pott bauen lässt, möchte keinesfalls das mehr oder minder gleiche Schiff, wie es der Nachbar in Antibes im Port Vauban oder in Monaco im Port Hercule schon hat. Andrei Igorewitsch Melnitschenko ist komplett selfmade und vermutlich keiner, der etwas nachmacht. Das wurde mit seiner Motoryacht schon deutlich. Er hat mit Starck jemand beschäftigt, der gestalterisch eigene Wege geht.

Takelage mit Designerbaum. Bei schönem Wetter wird der Balkon ausgeklappt
Takelage mit Designerbaum. Bei schönem Wetter wird der Balkon ausgeklappt © Wolfgang Fricke (CC BY 3.0)

Mit der etwas längeren Segelyacht oder einem Motoryacht, dessen Decks in Schichtkuchenmanier gestapelt und vorn schräg, hinten etwas steiler abgesägt sind, wird man an der Cote nicht mehr zur Kenntnis genommen. Da muss schon ein Designer ran, der stärkeres Zeug raucht. Zugleich möchte der Eigner vor neugierigen Blicken hinter einer angehobenen Schanz zurückgezogen an Bord leben. Voilà, der Motorsegler «A».

Er wird nur deshalb Sailing yacht genannt, weil die Bezeichnung Sail-assisted motor yacht «A» zu lang ist und uncool kommt. Den Wulstbug unter dem Steven kennt man von Container- und Kreuzfahrtschiffen oder großen Motoryachten. Er macht nur Sinn, wenn eine bestimmte Reisegeschwindigkeit konstant gefahren wird. Das Yacht ist auf 16 Knoten Reisetempo ausgelegt. «A» ist also eine große Motoryacht mit Hilfsbesegelung. Das unterstreicht die erschütternd niedrige Segeltragezahl von ganzen 2,5. Die Segeltragezahl verrechnet die Besegelung mit der Verdrängung. Ab 4 aufwärts wird von einer gemütlichen Segelyacht gesprochen.

Yacht oder Designervase? «A» vor Anker vor Nizza
Yacht oder Designervase? «A» vor Anker vor Nizza © Thomas Mayer 1968 (CC BY-SA 4.0)

Das Projekt begann bereits 2008, als Melnitschenko seine Motoryacht «A» übernahm. Damals setzte sich der Pariser Architekt Jacques Garcia bei einer Ausschreibung gegen sieben Kollegen durch. Das Projekt wurde dann an Starck übergeben. Warum, konnte ich bei der Recherche dieses Artikels leider nicht in Erfahrung bringen.

Technisch anspruchsvoll sind die drei freistehenden, 70 Grad drehbaren Masten. Jeder Segler kennt das Prinzip vom Laser, der Ok-Jolle oder dem Finn-Dinghi. Der Unterschied ist, dass die Masten von «A» etwas größer sind. Sie ragen bis zu 100 Meter über das Meer. Sie müssen mit erheblichen Kräften an den Deckslagern oben und unten im Schiff fertig werden. Der große Abstand der Lager macht die Sache etwas einfacher. Es sind die längsten und möglicherweise, soweit das Boot ernsthaft gesegelt wird, auch meist beanspruchten freistehenden Takelagen, die bislang gebaut wurden. Es heißt, die Masten würden einem 90 Knoten Sturm mit gesetztem Tuch standhalten. Dabei wurde angenommen, dass das Tuch hält.

Die seltsame Vorwärtsneigung der Masten kennt man von Starboot oder dem Dreimann-Kielboot Drachen. Da kippen ehrgeizige Regattasegler ihre Riggs vorwärts, damit es besser läuft. Bei «A» stehen die Masten permanent so, weil das von Starck vorgegebene Gefälle der Bordwandoberkante es verlangt. Dank der Neigung der Masten ließ sich der nötige 90 Grad Winkel zwischen Masten und Rollbäumen einhalten. Rollbäume brauchen zum Aus- und Einwickeln des Segels ziemlich genau diesen konstanten Winkel.

Rendering des Panoramas verglasten Kiels
Rendering des Panoramas verglasten Kiels © Pascal Deis / Stark Network

In der Kielflosse ist ein Panorama verglaster Unterwasser Ausguck untergebracht. Um zu prüfen, ob die 18 qm Glasscheiben halten, wurden den Bullaugen in einer 120 m tiefen Stelle im Bodensee getestet. Seitdem ist bekannt, dass die Scheiben den zehnfachen Druck aushalten. Solch ein Refugium in 5 bis 7 Metern Tiefe mit Blick auf die Propeller hat es im Yachtbau noch nicht gegeben. Die Scheiben müssen natürlich ab und zu mal geputzt werden. Diese Aufgabe wird bestimmt von einem der 54 Crewmitglieder übernommen.

Auch das Beiboot geriet typisch Starck etwas anders
Auch das Beiboot geriet typisch Starck etwas anders © Wolfgang Fricke (CC BY 3.0)

Sie ist vorerst und bleibt vermutlich für eine Weile die größte Segelyacht der Welt. Melnitschenkos 119 m Motoryacht ist gerade zu kaufen. Und wenn Sie sich ein paar Jahre gedulden, wird wohl auch der Dreimaster «A» zu haben sein. Eigner dieser Kragenweite langweilen sich früher oder später mit ihrem Boot. Sie bauen alle paar Jahre neu.

Motorsegler «A»

  • Bauzeit: 2012–2017
  • Übergabe: Frühjahr 2017
  • Konstruktion und Bau: Nobiskrug Werft/German Naval Yards
  • Design: Philippe Starck
  • Segelgeometrie, Rigg- und Kielkonstruktion: Dykstra Naval Architects
  • Masten: Magma Structures (UK)

  • Länge: 142,81 m
  • Breite: 24,88 m
  • Tiefgang half load: 7,5 m
  • Max. Tiefgang: 8 m
  • Top des Großmastes über Wasser: 100 m
  • Bruttoraumzahl (umbautes Volumen): 11.997 BRZ
  • Verdrängung: 14.227 t

  • Segelfläche: 3.700 qm
  • Segelmacher: Doyle USA
  • Segeltragezahl: 2,51

  • Baum Fockmast: 25 m
  • Baum Großmast: 27,5 m
  • Baum Besanmast: 23,60 m
  • Drei Rollbäume von Future Fibres, Valencia

  • Diesel-elektrischer Hybridantrieb, bestehend aus zwei MTU 3,600 kW Dieselmotoren und zwei 4,300 kW Elektromotoren, zusammen 11.693 PS
  • zwei fünfblättrige Andritz Verstellpropeller

  • Reisegeschwindigkeit/Reichweite: 16 Knoten/ 5.320 sm
  • Max. Geschwindigkeit: 21 kn
  • Besatzung: 54

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VG