Abenteuer14 min Lesezeit
Der Yachtspazierfahrer Ludwig Salvator
Wie ein Sproß der Habsburger-Dynastie zum vielseitigen Chronisten des Mittelmeeres wurde

Fast vier Jahrzehnte verbrachte der Gefühlsmensch und Privatgelehrte Erzherzog Ludwig Salvator aus dem Haus Österreich-Toscana an Bord seiner Dampfer. Er steuerte entlegene Inseln an, dokumentierte deren Fauna, Flora und lokale Bräuche. Seine Reisen zeigen, wie beglückend und sinnvoll das Leben auf einem schwimmenden Untersatz sein kann.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 22.01.2025, aktualisiert am 29.01.2025
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- was Ludwig Salvator mit der Starkbier-Spezialität zu tun hat
- wie er zu seiner Auszeit an Bord kam und sie nutzte
- Einblicke in die gelassene Bordlebensart Ludwig Salvators
- Ludwig Salvators Schiffe „Nixe I“ und „II“
- Einblicke in seine dokumentarische Arbeit und Schreibstil
- seine Talente als Zeichner und sprachbegabter Mensch
- Übersicht seiner 58 Bücher
- sein Faible für unbekannte Inseln
- warum sich der Besuch der beschriebenen Inseln und Küsten heute lohnt
- Aktivitäten der heutigen Ludwig-Salvator-Gesellschaft in Wien
Artikel vorlesen lassen
Gerade im sonnigen Süden, wo die Auszeit an Bord besonders schön ist, sind Yachten im wesentlichen Hafeninventar. Sie dümpeln selten genutzt in den sündteuren Marinas der Côte d’Azur, der Balearen, Italiens, an der griechischen und türkischen Küste. Die Eigner sind daheim mit Geldverdienen und anderen Interessen beschäftigt. Personal hält die umfängliche Technik großer Pötte betriebsbereit, putzt die Fenster, wienert die Aufbauten und poliert den Edelstahl der schwimmenden Statussymbole. Die folgende Geschichte aus der Pionierzeit des Mittelmeer-Yachtings zeigt, wie es auch geht.
Wie nützlich wäre es, ein Schifflein zu haben
Ludwig Salvator
Den Namen Salvator kennt man als gehaltvolle Starkbier-Spezialität der Münchener Paulaner Brauerei und von der zweiwöchigen Biersause im Frühjahr am Nockherberg. Wie der folgende Beitrag zeigt, hat Ludwig Salvator mit der Biermarke nichts zu tun. Salvator ist die eingedeutschte Version des italienischen Vornamens „Salvatore“. Machen Sie Bekanntschaft mit dem „Diogenes der Donaumonarchie“ und seinen gehaltvollen Büchern.
Nachdem der 22-jährige Ludwig Salvator einige Jahre mit Studienreisen in frischer Seeluft aus gesundheitlichen Gründen verbracht hatte, weihte der junge Habsburger seine Mutter mit folgenden Zeilen eines Briefes Anno 1869 in seine Pläne ein.
„Worüber ich anlässlich meines geplanten Aufenthaltes in Gmunden mit Ihnen wie mit Papa vor allem sprechen möchte: Auf meinen Reisen während der vergangenen Jahre habe ich, den Himmel als Dach, mit ausgestreckten Gliedern auf den Planken irgendeines Schiffes oder im Sand irgendeiner unbewohnten Bucht oft daran gedacht, ob es mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht möglich wäre, ein bequemes Fortbewegungsmittel anzuschaffen, das entsprechend eingerichtet, meinen wissenschaftlichen Bedürfnissen dienen und den Komfort eines eigenen Heimes bieten könnte. Dieser vage Gedanke, den ich in mancher Sommernacht geträumt habe, nahm im vergangenen Jahr Gestalt an, als ich daran dachte, wie nützlich es für mich wäre, ein Schifflein zu haben, das mir während jener Monate des Jahres, die ich aus Gründen der Gesundheit wie zu wissenschaftlichen Zwecken gerne auf dem Meer verbringe, als Transportmittel und Heim dienen könnte.“
Der respektvolle Ton, Eltern wurden damals noch gesiezt - wie wunderbar im heutigen Zeitalter der üblichen Zwangsduzerei wildfremder Leute - und auch das kühne Vorhaben selbst kamen gut an. So ermöglichten eigenes Vermögen und Darlehen aus dem Familien- und Freundeskreis den Bau des „Schiffleins“. Wie Salvators Bücher, ein Lebenswerk von insgesamt 58 Titeln zeigen, hat er die schwimmende Bleibe genutzt.
Beim „Schifflein“ handelte sich um einen veritablen 50-Meter-Dampfer, der August 1872 für den jungen Erzherzog auf der Werft des „Stabilimento Tecnico“ bei Fiume, dem heutigen Rijeka, vom Stapel lief. Wie es mit kleinen und großen Booten leider üblich ist, zog sich die Fertigstellung ein wenig in die Länge. So war die Probefahrt erst im Februar des folgenden Jahres möglich. Zu seiner ersten Yachtspazierfahrt kam Salvator im fernen Ägypten an Bord. Bald nutzte er sein schwimmendes Zuhause für eine „Yachtreise in den Syrten“ (so der Titel seines 1874 erschienenen Buches), für „Einige Worte über die Kaymenen“ (gemeint sind Inseln bei Santorin, 1875 publiziert) oder „Eine Spazierfahrt im Golfe von Korinth“ (1876).
Ein Boot als Alternative zum ungesunden Landleben
Mit Fregattenkapitän Heinrich Edler von Littrow hatte der junge Ludwig Salvator einen nautischen Berater, der sich um den Bau der Yacht kümmerte und zunächst die 19-köpfige Mannschaft organisierte. Fast 30 Jahre älter, wurde er zum väterlichen Freund. Littrow weihte ihn in die Finessen der Nautik ein.
Seit Johann Wolfgang von Goethes und Heinrich Heines Italienaufenthalten waren Bildungsreisen im sonnigen Süden zu maßgeblichen Sehenswürdigkeiten beliebt, wie beispielsweise Charles Dickens sie 1844/45 als Italienreise unternahm. Der ehrgeizige Heinrich Schliemann grub 1873 in Troja und drei Jahre später in Mykene. 1875-81 legte Ernst Curtius Olympia frei. Der weltkundige Fürst Hermann von Pückler-Muskau reiste im Orient und Okzident und publizierte fleißig.
In Florenz geboren und aufgewachsen, brauchte der junge Erzherzog keine Italienreise. Ihn lockte der Blick auf ferne Küsten und die Ansteuerung unbekannter Inseln. Der Schwärmer suchte andere Welten, das Schöne im scheinbar Nebensächlichen. Sein Glück war es, vom Ankerplatz in ein Beiboot zu steigen, zum nächsten Ufer zu rudern, und sich andächtig treiben zu lassen. So berichtet er 1904 in seiner Monografie namens „Zante“ über die griechische Insel Zakynthos: „Man muss sie mit einem Boot umfahren, die Wildtauben aus ihren schattigen Winkeln und Höhlen wegfliegen sehen.“ Salvators Blick für die Natur, seine Sensibilität und Ruhe war und ist wohl eine seltene Gabe. Falls Sie sich dafür interessieren, finden Sie sie vermutlich am besten an Bord, ganz gleich, wie groß das Boot ist.
Große Silbermöven, die wie stille Schildwachen auf den Felsenspitzen stehen und sich in der Abendsonne letzten Strahlen sonnen … ein Bild zufriedenen Nichtsthuns
Ludwig Salvator
Nachdem er die Balearen erstmals 1867 besucht hatte, wurde Mallorca neben „Nixe“ zur weiteren Heimat seines reiselustigen Lebens. Er veröffentliche grundlegend und umfassend über Mallorca. Der intelligente Träumer beherrschte 14 Sprachen und weitere Dialekte, was ihm den Zugang zu den Einheimischen erleichterte. Und er war ein begabter Zeichner, der Landschaften als Panoramen in seinen Folianten festhielt. So war Salvator vor Ort derart beschäftigt, dass sein Schiff zum schwimmenden Zuhause, zur Studierstube und willkommenen Ort des Rückzuges seiner endlosen Exkursionen wurde. Salvator hatte und nahm sich Zeit. Man spürt es an seinen Beobachtungen und wunderbaren Schilderungen der Natur. Er fand Sprache für Landschaft und Meer.
Die Begegnung mit Delfinen, das Highlight jeder Seereise im Mittelmeer, schilderte Salvator so: „An ruhigen Frühjahrs- und Sommertagen erblickt man zuweilen fünf oder sechs. Aus der glatten Flut tauchen ihre dunklen Rücken auf, inmitten eines Schaumrandes, der sich infolge der Schnelligkeit bildet, mit welcher sie das Wasser durchschneiden. Die Capdollas (Delphinus globiceps) sind zahlreich; sie springen nicht wie die gewöhnlichen Delphine, sondern sie wälzen sich weich in der Flut wie in einem Bade, man sieht, dass sie sich darin wohl fühlen.“
Umgeben von der doppelten Bläue des Himmels und des Meeres
Ludwig Salvator
Als der mallorquinische Kapitän Raffael Vich y Rosselló im Sommer 1894 Algier mit „Nixe“ zu nah am Cap Caxine im Westen ansteuerte, sank sie infolge der Grundberührung. Wehmütig beschrieb Salvator den Verlust im selben Jahr in „Schiffbruch oder ein Sommernachtstraum“. Es dauerte nicht lange, bis er wieder eine Arche hatte. Er übernahm einen ähnlich großen Dampfer namens „Hertha“ gebraucht von Fürst Johann von Liechtenstein, ließ ihn schwarz streichen, nannte ihn „Nixe II“ und war bald wieder auf See.
Zum Jahreswechsel traf er seine Cousine Kaiserin Elisabeth I. in Algier. Sisi und Salvator konnten mit dem formalen, repräsentationsorientierten höfischen Leben wenig anfangen. Sie interessierten sich eher für die Wissenschaft und fremde Sprachen, waren einander auf besondere Weise zugetan. Für die Fahrt nach Algier hatte die Kaiserin einen Dampfer als Basis für die zahlreichen gemeinsam unternommenen Landausflüge gechartert.
Mit dem neuen Schiff steuerte er das auch heute noch exotische Archipel der Columbretes Inseln weit draußen vor Valencia an, Heimat von Schlangen, unzähligen Skorpionen und einigen Leuchturmwärtern. Die 177-seitige Inselmonografie erschien 1895. Auch die Alboran Insel besuchte er und bereicherte die Welt 1897 um eine kleine Inselbeschreibung.
Für den Yachtspazierfahrer waren die Vorzüge des eigenen Bootes sonnenklar: „Der Wandertrieb ist dem Menschen angeboren. Nur die sogenannte Zivilisation, die vielen Pflichten, die sich der Mensch auferlegt, brachten ihn zum sesshaften Leben und auf keine Weise kann man diesem natürlichen Instinkt so nachgehen, wie mithilfe der Jacht. Man kann die eigene Arbeit, sei sie literarischer, sei sie künstlerischer, sei sie wissenschaftlicher Art, an Bord haben, mit allen hierzu erforderlichen Hilfsmitteln sich derselben tätigst widmen und dabei doch von Zeit zu Zeit das Auge mit neuen Bildern ergötzen, ich möchte sagen zugleich auch den Geist damit erfrischen. Durch neue Spaziergänge, durch neue Ausfahrten wird ein Mittel zum Ausruhen während der Arbeit geschaffen, was man bei einem festen Wohnsitz vergeblich suchen würde.“
An Bord fand er eine eigene, gleichberechtigte Lebensform mit seiner Mannschaft und Begleitung. Ohne die damals übliche hierarchische Abschottung von oben und unten. So nutzte Salvator das Privileg, von der Bürde des Geldverdienens freigestellt zu sein, für die herrliche Auszeit auf dem Wasser, zum Stillen seiner Neugier und das nächste Projekt. Seine Studien ferner Inselwelten, der Natur, der Sprache und Bräuche waren Anlass zu wochen- bis monatelangen Aufenthalten irgendwo vor Anker.
So erschien in den 1890er Jahren über jede der sieben aus dem Meer ragenden Vulkankegel der Liparischen Inseln, auch als Äolische Inseln bekannt, jeweils ein Band, gefolgt von einem „Allgemeinen Teil“. Der detailversessene Universalist dokumentierte das Wetter, die Pflanzenwelt, Sprache, Bevölkerung, Religion, Trachten, Handel, Ernährung und vieles mehr.
Dabei ging er systematisch mit einem bereits 1869 verfassten, mehrsprachigen Fragenkatalog, den „Tabulae Ludovicianae“ vor. Dieser deckte die Archäologie, Botanik, Ethnologie, Geschichte, Geografie, Geologie, Sprachkunde, Gesundheits- und Bildungswesen, Bevölkerungsverhältnisse, Handel, Wirtschaft, Religion und Kirche bis hin zur Zoologie ab. Salvator dokumentierte in der damaligen Wahrnehmung vollkommen unbedeutende Inseln und Küsten.
Salvator dokumentierte wirtschaftlich und auch strategisch vollkommen unbedeutende Inseln und Küsten. Damals waren Entdeckertum und wissenschaftlich motivierte Reisen meist Vorwand und Vorhut kolonialer Ausplünderung.
Die unterschiedlich beleuchtete Natur als bühnenreif genossenes Schauspiel
„Im entzückenden Meere Siciliens gelegen, fesselten mich diese kleinen Inseln ungemein, ob ich sie während eines Winternordsturmes, wo sie ihren Namen der Eolischen wohlverdienten, oder ob ich sie inmitten der dort besonders zahlreichen Wasserhosen während eines Frühjahrgewitters durchblicken sah … so lernte ich sie unter allen Beleuchtungen und zu allen Jahreszeiten kennen … und sobald ich meine Beschreibung der Balearen beendet hatte, begann ich mit jener der Liparischen Inseln.“
Er war, erstmalig im Haus Habsburg, ein mit einem fünfjährigen Universitätsstudium ausgebildeter Privatgelehrter, der komplett für seine wissenschaftlichen Interessen lebte. Dank seiner breit gefächerten Bildung und seiner Möglichkeiten besuchte er neben seinen Yachtreisen im Mittelmeer nahezu jede Weltausstellung. Angesichts der absehbaren Folgen der Industriellen Revolution - dem Verlust jahrhundertealten Traditionen - wollte er mit seinen enzyklopädisch angelegten landeskundlichen Inselmonografien den Istzustand dokumentieren, bevor er verschwindet. Ein schönes, sentimentales Programm.
Doch wer war nun dieser ungewöhnliche Seefahrer und ernsthafte Lebenskünstler, der seinen Sinn für atmosphärisch schöne Gewässer und Interesse an unbekannten Eilanden mit dem Bordleben verband? Er wurde 1847 in Florenz im Palazzo Pitti als dritter Sohn und vorletztes Kind von Großherzog Leopold II. und der neapolitanisch-sizilianischen Bourbonin Maria Antonietta, Tochter von Franz I. geboren. Wie in Adelskreisen üblich erhielt er bei der Taufe einen recht langen Namen, nämlich „Ludwig Salvator Maria Joseph Johann Baptist Dominik Rainer Ferdinand Karl Zenobius Antonius“. Taufpate war sein Großonkel Erzherzog Ludwig Joseph von Österreich (1784–1864), zu dessen Ehren er den ersten Vornamen „Ludwig“ erhielt. Auf Italienisch wurde er Luigi gerufen.
Der kleine Prinz kam in den Genuss einer freiheitlichen Erziehung. Die Schule fand zu Hause mit Privatlehrern statt. Er lernte zahlreiche Sprachen und interessierte sich früh für die Natur. Als die Herrschaft der Habsburger anlässlich der Neuordnung der zahlreichen Fürstentümer zum italienischen Nationalstaat endete, musste er alle liebevoll aufgebauten naturwissenschaftlichen Sammlungen in Florenz zurücklassen und als 12-Jähriger mit seinen Eltern nach Schloss Brandeis bei Prag ins Exil gehen.
Es wurde später zu seinem offiziellen Wohnsitz. Dabei war er überwiegend an Bord seiner Motorsegler namens „Nixe“ unterwegs und in südlich gelegenen Domizilen bei Triest, in Ägypten und auf Mallorca.
Nachdem er im kalten böhmischen Winter im Schloss Brandeis an Bronchialasthma erkrankte, lebte er mit seinem Bruder Johann Nepomuk und Privatlehrern einige Jahre in Venedig. Seine Reisen durch Norditalien hielt der 21-Jährige in seinem ersten Privatdruck, den „Excursions artistiques dans la Vénétie et le Littoral“ auf Französisch fest. Im selben Jahr 1868 erschien mit „Süden und Norden“ eine Erinnerung an einen Besuch Valencias (1867) und Helgolands (1865), wo er sich, „jeden Winkel des kleinen Felseneilandes eifrig durchkriechend“, mit den Unterkünften und der Lebensweise der Einheimischen beschäftigte, sich die Gestelle zum Trocknen des Fangs und die Herstellung von Fischtran anguckte. Salvator begleitete die Helgoländer auf Haifisch-, Hummer- oder Krebsfang und genoss „jene träumerische Stille und jenes melodische Gefühl innerer Ruhe, das man nur am Meere empfindet“.
Auf Inseln fühlt man sich zu Hause wie auf einem Schiff
Ludwig Salvator
Der sensible junge Mann hatte sein Thema gefunden, das Glück einfachen insularen Lebens. „Man mag wollen oder nicht, man begegnet sich so immer wieder, dass man wie auf einem Schiff schon nach wenigen Tagen jeden Einzelnen kennt. Aber gerade dieser Umstand macht mir Inseln und insbesondere kleine so überaus lieb, denn man fühlt sich dort gleich wie zu Hause.“ Es braucht einen unbekümmerten und spielerischen Blick, um eine arabisch geprägte Stadt im Westen Spaniens, wo Mandarinen reifen, dem Nordsee-Eiland gegenüberzustellen, wo bei ruhiger Wetterlage mit klammen Fingern Dorsch und Scholle ins Boot gehoben wurden.
Reisen war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Privileg. Als exklusive Abwechslung gab es dem höfischen Leben eine weltmännische Note. Man reiste und erzählte zu Hause darüber. So waren auch die Ausflüge des jungen Habsburgers als sinnvoll genutzte und mit Studien legitimierte Kuraufenthalte gedacht. Sie wurden für Salvator Lebensinhalt und -form.
Er war der erste Habsburger, der mit Zustimmung Kaiser Franz Josephs ein fünfjähriges Universitätsstudium in Prag absolvieren durfte, musste aber dort vorübergehend auch in der Statthalterei „Geist und Formen der Administration des großen Kronlandes“ kennenlernen. Doch reizten ihn der Spaziergang durch die in frischer Seeluft wogenden Gräser Helgolands und die Vertiefung eigener Gedanken mehr als „die krausen Pfade bureaukratischer Geschäftsordnungen“.
Das Ergebnis des Deutschen Krieges zwischen Preußen und Österreich hatte 1866 die Frage der verwaltenden Tätigkeit im geschrumpften Kronland erledigt. Seit der entscheidenden Schlacht von Königgrätz gab es für die vielen Habsburger kaum noch Jobs. Nach dem Tod des Vaters gestattete Kaiser Franz-Joseph I. seinem jungen Vetter schließlich ein unsoldatisches, ganz der Wissenschaft gewidmetes Leben. So wurde aus der Freistellung vom höfischen Leben der für die Beteiligten angenehme Brauch, dass Ludwig Salvator zumindest einmal jährlich im Sommer ausnahmsweise ordentlich angezogen in Wien zum familiären Klassentreffen erschien. Wurde es allzu langweilig, lehnte er abseits an der Fensterbank, guckte nach draußen und wartete ab, bis das lästige Event durchgestanden war.
Er sprach 14 Sprachen und weitere Dialekte. Ein vielseitig gebildeter Mann mit einer raschen Auffassungsgabe und großer Sensibilität für den Umgang mit Menschen, ihnen den nötigen Freiraum bietend. Zugleich mit Sinn für atmosphärisch schöne, wohltuende Landschaften. Eine wahrlich seltene Doppelbegabung.
Herkunft und Prominenz streifte er ab, wie die Uniformen der K.u.K. Monarchie. Er nannte sich „Graf von Neudorf“, um unbehelligt reisen zu können. 1867 gelangte Salvator an Bord eines Postschiffs erstmals nach Palma und begann mit einer kleinen Studie zur Käferwelt der Balearen.
Als er im Laufe der Jahre an Leibesfülle gewonnen hatte, hing seine abgetragene Jacke mitgenommen in den Knopflöchern, wie ein vom Sturm gebeuteltes Segel in der Takelage. Manchmal wurde Salvator als Landarbeiter, Schweinehirte, Matrose oder Koch angesehen. Bei Zugfahrten reiste er gerne inkognito in der dritten Klasse und schickte seine Dienstboten mit dem Gepäck in die erste Klasse. So hielt es auch sein älterer Bruder Karl Salvator. Ein anderer Individualist der Familie war der jüngere Bruder Johann Nepomuk Salvator. Der hatte nach einer zunächst erfolgreichen militärischen Karriere komplett als Habsburger abgemustert und sich als Bürgerlicher in der Handelsschifffahrt versucht. Als Kapitän Johann Orth verschwand er vermutlich im Südatlantik beim Versuch Kap Hoorn zu umrunden.
Ich habe nie begreifen können, wie sich ein Mensch langweilen kann, mitten in Gottes freier Natur
Ludwig Salvator
Im Juli 1913 musste Salvator sein geliebtes Schiff aus gesundheitlichen Gründen auf Mallorca zurücklassen. Er starb im Oktober 1914.
Seine mittlerweile digital zugänglichen Bücher (siehe Infokasten unten) empfehlen sich als Reiselektüre an Bord des eigenen „Schiffleins“, auch wenn es vielleicht nicht ganz so groß und kommod ist. Damit lassen sich jene Inseln, Häfen und Küsten anlaufen, die Ludwig Salvator Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts so liebevoll und bleibend für seine Nachwelt beschrieben hat. Wie wäre es mit einem oder mehreren Törns in seinem Kielwasser kreuz und quer durchs Mittelmeer? Vielleicht ein Motto und Thema für den nächsten Bootsurlaub im sonnigen Süden. Mit einem gescheiten Ankergeschirr, reichlich Kette und heutiger Wetterapp eine sichere Sache.
Vor einer Weile besuchte ich einmal den Peloponnes anhand einer Reisebeschreibung von Fürst Pückler-Muskau, später dann erneut in Begleitung eines Esels. Wie damals üblich zu Fuß und entsprechend langsam. Es war anstrengend, dennoch ein großes Vergnügen und gerne erinnertes Erlebnis. Wandern oder Yachtspazierfahren ist besser als mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug zu reisen. Es passt besser zur menschlichen Wahrnehmung.
Es gibt kein Buch, welches so lehrreich wäre, dessen Bilder so schön wären, wie das einfache Betrachten der Natur
Ludwig Salvator
Die Ludwig-Salvator-Gesellschaft
Die Bücher Ludwig Salvators waren lange einem exklusiven Zirkel von Insidern und Sammlern zugänglich oder in Bibliotheken anzuschauen. Das liegt daran, dass es sich meist um großformatige, seltene und entsprechend kostbare Privatdrucke handelt, die in verschwindend kleiner Auflage existieren. So wurde ich durch einen Bootsfreund und Sammler auf Ludwig Salvator, sein Leben, seine Reisen und die fabelhaften Bücher aufmerksam. Ich durfte sie bei gelegentlichen Besuchen bei ihm zu Hause in seinem Beisein angucken. Dabei mussten die Seiten der wertvollen Bücher vorsichtig umgeblättert werden.
Das änderte der Wiener Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Löhnert mit Gründung der Ludwig-Salvator-Gesellschaft 2002. Er begann damit, den Habsburger mit Ausstellungen, einer Website und mit gescannten Büchern allgemein zugänglich zu machen. Denn was nutzen die schönsten Werke, wenn sie unerreichbar in den Regalen der Sammler stehen? Wenn seine Entscheidung für das einfache Leben, seine Neugier und Interesse an den Inseln des Mittelmeeres und seine endlose Reiselust nicht immer wieder neu erinnert und inszeniert wird?
Also wurden die Bücher schonend mit einem modernen Quiscan-Roboter Seite für Seite abfotografiert. Eine anspruchsvolle Aufgabe, weil sich die zerbrechlichen Werke mit dicken Buchrücken vorsichtig liegend nur in einem bestimmten Winkel aufgeschlagen digitalisieren lassen.
Die Salvator-Gesellschaft organisiert Ausstellungen und Konzerte, unterstützt Filmproduktionen, hält Vorträge und veröffentlicht selbst zu Salvator, beispielsweise
- das Konzert „Klangraum Mittelmeer“
- das „Ludwig-Salvator-Symposium“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
- dauerhafte und temporäre Ausstellungen wie das „Luigiorama“ in Wien oder Leihgaben für „Sisi & Co – Die (geheimen) Leidenschaften der Habsburger“
- berät Filmproduktionen wie „Ein Habsburger auf Mallorca“ oder „Die bürgerlichen Berufe der Habsburger.“
Bücher über den Erzherzog
- Helga Schwendinger: Erzherzog Ludwig Salvator. Der Wissenschaftler aus dem Kaiserhaus. Biografie, Amalthea Verlag Wien/München 1991, 319 Seiten. ISBN 3-85002-314-1
- Ginka Steinwachs: Erzherzog Herzherzog oder Das unglückliche Haus Österreich heiratet die Insel der Stille. München 1985, ISBN 3-922696-14-7
- Ludwig Salvator, Ginka Steinwachs: Sommerträumereien am Meeresufer 1912/2003, Passagen Verlag, Wien 2003, 141 Seiten, ISBN 3-85165-620-2. Eine wunderbare schwärmerische Heranführung und lesenswerte Hymne der Schriftstellerin Ginka Steinwachs
- Ginka Steinwachs: Der schwimmende Österreicher. Passagen Verlag, Wien 2006, ISBN 3-85165-743-8
Hörspiel und Dokumentation
- 1985 Erzherzog-Erzherzog oder Das unglückliche Haus Österreich heiratet die Insel der Stille. Hans Gerd Krogmann, WDR
- Ein Habsburger auf Mallorca – Ludwig Salvator und der Zauber des Meeres, 3SAT 2017
Lesenswert
- Mark Twain: Reisen ums Mittelmeer. Vergnügliche Geschichten, ausgewählt von Norbert Kohl. Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main 1996