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«Segelndes Schweizer Messer»
Im Porträt: Loick Peyron, lebende französische Segellegende.
Loïck Peyron ist als Segler längst Legende. Was ihn nicht davon abhält, weiter bei den spannendsten, größten und verrücktesten Segelanlässen auf der ganzen Welt mitzumischen. Ein Portrait.
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 07.12.2022
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Porträt einer Segellegende
- Erstaunliches und Wissenswertes aus dem Leben des Loick Peyron
- Die Geschichte eines Mannes, der alles, aber auch wirklich alles kann, was man unter Segeln können muss.
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Was ist das größte Lob, das einem Hochseesegler widerfahren kann? Ein «der Junge kann was» von Eric Tabarly? Ein «nur mein Bruder kann das besser, sonst keiner!» vom (damals frisch gekürten) schnellsten Weltumsegler Bruno Peyron? Ein «hoffentlich entscheidet der sich nie fürs Moth-Segeln» von Moth-Weltmeister Outteridge, nachdem er ihm erstmals seine kippelige Kiste geliehen hatte? Loïck Peyron kann darüber nur milde lächeln. Denn sein größtes Kompliment, das er wohl je erhalten hat, kommt ausgerechnet von einem Schweizer: Ernesto Bertarelli, der Mann, der die begehrteste Segeltrophäe der Welt, den America’s Cup, in die Schweiz geholt hatte, nannte den quirligen Franzosen schlicht «das Schweizer Messer des Segelns».
Und meinte damit nicht, dass Peyron leicht und geschmeidig einschnappt, sondern dass dieser Mann für alles, was irgendwie mit schnellem Segeln zu tun hat, das richtige Werkzeug ist. Aus dem Mund eines Schweizers das wohl schönste Lob für einen Segler wie Loïck Peyron; auch dann, wenn er die zuvor genannten Komplimente tatsächlich ebenfalls gehört hatte.
Harte Arbeit
Talent hin oder her, wer es in Frankreich als Segler so weit bringen möchte, dass er allerorten als Held und «Allzweckwaffe» gefeiert und sogar in die Ehrenlegion als Offizier aufgenommen wird, muss sich das hart erarbeiten. «Für Erfolg beim Segeln kann man nur drei Dinge tun: segeln, segeln, segeln!», äußert sich Peyron gerne in Interviews. Logisch, dass man damit bereits in frühester Jugend beginnen musste. «Meine Mitschüler sind mit dem Bus in die Schule auf der anderen Seite der Bucht gefahren, ich mit dem Fahrrad runter in den Jollenhafen und dann mit dem Boot rüber gesegelt».
Schon als 12-jähriger erlebt er eine Art Initialzündung, als er gemeinsam mit seinem Onkel Jean-Yves Terlain (ein anderes Segel-Monument Frankreichs) den 39 m langen Einrumpfer «Vendredi 13» (Freitag, der 13.) für die Einhand-Transat 1972 zu Wasser ließ. «Ich war völlig fasziniert von der Vorstellung, so ein riesiges Schiff alleine über den Ozean zu steuern. In diesem Moment wusste ich, dass es für mich nur eines geben kann im Leben: Profisegler!»
x-mal über den Teich
Wie besessen schipperte er von da an auf allem, was Segel hatte: Jollen, die Familienyacht, Katamarane. Mit 18 segelte er erstmals über den Atlantik rüber nach Amerika – eine Strecke, die er bisher über 50 Mal wiederholte, davon immerhin 20 Mal einhand! Und dreimal umrundete er unter Segeln nonstop die Erde – was ihm aber offensichtlich nicht ausreicht. «Ich bedaure wirklich,» hat er kürzlich beschrieben, «dass ich noch nicht die Vendée Globe gewinnen konnte!» Dabei festigte er ausgerechnet bei dieser Solo-Round-Nonstop-Regatta seinen Heldenstatus (nicht nur) in der französischen Segelgemeinde.
Während der ersten VG (1989-90) wurde der bereits erfolggewohnte «nur» Zweiter, nachdem er den havarierten Phillippe Poupon auf Höhe des Kaps der Guten Hoffnung gerettet hatte. Genau das ist der Stoff, aus dem Legenden geschnitzt werden …
Apropos Legenden: Loïck Peyron hat neben seinem seglerischen Können im Laufe der Jahre auch einen sicheren Instinkt bewiesen, mit dem er sich die Sympathie der Medien sicherte. Der Abenteurer und dennoch begeisterte Familienvater (verheiratet, 4 Kinder) ist ein lässiger Kommunikationsmensch, der es verstanden hat, immer zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort die richtigen Worte zu äußern.
Schiffshusten
Die Medien lieben ihn dafür, ausnahmslos. Seine Rekordfahrt auf «Banque Populaire», einem gigantischen Trimaran, mit dem er tatsächlich den einst von seinem Bruder aufgestellten Rekord nonstop um die Welt in 45 Tagen, 15 Stunden förmlich pulverisierte, war wochenlang auf den Sportseiten der französischen Presse und im französischen TV präsent, auch weil der Meister unterwegs freimütig Interviews gab.
Der Tageszeitung «Liberation» beschrieb er über Satellitentelefon, woher sein Erfolg im Umgang mit Schiff und Mannschaft rührt: «Als Skipper auf so einer Rekordfahrt muss man vor allem den Einsatz von Mensch und Material abwägen. Ich stehe seit unserem Start jeden Tag, jede Stunde unter Strom.
Ich bin immer körperlich angespannt, höre ohne Unterlass auf die Geräusche des Schiffes. Mir entgeht nicht die kleinste Vibration, und dafür muss ich nicht mal Ruder gehen. Was hat das Schiff für Probleme, was bereitet ihm gerade Schwierigkeiten? Wo ächzt es? … Hustet es? Ähnlich ist es mit der Mannschaft: Ich bin eine Art demokratischer Diktator, muss die kollektive Temperatur messen, sozusagen. Wenn’s kühler wird, greife ich ein, wenn’s sich zu sehr erhitzt, ebenfalls. So segele ich seit 30 Jahren, und das ist ganz schön anstrengend.»
Loïck Peyron geht dabei gerne den Zen-Weg der Mitte – und das ist bekanntlich ein Zeichen für innere Größe, die wahre Würde. «Obwohl mir Bertarelli damals so ein wunderbares Kompliment machte, war die Niederlage beim AC gegen Oracle ein Desaster für mich,» erinnerte sich der Franzose kürzlich. Ausgerechnet er, der relativ spät als vermeintliches Allzweckwerkzeug für alles, was irgendwie mit Mehrrumpfbooten zu tun hat, eingesetzt wurde, ausgerechnet er muss auf dem vermeintlichen Zenith als Steuermann gegen die Amerikaner verlieren. «Das Schweizer Messer war stumpf geworden,» soll er gesagt haben. Dabei wusste jeder, dass er viel zu spät ins Team berufen wurde und «die Kiste nicht mehr aus dem Dreck ziehen konnte».
Doch wer nun glaubt, einer wie Peyron werde sich entspannt irgendwo auf einer Insel im Kreise seiner Lieben ausruhen und den Gott der Winde einen guten Mann sein lassen, der hat die Rechnung ohne die Würde dieses Mannes gemacht. Denn ein Loïck Peyron, nach Moitessier und Tabarly die wohl größte Segellegende Frankreichs, kann sich nicht einfach so sang- und klanglos aus einem Business verabschieden, in dem er Niederlagen einstecken musste. «Seit der AC-Cup auf Mehrrumpfbooten ausgetragen wird, ist er meine Spielwiese geworden,» sagte er bereits vor Jahren. Und macht seitdem alles, um mitspielen zu dürfen.
Eine Frage der Würde
Nach der Alinghi-Kampagne schlug er sich im (eigenen) Energy-Team während der AC45-Kampagne 2012/13 mehr als beachtlich und wurde Ende letzten Jahres ins America’s Cup-Herausforderer-Team «Artemis» berufen. Man wolle sich die Chance, den wohl erfolgreichsten Multihull-Hochseesegler dabei zu haben, nicht entgehen lassen, hieß es aus Artemis-Kreisen.
Loïck arbeitet dort nun vor allem als «Flüsterer» respektive Berater für Steuermann Outteridge. Dies war übrigens auch der Grund, warum Peyron bei der fatalen Kenterung der «Artemis», bei der ein Toter zu beklagen war, nicht an Bord war – Loïck studierte (ausnahmsweise) von einem Begleitboot aus die Manöver.
Somit war er einer der Ersten, die vor Ort halfen, die Verunglückten aus dem Wasser zu ziehen. Alle, bis auf einen. Andrew Simpson starb eingeklemmt unter dem starren Flügel. Und Loïck Peyron war fassungslos: «Ich hab auf den Ozeanen die verrücktesten Mehrrumpfboote in den wildesten Situationen gesegelt. Doch in diesem Moment wusste ich, dass wir ein Limit überschritten hatten!»
Was also tun? Aufgeben, das Artemis-Team und den America’s Cup verlassen? Oder wahre Größe zeigen und (auch im Sinne des Verstorbenen) das einmal angefangene Projekt erfolgreich zu Ende bringen? Für Loïck Peyron eine Frage der Würde: Er segelte weiter. Zwar schied das Artemis Racing Team in den Qualifizierungsregatten für den America's Cup aus. Doch alle Beteiligten klopften sich hinterher auf die Schulter: Alles richtig gemacht, auch im Sinne des verstorbenen Kameraden.
Viele unkten damals, dass Peyron nach dem tödlichen Artemis-Unfall und der Artemis-Pleite beim America’s Cup langsam, aber wohl sicher den Rückzug antreten würde. Schließlich war so ziemlich alles, was in französischen Seglerkreisen zählt, gewonnen oder zumindest in Ehren beendet worden.
Doch Peyron sah noch keinen Grund für die „Rente unter Segeln“. Etwas kürzertreten, vielleicht. Aber aufhören? Niemals!
Noch ein Coup!
Also leistete sich der „Segelheld der Nation“ (wie ihn die französische Sportzeitung „Equipe“ einst bezeichnete) nochmal einen richtigen Coup. Wobei jedoch auch der Zufall seine Rolle spielte: Der französische Vendée Globe Sieger Armel le Cleac’h sollte 2014 auf dem Maxi Trimaran „Banque Populaire VII“ die Route du Rhum bestreiten und bitte schön gewinnen. Doch wenige Tage vor dem Start verletzte sich Le Cleac’h – Ersatz musste her! Logisch, dass man zunächst bei Loick Peyron nachfragte, der schließlich bereits als eine Art „Guru“ für Mehrrumpfboote gehandelt wurde.
Loïck Peyron muss die Idee gut bis amüsant gefunden haben, alleine auf einem der aktuell größten Mehrrumpfboote (32 m lang, 23 m breit) alleine über den Atlantik zu rasen. Viel Trainingszeit blieb ihm nicht – irgendwie war die Aktion eine Art Wundertüte für alle Beteiligten. Peyron wusste nicht, was er tatsächlich auf dem Boot leisten konnte und Shore-Team sowie Sponsoren hofften zwar, dass Peyron die Regatta wuppen würde, konnten sich aber angesichts der kurzen Vorbereitungszeit nicht sicher sein.
Rekordzeit
Doch Loïck Peyron schaukelte das Schiff im sprichwörtlichen Sinne, siegte bei der Route du Rhum in seiner Klasse und schaffte somit auch die Line Honors in Rekordzeit: 7 Tage, 15 Stunden und 8 Minuten für die Strecke St. Malo/Bretagne nach Pointe a Pitre auf Guadeloupe. Mission erfüllt – das „Schweizer Messer“ und Banque Populaire konnte zufrieden sein.
Peyron merkte bei dieser Regatta auch, dass Siege in den spektakulären Bootsklassen bei den großen Hochseeregatten nur noch dann möglich sind, wenn man ein fest eingespieltes, professionelles Team im Hintergrund weiß und die Sponsoren ausgesprochen spendabel sind. Lange Vorbereitungszeiten sowie Boote, die immer auf dem neuesten technischen Stand sein müssen, kosten eben Geld. Viel Geld.
Für Typen wie ihn, die gerne auf vielen Hochzeiten tanzen respektive in den unterschiedlichsten Bootsklassen aktiv sind, eignen sich Kampagnen mit langen Vorbereitungszeiten nicht unbedingt.
Neuer Auftritt
Also änderte Peyron seine Auftritte in der Segelwelt. 2018 startete er bei der Route du Rhum auf dem quietschgelben Trimaran „Happy“, der ein exakter Nachbau des Bootes war, mit dem Mike Birch vierzig Jahre zuvor die erste Ausgabe der Route du Rhum gewonnen hatte. Ehrensache: Auch Peyron segelte im Stil von damals, verzichtete auf Elektronik an Bord, navigierte per Sextant. Und sammelte, ganz nebenbei bemerkt, eine Menge Geld für einen guten Zweck.
2019 erwarb Peyron – wie viele andere Hochseestars auch – eine der gerade frisch auf den Markt gekommenen neuen Foil-Figaro 3 und segelte damit u. a. die Solitaire du Figaro. Es ging auch darum, das Image der Bootsklasse mit den neuartigen Foils in der Szene zu festigen. In der eindeutig leistungsstärksten Hochsee-Segelklasse auf einem der anspruchsvollsten Regattakurse Europas schaffte Peyron einen höchst respektablen 24. Rang. Chapeau!
Luft holen
Seitdem ist es zwar nicht still geworden um den Segelhelden Peyron, man sieht und erlebt ihn jedoch eher selten bei internationalen Regatten. Zwar ist seine Meinung und Einschätzung bei vielen französischen Medien weiterhin gefragt (er kommentierte etwa den Start der letzten Route du Rhum fürs französische TV), doch Peyron weiß, dass heutzutage Hochsee-Regattasegler jung, dynamisch und athletisch sein müssen, wenn sie siegen wollen.
Und eigentlich kommt nur das für Peyron in Frage: Sieg.
Doch es gibt da ein Gerücht in der französischen Hochseeszene, das sich hartnäckig hält: Wenn es wieder eine französische America’s Cup-Kampagne geben sollte, dann wird Peyron beratend dabei sein. Er selbst hält sich (noch) bedeckt zu dem Thema. Doch wie so oft basieren Gerüchte auch in der Segelwelt meistens auf einem wahren Kern.
Nicht nur dem Segler Peyron, sondern vor allem der europäischen Segelwelt sei dies zu wünschen.
Steckbrief Loïck Peyron
Geboren am 1. Dezember 1959 in Nantes, Frankreich. Verheiratet, 4 Kinder.
Karriere auf dem Wasser:
- 1987: La Baule-Dakar, einhand, 1.
- 1990: Vendée Globe, einhand, 2.
- 1990: Transat, einhand, 1. (und 1996, 2008)
- 1996: WM Mehrrumpfer 1. (und 1997, 1999, 2002)
- 1999: Transat Jaques Fabre, zweihand, 1. (und 2005 mit Jean-Pierre Dick)
- 2001: The Race, 2.
- 2011: Barcelona World Race, zweihand, mit Jean-Pierre Dick, 1
- 2012: Energy-Team AC45 America’s Cu
- 2013: Berater bei Artemis, Herausforderer beim America’s Cup
- 2014: Sieg auf "Banque Populaire VII" bei der Route du Rhum
- 2018 Route du Rhum Teilnahme auf historischem Trimaran-Nachbau
- 2019 Rang 24 bei der Solitaire du Figaro auf neuem Figaro 3-Foiler