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Im Motorboot durch Afrika
Wie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Passage Afrikas im Boot gelang

Ein Motorboot gilt als ideales Gefährt für die sonntägliche Spritztour oder den erfrischenden Zeitvertreib im Sommer. Damit geht aber noch viel mehr.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 03.08.2017, aktualisiert am 01.03.2023
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- wie dem Fitzcarraldo Afrikas nach der Querung des Kontinents in einem Unimog-Vorläufer die Passage mit einem Boot gelang
- Einzelheiten zur Sonderanfertigung der Lürssen Werft mit einem 5 PS Einzylinder
- wie das Abenteuer zu den kolonialen Interessen der Zeit passte
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Anfang des 20. Jahrhunderts hatte der Abenteurer Paul Graetz den afrikanischen Kontinent erstmals im Auto, einem Vorläufer des Unimog durchquert. 630 Tage hatte er für die 9.500 Kilometer lange Strapaze von Dar-es-Salam bis Swakopmund gebraucht. Unter anderem deshalb, weil die wenigen Brücken zur Passage der Flüsse kaputt waren oder es keine gab. Außerdem musste er sein Auto, vermutlich den ersten Geländewagen der Welt, unterwegs 40 Mal reparieren. Ermutigt von der Begeisterung für seine Reise daheim und vom anerkennenden Telegramm Kaiser Wilhelm II. - «gut gemacht, Graetz» - packte er sein nächstes Abenteuer an: die Passage des Kontinents im Boot. Der Erfolg seiner Autotour brachte ihm viele Sponsoren, maßgeblich die Berliner Schokoladenfabrik Sarotti als Namensgeberin des Bootes.
Die Lürssen Werft baute nach Plänen von Schiffbauingenieur Karl Vertens ein 8,20 m langes, 1,65 m breites Holzkanu mit ganzen 30 cm Tiefgang. Vorbild waren afrikanische Brandungsboote. Aluminiumblech schützte den Holzrumpf vor dem Bohrwurm der afrikanischen Flüsse. Angetrieben von einem ventillosen Rundlöfs-Bolinder Niederdruckmotor lief der 5 PS Einzylinder mit Rohöl oder Petroleum. Bei einer Probefahrt brachte es das leere Kanu auf gut sieben Knoten. Mangels Tankstellen in der Wildnis Afrikas legte Graetz wie schon bei seiner Autotour Spritdepots an.
Im Bug gab es Bänke für 3-4 Eingeborenen. Achtern bot ein modernes Klappverdeck amerikanischer Machart den weißen Schatten. Die Welle endete in einem schützenden Brunnen für den Propeller. Mittschiffs gab es Achsen zur Montage üblicher Autofelgen. Damit und auf einem Spornrad ließ sich das Boot über Land schieben.
Graetz wollte damit «den Nachweis erbringen, dass die Quelle des größten Stromes Afrikas, des Kongo, hart südlich des Tanganjka-Sees zu suchen, der Sambesi als Kongo-Quellfluß anzusehen ist. Diesem Strom, dem schon meine Jugendschwärmerei gehörte, vom Quellfluß zur Mündung zu folgen – durch die Wälder und Bugas Nord-Rhodesias, durch den sagenumwobenen Banguelo-See, durch Sumpfwüsten, von unerforschten, scheuen Naturstämmen bevölkert, durch den Mwerusee, auf der breiten Wasserstraße des Kongo hin zum Atlantischen Ozean – das war der Gedanke, der nicht wieder von mir wich.»
Im Frühjahr 1911 erreichten Graetz und sein französischer Kameramann Ovtave Fière an Bord des Reichs-Postdampfers «General» der Deutschen Ost-Afrika-Linie das Delta des Sambesi Flusses am Indischen Ozean. Gezogen von «42 Boys» verlässt die «Sarotti» auf «zwei seitlich anmontierten Drahtspeichen-Automobilrädern, am 22. Mai die Ortschaft Blantyre. «Es ist ein eigenartiger Zug, der sich langsam in der Nachmittagssonne durch den Laubbusch vorwärts bewegt. Wir passieren die reizvoll gelegenen, von der grünen Gebirgsmasse überragten Farmen. Die Dunkelheit zwingt uns, auf einer Anhöhe mitten auf der Straße unser Lager aufzuschlagen. Wir haben heute vier Meilen zurückgelegt.»
Die schwere Fuhre unter der gnadenlosen Sonne Afrikas über ausgewaschene Wege zur Wasserscheide Afrikas bergauf zu zerren, ist eine Schinderei. Für diesen Wahnsinn brauchte es viele Eingeborene und den willensstarken Graetz, einen Mann mit der Besessenheit Fitzcarraldos.
Bald gleitet die Sarotti durch den Oberlauf des Shire Flusses: «Lustig schallt das Knattern des Motors über den Fluss» freut sich Graetz: «Vor uns steigen als blaue Masse die Zombaberge empor. Wir fahren durch flache Ufer zwischen Schilf und Maisfeldern der Eingeborenen dahin, bald schauen wir in das dicke Pflanzengewirr hoher Uferwände, von denen uralte überrankte und überwucherte Bäume ihr Geäst bis auf den Wasserspiegel hinabsenken. Die Eingeborenen folgen zu hunderten dem schnell dahin schießenden Boot, die zahlreichen Biegungen des Flusses abschneidend und uns immer aufs neue mit Freudengeheul begrüßend. Manchmal «strandet» das motorisierte Kanu auf dem Rücken eines dösenden Nilpferds.
Graetz genießt seinen Afrikatörn in vollen Zügen. «Als ich auf meiner Expedition im Auto quer durch Afrika Nord-Rhodesia durchquerte, hatte ich am Chambesifluß einen längeren Aufenthalt, weil zur Übersetzung des Autos ein Schildfluss gebaut werden musste. Hier kam ich mit dem Stamm der Awembas in Berührung und hörte ihre sagenhaft klingenden Erzählungen über den Banguelo-See. Ungetüme aller Art, Tierkolosse, die mächtigsten Elefanten und die längsten Giraffen weit überragend, Seeschlangen, heiße, hoch aus dem See empor spritzende Quellen» lockten Graetz. Saurier oder Seeungeheuern begegnete Graetz im Loch Ness Afrikas nicht, dafür Millionen Mücken, irritierten Eingeborenen und über die Abwechslung erfreute Missionare.
Nebenher betätigte sich Graetz zur Verpflegung des mehrköpfigen Expeditionstrosses als Großwildjäger, im September, mit fatalen Folgen für seinen Kameramann und auch für Graetz, der mit einer schweren Kieferverletzung davon kommt. Ein von Graetz angeschossener und verfolgter Büffel fiel über die beiden her.
Dass Graetz die Expedition nicht abbrach, sondern die Schmerzen seines zertrümmerten Unterkiefers ohne Betäubungsmittel und ärztliche Behandlung im Busch ertrug, lässt ahnen, aus welchem Holz er geschnitzt war. Nach einer Pause machte Graetz weiter, ließ das Boot über Sumpfgras, Moore, an schwimmenden Grasinseln, über Steinwüsten, an Wasserfällen vorbeizerren oder schieben. 240 Kilometer legt die schwere Fuhre über Land zurück.
Auch die Hürden der Kolonialbürokratie können den Naturburschen nur bremsen, nicht aufhalten. Er lässt sein Boot in der Wildnis, wo es bald untergeht und organisiert in Berlin die Fortsetzung der Reise. 1912 tuckert er von Banana an der Atlantikküste mit einem neuen Boot den Kongo stromaufwärts. «Wie unser lieber deutscher Wald mit seiner heiligen Stille, seinem würzigen Nadelduft, seinem kühlen Moos an kristallklaren Quellen ... so zieht der Zauber des tropischen Urwaldes mit seinen tiefen, unergründlichen Schatten, seinem gigantischen Baumwuchs, dem üppigen, schier undurchdringlichen Wachstum und seiner geheimnisvollen Fauna und Flora den Nordländer immer von Neuem in seinen Bann» schwärmt Graetz. Diesmal macht ihm die Strömung des Kongo, dieses Königs der Flüsse Afrikas, zu schaffen. Letztlich geht Graetz zu Fuß bis zu jener Stelle, wo er im Jahr zuvor sein erstes Boot verließ. «Die Hauptsach’ ist, dass man tut, was man selbst für möglich hält» war das Motto des gebürtigen Sachsen.