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Dumme Ideen im Segelyachtbau
Riskante Bauweise, Murks, irreführendes Marketing, wartungsintensive Schönwetterausstattung

Ein fachlicher Blick auf die Benutzbarkeit moderner Boote: anfällige Bauweise, Pfusch und Pfennigfuchsen zulasten des Eigners. Schlecht zu betretende und überblickbare Boote. Schönwetterlösungen und dauerhaft teure Ausstattung.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 27.10.2025
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- wo es bei der Benutzerfreundlichkeit hapert: Unterwasserschiff, Zugänglichkeit, schlechte Sicht, Besegelung
- Sollbruchstelle Kiel
- pflegeintensive Billiglösungen
- Irreführende Angaben zur Bauweise und Länge
- wie moderne Boote Einsteiger, Seltensegler, Paare und Charterer im Hafen überfordern
- Performance- und Spasskiller Rollreffanlage
- wie beim zunächst unscheinbaren, auf Dauer pflegeintensiven Detail geknausert wird
- Schönwetterausstattung
- was Sie als Bootskäufer machen können
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Segelyachten haben sich in den vergangenen Jahren rasant geändert. Sie sind clever auf das Bordleben zugeschnitten, punkten mit beeindruckendem Komfort und Panoramablick von innen. Die Breite limitiert die Schräglage und bietet Platz. Lästige Backstagen sind Geschichte. Die Grossschot ist aus der Plicht verschwunden, das Achterstag wird gerade ersetzt. Die permanente Beschattung der Plicht schützt vor der Sonne. Rollanlagen erleichtern die Handhabung und machen grosse Yachten für kleine Crews überhaupt erst möglich.
Dennoch sind sie bei näherem Hinsehen erstaunlich unpraktisch. Obwohl für Einsteiger, Gelegenheitssegler und Charterer gedacht, sind sie bereits nach leichten Grundberührungen kaputt, im Hafen schlecht zu handhaben und mit störanfälliger Ausstattung unterwegs. Machen Sie sich anhand der folgenden Beispiele selbst ein Bild. Boote sind Kompromisse aus vielen widersprüchlichen Erwartungen. Schauen Sie, welche davon Sie zu welchem Preis eingehen.
1. Riskante Kiele
Moderne Segelyachten sind für Einsteiger, Gelegenheitssegler, Charterer und Familien gedacht. Grundberührungen beim Ankern, durch fehlende Praxis, falsche Tiefenangaben auf dem Plotter, zu nah am Land gesetzte Wegepunkte, Missgeschicke beim Steuern oder eine ausgefallene Maschine sind üblich. Ausgerechnet für diese üblichen Missgeschicke sind die Boote nicht geeignet.
Schauen wir uns das näher an: Moderne Segelboote sind mit einem flachen Rumpf und einer separaten Kielflosse unterwegs. Der Kiel ist unter einem Gerippe aus mehreren Längs- und Querbalken montiert. Sorgfältig auf den Rumpf laminiert, werden die Stringer und Bodenwrangen dieser sogenannten Bodengruppe zu einer belastbaren Einheit mit der nötigen Festigkeitsreserve. Dann hält der Kiel den seitlichen Kräften beim Segeln, beim Absetzen des Bootes an Land und meist auch einer Grundberührung stand.
2. Pfusch bei der Kielaufhängung
Moderne Boote mit kurzer Kielwurzel, gemeint ist der Übergang vom Kiel zum Rumpf, sind hier auf den Idealfall einwandfreien Bootsbaues angewiesen. Der Hebel beim Aufsetzen ist lang, die Kielwurzel, wo die Kräfte in den Rumpf gelangen, kurz. Entscheidend ist, wie die Bodengruppe laminiert ist. Sie ist die Achillesferse moderner Boote. Nun wird angesichts der Renditeerwartungen ausgerechnet unter den Bodenbrettern der Kajüte gespart, dort, wo der Kunde nicht hinguckt. Bis in die jüngste Vergangenheit gehörten fast alle grossen Serienhersteller Heuschrecken.
Die Grundberührung gehört zur üblichen Nutzung einer Yacht
Wurde die Bodengruppe wie eine Badewanne in weithin bekannter Sanitärtechnik einfach nur im Rumpf abgesetzt, das Ganze mit Fugenfüller aus der Kartusche verklebt und der Übergang abschliessend mit Topcoat zugeschmiert? Dann hält es im Prospekt, auf dem Messestand, beim Bootshändler und am Liegeplatz. Beim Segeln pendelt der Kiel im Seegang unter dem Boot. Es gibt bestimmte Billigfabrikate, bei denen der Kiel des unter dem Kran hängenden Bootes seitlich von Hand hin und her bewegt werden kann.
Bereits beim Absetzen des Bootes im Winterlagerbock drückt der Kiel den Rumpf nach oben und bildet eine Beule. Schon nach einer üblichen Grundberührung bei langsamer Fahrt gibt es Risse, hat das Laminat einen Knacks.
In diesem Fall ist das Boot stillzulegen und zu reparieren, sofern es angesichts des Aufwands nicht als Totalschaden abgeschrieben wird. Werften sind da nach Ablauf der Gewährleistung aussen vor oder reden sich raus. Sie als Eigner müssen beweisen, dass es an der mangelhaften Bauweise liegt und nicht an einer heftigen Grundberührung, was schwer bis unmöglich ist. Versicherungen regulieren bis 5000 € zügig, darüber wird es zäh. Beauftragte Gutachter ziehen die Reparatur des Schadens mit Formalien in die Länge, sofern es überhaupt Sache der Versicherung ist. Ich kenne einen aktuellen Fall, bei dem sich die Präliminarien zur Reparatur eines Kielschadens über Monate hinzogen. Erst nach Einschaltung eines yachtbaulich bewanderten Anwalts kam Bewegung in die Sache. Der Eigner musste 2 1/2 Segelsaisons auf die Nutzung seines Bootes warten. Jahre, in denen er weiterhin für den Liegeplatz und die Versicherung seines Bootes zahlte.
Torsten Conradi vom renommierten Yachtkonstruktionsbüro Judel/Vrolijk zufolge kann man moderne Boote mit dem heute üblichen flachen U-Spant mit eingelegter Bodengruppe sicher bauen, sofern der Kielbereich sorgfältig (d.h. gemäss Zeichnung) laminiert ist. Dabei müssen die Kielbolzen entweder durch die Träger der Bodenwrangen gezogen sein, was aus Platzgründen selten möglich ist. Es ginge mit angehobenen Bodenbrettern zulasten der Stehhöhe in der Kajüte. Alternativ kann man die Kielbolzen in einem zusätzlich angebrachten Winkellaminat von der Bodenwrange zum Rumpf montieren. Es wird leider selten gemacht. Diesen Aufwand treiben allenfalls Qualitätswerften. Das obige Foto zeigt die Bohrungen der Kielbolzen zwischen den Bodenwaren im unverstärkten Rumpf. Eine ganz doofe Lösung.
Bei Kunststoffbooten wird ständig über Osmose geredet. Ein Unterwasserschiff können Sie mit Fleiss bei vertretbarem Aufwand selbst schützen. Die Reparatur eines strukturellen Schadens einer modernen Kunststoff-Segelyacht reparieren Sie selbst nicht. Gfk-Schleifen ist ekelhafte Asbest-Klasse. Also, schauen Sie sich den Kiel an.
Bis in die Siebzigerjahre gab es gemässigt moderne Unterwasserschiffe mit flächigem Übergang vom Rumpf zum Kiel. Sie verzeihen leichte, mittlere und sogar heftige Grundberührungen. Es war eine ganz blöde Idee, das zu ändern. Beim modernen Serienboot ist die Kielwurzel zu kurz und die Kielaufhängung im Boot zu schwach. Konstrukteure und Werften sollten die Bauweise mit längerer Kielwurzel und robuster Kielaufhängung im Schiff sicherer machen und sorgfältiger bauen. Die Zertifizierung wäre in diesem Punkt strenger zu handhaben.
2. Billigheimer
Boote werden anhand des Preises gekauft. Deshalb sparen Lieferanten und Werften beim Einkauf, sprich der Ausstattung. Sie liefern Motoren mit störanfälliger Einkreiskühlung und einem Klemmring für die Saildrive-Manschette aus rostendem Stahl. Üblich sind auch günstige Eisenkiele. Die Boote werden so gebaut, dass sie soeben durch die Gewährleistung kommen. Abgesehen davon, dass Eisenkiele den Schlag einer Grundberührung am Fels nicht wie Blei zumindest etwas abpuffern, sind sie nach einer Weile jedes Jahr immer wieder neu zu entrosten und zu konservieren.
Auch die billigsten Borddurchlässe und Armaturen aus ungeeignetem Baumarktmessing mit hohem Zinkanteil sind bereits nach wenigen Jahren zu ersetzen. Der Wechsel zu geeigneten Armaturen ist mühsam und zeitraubend, weil sie in der Regel schlecht zugänglich sind. Diese Zumutung passt nicht zum Kauf eines Bootes für mehrere hunderttausend Euro.
3. Überforderte Grossschotführung
Beim modernen Grossserienboot gleich welcher Marke sitzt die Grossschot auf halber Länge des Grossbaums vor dem Niedergang. Diese Variante stört das Bordleben nicht, verdoppelt jedoch die Kräfte gegenüber der herkömmlichen Schotführung am Ende des Grossbaums. Bei der gezeigten Hanse 510 sitzen die Blöcke noch ungünstiger, gleich hinter dem Baumniederholer. Die Übersetzung mit 4:1 ist sparsam, die Beanspruchung der Blöcke und damit die Reibung an den Umlenkungen enorm. Das 66 qm messende Grosssegel der Hanse 510 ist beim Am-Wind-Kurs kaum zu trimmen. Bei meiner Swede 55 ist das 44 qm Gross bei drei Windstärken soeben noch mit einem Achtfach-Flaschenzug am Baumende zu bedienen.
Bei der heute üblichen Grossserienvariante führt eine versehentliche Halse infolge der spät gebremsten Schwungmasse zum Bruch des Baums auf halber Länge, des Lümmelbeschlags am Mast oder zu abgerissenen Blöcken. Mittlerweile liefern alle Serienhersteller diesen Unsinn. Diese Schotführung ist eine Schönwetterlösung und zum Am-Wind-Segeln ab vier Windstärken nicht geeignet. Die Grossschot eines Segelbootes muss reaktionsschnell zu fieren und problemlos dichtzunehmen sein. Sie ist die Bremse und das Gaspedal an Bord.
Wie ist das Boot gebaut?
4. Kunden für blöd verkaufen
Wir kennen Karbon vom Bogenschiessen, Tennisschlägern, Rennrädern, Mountainbikes, Formel-1-Rennautos, Ruderbooten und natürlich von Regattabooten. Wie der Name sagt, bestehen die Erzeugnisse komplett oder überwiegend aus Kohlenstofffaser, kurz Kohlefaser oder Karbon genannt. Unter idealen Bedingungen mit präzise dosiertem Epoxidharzanteil verarbeitet, entstehen so beeindruckend leichte Rümpfe, Decks, Kielflossen, Ruderblätter, Masten oder Bäume. Karbonyachten stehen für Hightech.
Es geht um das Leistungsgewicht. Entscheidend ist, dass auch das Interieur leicht ist und das Boot auch sonst gewichtsoptimiert ausgestattet ist. Sonst ist der Gewichtsvorteil der Karbonbauweise futsch. Je agiler das Boot insgesamt ist, desto besser. Ob Sie diesen enormen Aufwand für den üblichen Sommertörn um die Balearen und den Abstecher nach Sardinien brauchen und bezahlen müssen, ist eine andere Frage.
Die norddeutsche Bootsmarke YYachts bietet „Fast Luxury Carbon Superyachts“ an. Allerdings handelt es sich hierbei um in Polen laminierte Sandwichboote aus Glasfaser, üblichem Harz und Schaum, die lediglich teilweise mit Karbon verstärkt sind. Das ist ein Unterschied zu Karbonerzeugnissen, die massgeblich bis komplett aus Karbonfaser mit dem dazu passenden Epoxidharz über einem Waben- oder Schaumkern entstanden. Gebaut von Spezialisten, die lange im Thema sind, die im eigenen Betrieb laminieren und entsprechende Kontrolle über die Qualität des Laminats haben. Es sind Bootsbauer, die diesen massgeblichen Fertigungsschritt des Hightech-Bootsbaues selbst leisten.
Ich habe für Werftgründer Michael Schmidt 2014 bei der Präsentation seines ersten Bootes vom Typ Brenta 80 namens „Cool Breeze“ gearbeitet, ihn bei der Suche nach einem neuen Werftstandort unterstützt und Schmidt auf den Bootskonstrukteur Bill Tripp aufmerksam gemacht.
Der Drive und Erfolg des norddeutschen Machers Schmidt verdient Respekt: Gründung von Hanse Yachts 1990, vorübergehend über tausend Arbeitsplätze in Greifswald und Polen. Seit 2017 dann Aufbau der Marke YYachts. Wie nun folgende Zahlen zeigen, liefert Yachts im Vergleich zur Konkurrenz bis zu doppelt so schwere Boote:
- die im Herbst 25 angekündigte Y7 von YYachts mit 22 × 6 m soll leer 33,8 t wiegen
- die Swan 65 der finnischen Werft Nautor’s Swan mit 20 × 5 1/2 m wiegt 27 t
- die Baltic 67 der finnischen Baltic Werft ähnlicher Grösse wiegt 24,4 t
- die Shipman 72 der slowenischen Seaway Werft mit 22 × 5 1/2 m wiegt 23 t
- die Baltic 68 Custom wiegt bei 22 × 5 m 16,4 t
Segelyacht ohne Platz für Fender und Festmacher
5. Messeboot
Das Ausstellungsboot bietet maximalen Platz unter Deck und beeindruckend viele Schubladen, Schränke und Kojen. Die werden von der Fachpresse neuerdings ernsthaft wie der Kofferraum beim Auto „ausgelitert“. Deshalb wurde bei der RM 1380 der Stauraum für Fender und Festmacher weggelassen. Fällt auf dem Messestand nicht weiter auf, weil man die da nicht braucht.
6. Boote mit Vorbau
Jedes moderne Spass-, Regatta- und auch Tourenboot ist heute mit einem ausfahrbaren Rüssel oder starrem Vorbau unterwegs. Da lässt sich der Code Zero aussenbords vor dem Bug setzen. Beim Tourenboot hängt der Anker einsatzbereit aussenbords. Leider kann man damit ohne Helfer am Steg mit den heute üblichen hochbordigen Booten vorwärts nicht mehr anlegen. Versuchen Sie nicht, über diesen Vorbau zu balancieren und an Land zu gehen. Und vergessen Sie es wieder an Bord zu kommen. Sie legen also rückwärts an, wie es im Mittelmeer, in Häfen mit reichlich Tiefgang für das empfindliche Ruderblatt und bei grossen Pötten üblich ist. Wenn Ihnen zu jeder Tages- und Nachtzeit jeder in die Plicht und Kajüte gucken dürfen, ist das okay. Möchten Sie im Hafen gern ihre Ruhe und Blick aufs Wasser haben, legen Sie wie gehabt vorwärts mit einem Boot an, wo das geht.
Haben Franzosen kürzere Füsse?
7. Kreative Modellbezeichnung
Boote werden anhand ihrer Länge in Fuss bezeichnet, sinnvollerweise anhand ihrer Deckslänge, weil sich der Klüverbaum oder Vorbau mit Ankerhalterung meist abnehmen lässt. Da weiss jeder, woran er ist. Die französische Dufour-Werft bezeichnet das aktuelle 32-Fuss-Modell als Dufour 37. Tatsächlich ist das Boot mit Vorbau 10,77 m, also 35 Fuss lang. An Deck sind es 10 m, somit 32 Fuss. Haben Franzosen kürzere Füsse?
Die Sache mit dem V-Bug
8. Marketing-Quatsch
Moderne Serienboote werden über ihr Platzangebot verkauft. Nachdem die volle Breite in den vergangenen Jahren bis achtern durchgezogen wurde, werden die aktuellen Modelle jetzt vorn breiter. Das Volumen vorn bietet erstens eine halbwegs symmetrische Wasserlinie bei Schräglage. Zweitens geht vorn mehr rein. Bavaria, Hanse und Jeanneau gehen diesen Weg konsequent. Im Vorschiff der Bavaria 42 C steckt im klobig abgerundeten Vorschiff ein 1,80 m breites und 2,30 m langes Doppelbett im King-Size-Format. Damit sich die Wuchtbrumme verkauft, nennen die Marketingmenschen von Bavaria ihn ernsthaft V-Bug. Diesen Begriff kannte man bisher von Klassikern mit schnittig schlanken Vorschiffspartien. Was für ein Unsinn.
9. Genuaschiffe
Die Fahrtenboote der Siebziger und frühen Achtzigerjahre, etwa die mittlerweile klassischen Sparkman & Stephens-Konstruktionen der Marke Nautor’s Swan, sind tolle Schiffe mit dem gewissen Etwas. Sie sind anders als die Bavaria, tatsächlich V-spantig mit überzeugenden Rauhwassereigenschaften, nachweislich grundberührungssicher, beeindruckend schnell und von vorn bis achtern Hingucker.
Es waren anhand der damals angesagten International Offshore Rule (IOR) von den Regattabahnen zum Fahrtensegeln übernommene Konstruktionen, die infolge des kleinen, günstig vermessenen Grosssegels auf riesige Genua-Vorsegel angewiesen sind. Das lohnte sich zwar anhand der IOR-Vermessung, ist jedoch zum Fahrtensegeln komplett ungeeignet.
Eine mittelgrosse Swan dieser Ära mit einer 60 bis 80 Quadratmeter grossen Genua unterwegs. Niemand geht bei 5 Windstärken freiwillig nach vorn, um das Segel zu bergen, wegzupacken und durch eine Fock zu ersetzen. Sie brauchen eine Rollreffanlage – mit fürchterlichem Segelstand, siehe Beispiel 11 zum Thema Steilmarkisentechnik. Wegen der Segelgrösse und Kräfte sind sie elektrisch oder hydraulisch betrieben, siehe Punkt 12. Irreführendes Marketing, etwas Regattakonstruktionen als Tourenboote anzubieten, hat Tradition.
10. Schlecht manövrierbare Segelyachten
Mit flächiger Bordwand und hohen Aufbauten über einem unten flachen Rumpf und kurzer Kielflosse treibt die moderne Segelyacht beim langsam gefahrenen Hafenmanöver sofort ab. Es ist an einem windreichen Tag heikel, in die Box zu kommen, und morgens, ohne anzuecken, wieder heraus. Abenteuerlich sind moderne Boote mit Doppelruderanlage, weil das Schraubenwasser das Ruderblatt nicht anströmt. Es ist ein Kunststück, solche Boote rückwärts an den Liegeplatz zu bringen. Mit Bugsierhilfe von aussen, Bug- und Heckstrahlruder gelingt es vielleicht. Sie ist für die ungeübte Crew nicht geeignet.
Reffen mit Steilmarkisentechnik
11. Rollreffanlagen
Hier wird das Segeltuch, wie daheim die Markise, an der Rollstange aus- oder eingewickelt und gerefft. Das klappt mit der Markise zu Hause gut, weil Markisen kein Profil haben. Wird das Segel nun bei zunehmendem Wind teilweise eingerollt, hängt es wie ein Sack an der Rollstange, weil die Rollanlage den Bauch im Segel nicht mitnimmt. Nun sind Sie aber gerade bei vorlichem Wind und viel Wind auf ein flaches Segelprofil angewiesen. Mit diesem Systemfehler der Rollreffanlage sind Sie seglerisch in der Ära der Koggen unterwegs. Damit wird alles bis 2 1/2 Windstärken motort. Ebenso jeder Kreuzkurs ab 5 Windstärken.
Den katastrophalen Stand dieser Steilmarkisentechnik sehen Sie unterwegs auf dem Wasser, beim Händler am Messestand nicht. Hinzu kommt, dass Segel an Rollreffanlagen eine kurze Lebensdauer haben. Teils aufgewickelt sind sie am Achter- und Unterliek arg strapaziert und bereits nach wenigen Stunden hin. Monatelang aufgewickeltes Segeltuch verspakt und wird mürbe. Richtig teuer wird der Spass mit den heute beliebten Foliensegeln. Die sind bereits nach wenigen Jahren reif für die Tonne.
Zwei hintereinander sitzende Rollanlagen beheben dieses Problem teilweise. An der Vorderen wird ein Leichtwindsegel ausgerollt, bei zunehmendem Wind komplett aufgewickelt und durch die dahinter ausgerollte Fock ersetzt. Das erspart Ihnen den katastrophalen Segelstand und den Verschleiss der Rollreff-Funktion. Es funktioniert, bis es weiter aufbrist und Sie, das nächstkleinere Tuch, eine Sturmfock brauchen. Dann motoren Sie wie beschrieben mit eingerollten Segeln.
Abgenudelte und verschmutzte Lager mit überlasteten oder abgerissenen Bergeleinen erschweren den Betrieb. Ihre Sicherheit hängt an einer erstaunlich dünnen, verschlissenen und absehbar reissenden Bergeleine. Bei Sturm hören und sehen Sie in jedem Hafen losgewehte, schlagende und bald zerfetzte Rollsegel.
Rollreffanlagen sind Teil des werftseitigen Versprechens, Segeln bequem und sicher zu machen. Wenn Sie die geschilderten Nachteile in Kauf nehmen, seglerisch bescheidene Ansprüche haben und sich regelmässig neue Segel leisten können, ist es okay. Ansonsten ist es eine blöde Idee.
Um Himmels willen kein Rollgross
Schlechter als die Vorsegelrollreffanlage ist das Rollgross. Es hat nicht das seglerisch wünschenswerte, sondern ein flacheres Profil zugunsten der Rollreff-Funktion. Das Segel hat weniger Fläche und keine Trimm-Möglichkeiten. Es ist im richtigen Windanschnitt vorsichtig einzurollen. Eine Weile lässt es sich passabel rollen. Mit der Zeit verzieht sich das Segel, bildet Falten auf der Rollstange und klemmt im Mast. Dann lässt es sich weder ein- noch ausrollen. Es ist eine teure, störanfällige und auch gefährliche Lösung, wenn Sie das Segel im Sturm nicht mehr bergen können. Das kommt regelmässig vor. Schlimmstenfalls ist der flatternde Rest am Mast abzuschneiden.
Zum Bergen und Verkleinern der Segelfläche brauchen Sie eine fehlbedienungssichere, auch bei Dunkelheit und Sturm funktionierende Reffvorrichtung. Beim Grosssegel üblicher Grösse gibt es zum herkömmlichen Bindereff keine Alternative. Es wurde in den Siebzigerjahren von namhaften Mastenbauern wie Seldén zum Schnellreff perfektioniert. Ohne komplexes Innenleben ist es einfach und verständlich aufgebaut. Es funktioniert immer. Robuste Beschläge und Umlenkrollen am Baum, eine überdimensionierte Reffleine aus zugfestem Dyneema und eine alleine in der sicheren Plicht zu bedienende selbstholende Zweigang-Winsch in geeigneter Grösse – und das Segel ist schneller reduziert, als mit dem Rollreff im Mast. Wenn Sie im Sturm reffen, muss es flott gehen, weil das schlagende Segel leidet, Latten aus dem Achterliek fliegen oder es die Reffösen vom Baum reisst. Habe ich alles schon erlebt. Der Rollmast ist eine Katalog- und Schönwetterlösung, die Charter-, Urlaubs- und Blauwassertörns ruiniert. Er blockiert ihre seglerische Weiterentwicklung vom Einsteiger zum routinierten Segler. Sie müssen dann ein anderes Boot kaufen.
Bei Starkwind brauchen Sie eine flach geschnittene Sturmfock aus schwerem Tuch und ein Grosssegel mit drei Reffreihen. In einer plötzlich aufziehenden Wetterfront, einer Bora, einem Mistral, Tramontana brauchen Sie ohne Wenn und Aber Funktion. Nach herkömmlicher Definition gilt eine Segelyacht dann als seetauglich, wenn sie bei Starkwind noch in den Schutz einer Küste kreuzen kann.
Wenn Sie sich für eine Vorsegelrollanlage entscheiden, achten Sie auf ein Qualitätsprodukt einer Marke, wo die Ersatzteilversorgung gewährleistet ist. Entscheidend ist, dass sich das Segel problemlos in die Rollstange einfädeln und herausziehen lässt. Sei es, um das Segel aus der Sonne zu nehmen, sei es, um ein zum Wind passendes Tuch anzuschlagen. So erreichen Sie einen halbwegs segelschonenden Betrieb und bleiben bei der Vorsegelwahl bis hin zur Sturmfock variabel. Legen Sie sich eine zweite Bergeleine sicherheitshalber an Bord. Sie ist ein Verschleissteil.
12. Boote für Geisterfahrer
Deckssalonboote bieten aus der angehobenen und ringsum verglasten Kajüte Blick nach draussen, was dem Bordleben zugutekommt. Es ist interessant, was sich die Bootsbauer von Hanse Yachts da für den Relaunch der englischen Bootsmarke Moody ausgedacht haben. Quasi ebenerdiger Durchgang vom Cockpit in den Deckssalon, Küchenzeile, Salon, Esstisch und Naviecke oder Boatoffice mit Panoramablick. All das auf verblüffend wenigen Metern Bootslänge. Noch kompakter, nämlich auf ganzen 35 und 40 Fuss Bootslänge, bekommt es die Sirius Werft mit ihrer handwerklich weithin geschätzten Deckssalon-Range hin.
So eine schwimmende Ferienwohnung hätte ich an Regentagen oder an einem idyllischen Ankerplatz auch gern. Wäre da nicht der hohe Aufbau, der den Blick vom Steuerstand nach vorn erschwert. Sie sehen allein auf Zehenspitzen oder mit Verrenkungen seitlich am Aufbau vorbei, was sich vor dem Boot abspielt. Sie haben die Hinterkante des Aufbaus vor der Nase wie einen Lkw im Stau.
Es ist gefährlich, so ein verbautes Boot bei Dunkelheit, in engen Fahrwassern, bei Gegenverkehr und Hafenmanövern zu steuern. Ich habe zugunsten der Übersicht sogar die Sprayhood auf meinem Boot abgenommen, weil ich auch im Sitzen sicherheitshalber über das gesamte Schiff nach vorn gucken möchte. In der Ostsee schwimmen überall Fischerbojen und Tonnen, stehen in Ufernähe Pfähle herum.
Bei der Liegeplatzsuche und beim Anlegen gerade in fremden Häfen, ist es unverzichtbar, den Abstand vom Bug voraus zum Land und zu Nachbarbooten zu erkennen. Gerade im Dunkeln am Steuer sind Sie auf Ihre Sinne und Überblick angewiesen.
Paddler, kleine Motorboote werden auch an Bord üblicher Boote öfter übersehen, angerempelt oder überfahren, als den Steuerleuten lieb ist. Der versierte Seesegler Ted Hood erklärte mir einmal, dass man vom Steuer aus wenigstens das vordere Viertel des Vordecks gut überblicken soll. Es ist eine blöde Idee, diesen sicherheitsrelevanten Punkt zu vergessen.
Wenn der Techniker ständig kommt
13. Teurer Betrieb
Beim aufwendig mit moderner Technik ausgestatteten Boot richten Sie gleich mehrere Wartungsabos ein: für den Autopilot, die Joystick-Steuerung, das BUS-System, die Hydraulik, das neuerdings übliche Bug- und Heckstrahlruder, ein modernes Motormanagement bis zu Motorwinschen. All das benutzen Sie als ansonsten vollbeschäftigter Eigner Ihres Segelbootes am fernen Liegeplatz in Ihrer knappen Freizeit selten – sofern Sie überhaupt aus dem Hafen kommen. Ganz einfach, weil mal dies, mal das nicht geht. Viele Dinge stehen sich kaputt. Der Servicemann Ihres Vertrauens kommt zum gepflegten Stundensatz wegen jedem Furz – sofern er Zeit hat.
Fazit: Der moderne Bootsbau, die ihm verpflichtete Presse und auf Äusserlichkeiten abonnierte Social Media lenken mit Design, Chichi und Trends von zentralen Fragen ab. Ob das Boot hält, was Ihnen das Marketing verspricht, finden Sie dann später selbst heraus. Boote sind Kompromisse aus widersprüchlichen Erwartungen. Jeder davon hat seinen Preis. Überlegen Sie, welche davon Sie zahlen möchten. Wo ist Ihr Schwerpunkt? Bei der Sicherheit? Bei seglerischen Gesichtspunkten, der Handhabung, den langfristigen Kosten Ihres Bootes? Wieviel Geld und Zeit haben Sie absehbar zur Zahlung des Systempreises moderner Grossserienerzeugnisse? Ist ein Gebrauchtboot einer bestimmten Ära die bessere Variante?
Basteln und Zahlen oder Segeln? Unter dem Strich geht es um den Nutzwert während weniger wertvoller, idealerweise unvergesslicher Wochenenden, Wochen und Monate, die Sie mit Freunden oder der Familie an Bord verbringen.
Was können Sie tun? Das meiste erschliesst sich anhand der genannten Punkte bereits mit Ihrem klaren Menschenverstand. Bohren Sie das Thema Bauweise mit gründlicher Lektüre der Baubeschreibung auf. Sie ist im Unterschied zum Marketing und Social Media Vertragsbestandteil. Bei Unsicherheiten fahren Sie zur Werft, besichtigen Sie das Objekt Ihrer Begierde mit einem unabhängigen Gutachter. Hier kommt in erster Linie ein Bootsbauer infrage.
