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Dumme Ideen im Segelyachtbau
Gefährliche Bauweise, irreführendes Marketing, wartungsintensive Schönwetterausstattung

Ein differenzierter Blick auf die Benutzbarkeit moderner Segelyachten: anfällige Bauweise, Pfusch und Pfennigfuchserei zulasten des Eigners. Schlecht zu betretende und überblickbare Boote. Schönwetterlösungen und dauerhaft teure Ausstattung.
Von Erdmann Braschos
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Nutzerfreundlichkeit bei Hafenmanövern, Zugänglichkeit, Sicht nach vorn, Besegelung
- wie Einsteiger, Seltensegler, Paare und Charterer unnötig überfordert werden
- Sollbruchstelle Kielaufhängung
- Kiel aus Gusseisen statt Blei
- wie beim zunächst unscheinbaren und auf Dauer pflegeintensiven Detail geknausert wird
- Irreführende Angaben zur Bauweise und Länge
- Performance- und Spasskiller Rollreffanlage
- Schönwetterausstattung
- was Sie als Bootskäufer machen können
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Bei Segelyachten hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Die Breite limitiert die Schräglage und bietet Platz. Moderne Boote wurden clever auf das Bordleben zugeschnitten, punkten mit beeindruckendem Komfort, teilweise sogar mit Panoramablick von innen. Die Grossschot ist aus der Plicht verschwunden, lästige Backstagen sind Geschichte, neuerdings wird sogar das Achterstag abgeschafft. Eine permanente Beschattung der Plicht schützt vor der Sonne. Rollanlagen erleichtern die Handhabung und machen grosse Yachten für kleine Crews überhaupt erst möglich.
Dennoch sind sie bei näherem Hinsehen erstaunlich unpraktisch. Obwohl für Einsteiger, Gelegenheitssegler und Charterer gedacht, sind sie im Hafen schlecht zu handhaben, mit störanfälliger Ausstattung unterwegs und bereits nach leichten Grundberührungen kaputt. Machen Sie sich anhand der folgenden Beispiele selbst ein Bild.
1. Riskante Kiele
Moderne Segelyachten sind für Einsteiger, Gelegenheitssegler, Charterer und Familien gedacht. Nun sind Grundberührungen bekanntlich beim Ankern, durch fehlende Praxis, falsche Tiefenangaben auf dem Plotter, zu nah am Land gesetzte Wegepunkte oder ein Missgeschick beim Steuern üblich. Ausgerechnet dafür sind die Boote leider nicht geeignet.
Schauen wir uns das näher an: Moderne Segelboote sind mit einem flachen Rumpf und einer separaten Kielflosse unterwegs. Der Kiel ist unter einem Gerippe aus mehreren Längs- und Querbalken montiert. Sorgfältig auf den Rumpf laminiert, werden die Stringer und Bodenwrangen dieser sogenannten Bodengruppe zu einer belastbaren Einheit mit der nötigen Festigkeitsreserve. Dann hält der Kiel den seitlichen Kräften beim Segeln, beim Absetzen des Bootes an Land und meist auch einer Grundberührung stand. Und ausgerechnet an dieser Sorgfalt fehlt es.
2. Pfusch bei der Kielaufhängung
Moderne Boote mit kurzer Kielwurzel, gemeint ist der Übergang vom Kiel zum Rumpf, sind hier auf den Idealfall einwandfreien Bootsbaues angewiesen. Der Hebel beim Aufsetzen ist lang, die Kielwurzel, wo die Kräfte in den Rumpf gelangen, kurz. Entscheidend ist, wie die Bodengruppe laminiert ist. Sie ist die Achillesferse moderner Boote. Nun wird angesichts der Renditeerwartungen ausgerechnet unter den Bodenbrettern der Kajüte gespart, dort, wo der Kunde nicht hinguckt. Bis in die jüngste Vergangenheit gehörten fast alle grossen Serienhersteller Heuschrecken.
Die Grundberührung gehört zur üblichen Nutzung einer Yacht
Wurde die Bodengruppe wie eine Badewanne in weithin bekannter Sanitärtechnik einfach nur im Rumpf abgesetzt, das Ganze mit Fugenfüller aus der Kartusche verklebt und der Übergang abschliessend mit Topcoat zugeschmiert? Dann hält es im Prospekt, auf dem Messestand, beim Bootshändler und am Liegeplatz. Beim Segeln pendelt der Kiel im Seegang unter dem Boot. Es gibt Billigfabrikate, bei denen der Kiel des unter dem Kran hängenden Bootes ernsthaft von Hand seitlich hin und her bewegt werden kann.
Beim Absetzen des Bootes im Winterlagerbock drückt der Kiel dann den Rumpf nach oben und bildet eine Beule. Schon nach einer üblichen Grundberührung bei langsamer Fahrt gibt es Risse, hat das Laminat einen Knacks.
In diesem Fall ist das Boot stillzulegen und zu reparieren, sofern es angesichts des Aufwands nicht als Totalschaden abgeschrieben wird. Werften sind da nach Ablauf der Gewährleistung aussen vor oder reden sich raus. Sie als Eigner müssen beweisen, dass es an der mangelhaften Bauweise liegt und nicht an einer heftigen Grundberührung, was schwer bis unmöglich ist. Versicherungen regulieren bis 5000 EUR zügig, darüber wird es zäh. Beauftragte Gutachter ziehen die Reparatur des Schadens mit Formalien in die Länge, sofern es überhaupt Sache der Versicherung ist. Ich kenne einen aktuellen Fall, bei dem sich die Präliminarien zur Reparatur eines Kielschadens über Monate hinzogen. Erst nach Einschaltung eines yachtbaulich bewanderten Anwalts kam Bewegung in die Sache. Der Eigner durfte 2 1/2 Segelsaisons auf die Nutzung seines Bootes warten. Jahre, in denen er weiterhin für den Liegeplatz und die Versicherung seines Bootes zahlte.
Torsten Conradi vom renommierten Yachtkonstruktionsbüro Judel/Vrolijk & Co zufolge kann man „moderne Boote mit dem heute üblichen flachen U-Spant mit eingelegter Bodengruppe sicher bauen, sofern der Kielbereich sorgfältig (d. h. gemäss Zeichnung) laminiert ist. Dabei müssen die Kielbolzen entweder durch die Träger der Bodenwrangen gezogen sein, was aus Platzgründen selten möglich ist, oder man gestaltet die Bodenwrangen so, dass es geht.“ Es wäre mit angehobenen Bodenbrettern zulasten der Stehhöhe in der Kajüte möglich. Alternativ kann man die Kielbolzen in einem zusätzlich angebrachten Winkellaminat von der Bodenwrange zum Rumpf montieren. Auch das wird leider selten gemacht. Diesen Aufwand treiben allenfalls Qualitätswerften. Das obige Foto zeigt die Bohrungen der Kielbolzen zwischen den Bodenwaren im unverstärkten Rumpf. Bekannt wurde die Problematik 2005, nachdem bei einer Bavaria 42 Match in der Adria der Kiel abgefallen war, das Boot kenterte und ein Segler ertrank. Diese Bauweise ist eine richtig doofe Lösung.
Bei Kunststoffbooten wird ständig über Osmose geredet. Ein Unterwasserschiff können Sie mit Fleiss bei vertretbarem Aufwand selbst schützen. Die Reparatur eines strukturellen Schadens einer modernen Kunststoff-Segelyacht reparieren Sie selbst nicht. Gfk-Schleifen ist sehr ungesund, es ist ekelhafte Asbest-Klasse. Schauen Sie sich daher den Kiel an.
Bis in die Siebzigerjahre gab es gemässigt moderne Unterwasserschiffe mit flächigem Übergang vom Rumpf zum Kiel. Diese Bauweise verzeiht leichte, mittlere und sogar heftige Grundberührungen. Beim modernen Serienboot ist die Kielwurzel kurz und die Kielaufhängung im Boot schwach. Konstrukteure und Werften sollten die Bauweise mit längerer Kielwurzel und robuster Kielaufhängung im Schiff überarbeiten und sorgfältiger bauen. Die Zertifizierung mit sogenannter Typprüfung, wo ein Gutachter sich die Zeichnungen anschaut, vielleicht einen Prototypen anschaut und die Werft danach frei Schnauze fertigt, ist keine gute Idee.
Blei halbiert die Kraft einer Grundberührung. Eisen gibt den Schlag komplett weiter
3. Sparen zulasten des Eigners
Boote werden anhand des Preises gekauft. Deshalb sparen Lieferanten und Werften beim Einkauf, sprich der Ausstattung. Die Boote werden so gebaut, dass sie soeben durch die Gewährleistung kommen. Werften liefern Motoren mit störanfälliger Einkreiskühlung und einem Klemmring für die Saildrive-Manschette aus rostendem Stahl.
4. Kiele aus Eisen statt Blei
Üblich ist auch der Kiel aus Gusseisen statt Blei. Eisen kostet die Hälfte von Blei. Das ist schön für die Werft, aus folgenden Gründen für Sie als Bootseigner blöd.
- Ein Segelboot braucht einen möglichst tiefen Ballastschwerpunkt. Gusseisen wiegt etwa 2/3 von Blei. Da wandert der Ballastschwerpunkt bei gleichem Tiefgang ungünstig nach oben.
- Eisen gibt den Schlag einer Grundberührung auf einen Stein 1:1 ins Boot weiter, Blei verformt sich und puffert etwa die Hälfte des Aufpralls mit der „Knautschzone“ ab. Beim Bleikiel schliessen Sie die Delle mit Epoxidspachtel und vergessen das Malheur. Bei Eisen hat die ab Werft heikle Kielaufhängung einen Knacks.
- es gibt keine schlechtere Kombi als rostender Stahl und Salzwasser. Der Eisenkiel ist regelmässig zu entrosten und konservieren. Der Eisenkiel ist als zusätzlicher Programmpunkt im Winterlager eine dauerhaft doofe Idee.
Wenn Sie den Eisenkiel Ihres Bootes nicht selbst regelmässig abbürsten, sandstrahlen und bei passenden Temperaturen mit einem speziellen Primer anmalen, zahlen Sie den Systempreis dieser Billiglösung mit dem in Punkt 15 genannten Wartungsabonnement. Die Servicebetriebe unserer Bootslager leben davon.
Wer billig kauft, kauft zweimal
Auch die im Einkauf billigsten Borddurchlässe und Armaturen aus ungeeignetem Baumarktmessing mit hohem Zinkanteil von 40 statt 15 Prozent sind bereits nach fünf Jahren zu ersetzen. Der Wechsel ist mühsam und zeitraubend, weil sie in der Regel schlecht zugänglich sind. Sie kaufen also ein Boot für mehrere hunderttausend Euro und sollen ernsthaft binnen weniger Jahre sämtliche Armaturen erneuern? Lesen Sie den Artikel, warum Baumarktmessing nicht an Bord gehört. Die Werbung verspricht einen Freizeitgegenstand zur entspannten Nutzung und liefert Probleme. Es ist eine Zumutung nach dem weithin bekannten Motto: Wer billig kauft, kauft zweimal. Immerhin hat Bavaria diese bescheuerte Praxis abgestellt. Sie verbaut seit einer Weile Kunststoff-Armaturen.
5. Überforderte Grossschotführung
Beim modernen Grossserienboot gleich welcher Marke sitzt die Grossschot auf halber Länge des Grossbaums vor dem Niedergang. Zwar störte diese Variante das Bordleben nicht, verdoppelt aber die Kräfte gegenüber der herkömmlichen Schotführung am Ende des Grossbaums. Bei der gezeigten Hanse 510 sitzen die Blöcke noch ungünstiger, gleich hinter dem Baumniederholer. Die 4:1 Übersetzung ist sparsam, die Beanspruchung der Blöcke und damit die Reibung an den Umlenkungen enorm. Das 66 qm messende Grosssegel der Hanse 510 ist beim Am-Wind-Kurs kaum zu trimmen. Bei meiner Swede 55 ist das 44 qm Gross bei drei Windstärken soeben noch mit einem Achtfach-Flaschenzug am Baumende zu bedienen. Das muss ich mit gezieltem Anluven bereits tricksen, um es dicht zu bekommen.
Bei der heute üblichen Grossserienvariante führt eine versehentliche Halse zum Bruch des Baums auf halber Länge, des Lümmelbeschlags am Mast, oder zu abgerissenen Blöcken. Die vorn angebrachte Grossschot bremst die enorme Schwungmasse spät. Mittlerweile liefern alle Serienhersteller diesen Unsinn. Die Schotführung ist eine Schönwetterlösung und zum Am-Wind-Segeln ab vier Windstärken ungeeignet. Die Grossschot eines Segelbootes muss reaktionsschnell zu fieren und problemlos dicht zunehmen sein. Sie ist die Bremse und das Gaspedal an Bord.
Die innovative Verwendung von leichtem Carbon
6. Kunden für blöd verkaufen
Wir kennen Karbon vom Bogenschiessen, Tennisschlägern, Rennrädern, Mountainbikes, Formel-1-Rennautos, Ruderbooten und natürlich von Regattabooten. Wie der Name sagt, bestehen die Erzeugnisse komplett oder überwiegend aus Kohlenstofffaser, in Kurzform Kohlefaser oder Karbon genannt, wird unter idealen Bedingungen mit einem präzise dosierten Anteil an Epoxidharz verarbeitet. So entstehen beeindruckend leichte Rümpfe, Decks, Kielflossen, Ruderblätter, Masten oder Bäume. Entscheidend dabei ist der minimale Harzanteil. Karbonyachten stehen für Hightech.
Es geht um das Leistungsgewicht. Entscheidend ist, dass das Boot gewichtsoptimiert entwickelt und vor allem ausgestattet ist. Sonst ist der marginale Gewichtsvorteil der Karbon Bauweise des Kasko, bestehend aus Rumpf und Deck, gegenüber all den Extras und dem Innenausbau futsch. Je agiler das Boot insgesamt ist, desto besser. Ob Sie diesen enormen Aufwand für den üblichen Sommertörn um die Balearen und den Abstecher nach Sardinien brauchen und bezahlen müssen, ist eine andere Frage.
Die norddeutsche Bootsmarke YYachts bietet „Fast Luxury Carbon Superyachts“ an. Tatsächlich handelt es sich hierbei um in Polen laminierte Sandwichboote aus Glasfaser, Epoxidharz und Schaum, die lediglich teilweise mit Karbon verstärkt sind. Das ist ein Unterschied zu Karbon Erzeugnissen, die massgeblich bis komplett aus Karbonfaser entstanden und beeindruckend leicht sind. Gebaut von Spezialisten, die lange im Thema sind, die im eigenen Betrieb laminieren und dadurch erst die entsprechende Kontrolle über die Qualität des Laminats haben. Es sind Bootsbauer, die diesen massgeblichen Fertigungsschritt des Hightech-Bootsbaues selbst leisten.
Ich habe für Werftgründer Michael Schmidt 2014 bei der Präsentation seines ersten Bootes vom Typ Brenta 80 namens „Cool Breeze“ gearbeitet, ihn bei der Suche nach einem neuen Werftstandort unterstützt und Schmidt auf den Bootskonstrukteur Bill Tripp aufmerksam gemacht. Wie nun folgende Zahlen zeigen, liefert YYachts im Vergleich zur Konkurrenz bis zu doppelt so schwere Boote:
- die im Herbst 25 angekündigte Y7 von YYachts mit 22 × 6 m soll leer 33,8 t wiegen
- die Swan 65 der finnischen Werft Nautor’s Swan mit 20 × 5 1/2 m wiegt 27 t
- die angekündigte Y6 von YYachts mit 20 x 5,75 m soll leer 25,9 t wiegen
- die Baltic 67 der finnischen Baltic Werft ähnlicher Grösse wiegt 24,4 t
- die Shipman 72 der slowenischen Seaway Werft mit 22 × 5 1/2 m wiegt 23 t
- die Baltic 68 Custom wiegt bei 22 × 5 m 16,4 t
Bei allem Respekt für den Drive und Erfolg des norddeutschen Machers Schmidt: Gründung von Hanse Yachts 1990. Vorübergehend über tausend Arbeitsplätze in Greifswald und Polen. Seit 2017 dann Aufbau der Marke YYachts: Der Erfolg des Newcomers YYachts in der 20 bis 30 m-Bootsklasse erklärt sich weniger aus der Hightech-Bauweise mit (Zitat) „innovativer Verwendung von Carbon“ sondern mit dem Preis. Eine YYacht kostet etwa die Hälfte einer vergleichbaren Baltic oder Swan.
Segelyacht ohne Platz für Fender und Festmacher
7. Messeboot
Das Ausstellungsboot bietet maximalen Platz unter Deck und beeindruckend viele Schubladen, Schränke und Kojen. Die werden von der Fachpresse neuerdings ernsthaft wie der Kofferraum beim Auto „ausgelitert“. Deshalb wurde bei der RM 1380 der Stauraum für Fender und Festmacher weggelassen. Fällt auf dem Messestand nicht weiter auf, weil man die da nicht braucht.
Auch das sogenannte Inselbett, gemeint ist das von beiden Seiten begehbare Doppelbett, wie wir es zu Hause haben und von Hotels kennen, überzeugt auf dem Messestand oder im Hafen. Unterwegs bei durchsegelten Nächten oder bei der Freiwache tagsüber schnappen Sie sich entnervt ein paar Polster und legen sich irgendwo in den Gang Ihres Bootes.
8. Boote mit Vorbau
Jedes moderne Spass-, Regatta- und auch Tourenboot ist heute mit einem ausfahrbaren Rüssel oder starrem Vorbau unterwegs. Sieht cool aus und der Code Zero lässt sich aussenbords vor dem Bug setzen. Beim Tourenboot hängt der Anker einsatzbereit aussenbords. Leider kann man damit ohne Helfer am Steg mit den heute üblichen hochbordigen Booten vorwärts nicht mehr anlegen. Versuchen Sie nicht, über diesen Vorbau zu balancieren und an Land zu gehen. Und vergessen Sie es wieder an Bord zu kommen. Sie legen also rückwärts an, wie es im Mittelmeer, in Häfen mit reichlich Tiefgang für das empfindliche Ruderblatt und bei grossen Pötten üblich ist. Wenn es okay ist, dass Ihnen zu jeder Tages- und Nachtzeit alle in die Plicht und Kajüte gucken dürfen, fein. Möchten Sie im Hafen gern ihre Ruhe und Blick aufs Wasser haben, legen Sie wie gehabt vorwärts mit einem Boot an, wo das geht.
Haben Franzosen kürzere Füsse?
9. Kreative Modellbezeichnung
Boote werden anhand ihrer Länge in Fuss bezeichnet, sinnvollerweise anhand ihrer Deckslänge, weil sich der Klüverbaum oder Vorbau mit Ankerhalterung meist abnehmen lässt. Da weiss jeder, woran er ist. Die französische Dufour-Werft bezeichnet das aktuelle 32-Fuss-Modell als Dufour 37. Tatsächlich ist das Boot mit Vorbau 10,77 m, also 35 Fuss lang. An Deck sind es 10 m, somit 32 Fuss. Haben Franzosen kürzere Füsse?
Der Quatsch mit dem „V-Bug“
10. Marketing-Bullshit
Moderne Serienboote werden wie Wohnmobile oder Ferienwohnungen über das Platzangebot verkauft. Nachdem in den vergangenen Jahren die maximale Breite von der Mitte bis achtern durchgezogen wurde, werden die aktuellen Modelle jetzt vorn bulliger. Das Volumen im Bug bietet eine halbwegs symmetrische Wasserlinie bei Schräglage. Zweitens geht vorn mehr rein. Bavaria, Beneteau, Hanse und Jeanneau gehen diesen Weg jetzt konsequent. Wie das obige Layout zeigt, bringt das 41 Fuss-Modell von Hanse auf 41 Fuss bis zu sechs Kojen und zwei Bäder unter.
Im Vorschiff der Bavaria 42 C steckt im bulligen Vorschiff ein 1,80 m breites und 2,30 m langes Inselbett im King-Size-Format. Damit sich die Wuchtbrumme verkauft, nennen die Marketingmenschen von Bavaria ihn ernsthaft V-Bug. Diesen Begriff kannte man bisher von Klassikern mit schnittig schlanken Vorschiffspartien. Mit solchem Unsinn wird der Kunde für blöd verkauft.
11. Regattaboote als Tourenyachten verkaufen
Bis in die Siebzigerjahre wurden Boote, die auf den Regattabahnen erfolgreich waren, zum Tourensegeln empfohlen. Leider funktionierten sie nur netto gut, also ohne oder mit spärlichem Kajütausbau. Die mittlerweile klassischen Sparkman & Stephens-Konstruktionen der Marke Nautor’s Swan sind tolle Schiffe mit dem gewissen Etwas. Anders als die Bavaria, sind sie tatsächlich V-spantig, haben überzeugende Rauhwassereigenschaften. Sie sind nachweislich grundberührungssicher, beeindruckend schnell und von vorn bis achtern Hingucker.
Es waren anhand der damals angesagten International Offshore Rule (IOR) entwickelte Konstruktionen, die infolge des kleinen, günstig vermessenen Grosssegels auf riesige Genua-Vorsegel angewiesen sind. Grosse Vorsegel sind zum Fahrtensegeln ungeeignet. Der moderne Segelyachtbau hat diesen Fehler mit besser austarierten Vor- und Grosssegelflächen korrigiert.
Eine mittelgrosse Swan dieser Ära ist mit einer 60 bis 80 Quadratmeter grossen Genua unterwegs. Möchten Sie bei 5 Windstärken vorn das Segel zu bergen und durch eine Fock ersetzen? Sie brauchen eine Rollreffanlage – mit fürchterlichem Segelstand, siehe Punkt 13 zum Thema Steilmarkisentechnik. Wegen der Segelgrösse und Kräfte sind sie elektrisch oder hydraulisch betrieben, siehe Punkt 15. Gewisse formstabil breite X-Yacht-Modelle der 80er Jahren überzeugten nur leer mit reichlich Crew auf der Kante. Voll ausgestattet und ohne eine halbe Tonne in Crewgewicht in Luv liegen sie übel auf der Seite. Sie sehen, irreführendes Marketing gibt es in der Bootsbranche schon lange.
12. Schlecht manövrierbare Segelyachten
Mit flächiger Bordwand und hohen Aufbauten über einem unten flachen Rumpf und kurzer Kielflosse treibt die moderne Segelyacht beim langsam gefahrenen Hafenmanöver sofort ab. Es ist an einem windreichen Tag heikel, in die Box zu kommen, und morgens, ohne anzuecken, wieder heraus. Abenteuerlich sind moderne Boote mit Doppelruderanlage, weil das Schraubenwasser das Ruderblatt nicht anströmt. Es ist unmöglich, solche Boote rückwärts an den Liegeplatz zu bringen. Mit Bugsierhilfe von aussen, Bug- und Heckstrahlruder gelingt es vielleicht. Solche Boote sind für die ungeübte Crew nicht geeignet.
Segeln mit Steilmarkisentechnik
13. Rollreffanlagen und Rollgrosssegel
Hier wird das Segeltuch, wie daheim die Markise, an einer dünnen Rollstange aus- oder eingewickelt und gerefft. Das klappt mit der Markise zu Hause gut, weil Markisen kein Profil haben. Wird das Segel nun bei zunehmendem Wind teilweise eingerollt, hängt es wie ein Sack an der Rollstange, weil die Rollanlage den Bauch im Segel nicht mitnimmt. Da die Darstellung der unbestreitbaren Vor- und gravierenden Nachteile in diesem Artikel zu weit führt, lesen Sie den Beitrag Segelroll- und Rollreffanlagen. Ausser dem Liegeplatz ist die Segelgarderobe auf Dauer der zweitgrösste Kostenpunkt beim Betrieb einer Segelyacht. Lesen Sie dazu den Beitrag Unterhaltskosten Segelyacht.
14. Boote für Geisterfahrer
Deckssalonboote bieten aus der angehobenen und ringsum verglasten Kajüte Blick nach draussen, was dem Bordleben zugutekommt. Es ist interessant, was sich die Bootsbauer von Hanse Yachts da für den Relaunch der englischen Bootsmarke Moody ausgedacht haben. Quasi seniorengerecht barrierefreier, sprich ebenerdiger Durchgang vom Cockpit in den Deckssalon, Küchenzeile und Salon. Esstisch und Naviecke oder Boatoffice mit Panoramablick. All das auf verblüffend wenigen Metern Bootslänge. Noch kompakter, nämlich auf ganzen 35 und 40 Fuss Bootslänge, bekommt es die Sirius Werft mit ihrer handwerklich weithin geschätzten Deckssalon-Range hin.
So eine schwimmende Ferienwohnung hätte ich an Regentagen oder an einem idyllischen Ankerplatz auch gern. Wäre da nicht der hohe Aufbau, der den Blick vom Steuerstand nach vorn erschwert. Sie sehen allein auf Zehenspitzen oder mit Verrenkungen seitlich am Aufbau vorbei, was sich vor dem Boot abspielt. Sie haben die Hinterkante des Aufbaus vor der Nase, wie einen Lkw im Stau.
Nun weiss jeder Segler, dass empfindliche, zur Seekrankheit neigende Naturen eine ungehinderten Blick nach vorne brauchen, damit ihnen nicht oder später übel wird.
Es ist gefährlich, ein derart verbautes Boot bei Dunkelheit, in engen Fahrwassern, bei Gegenverkehr und Hafenmanövern zu steuern. Ich habe zugunsten der Übersicht sogar die Sprayhood auf meinem Boot abgenommen. Ich möchte auch im Sitzen sicherheitshalber über das gesamte Schiff nach vorn gucken. In der Ostsee schwimmen überall Fischerbojen und Tonnen. In Ufernähe stehen Pfähle im Wasser.
Bei der Liegeplatzsuche und beim Anlegen gerade in fremden Häfen, ist es unverzichtbar, den Abstand vom Bug voraus zum Land und zu Nachbarbooten zu erkennen. Gerade im Dunkeln am Steuer sind Sie auf Ihre Sinne und Überblick angewiesen. Der versierte Seesegler Ted Hood erklärte mir einmal, dass man vom Steuer aus wenigstens das vordere Viertel des Vordecks gut überblicken soll. Es ist eine blöde Idee, diesen sicherheitsrelevanten Punkt zu vergessen.
Wenn der Techniker ständig kommt
15. Teurer Betrieb
Beim aufwendig mit moderner Technik ausgestatteten Boot richten Sie gleich mehrere Wartungsabonnements ein: für den Autopilot, die Joystick-Steuerung, das BUS-System, die Hydraulik, das neuerdings übliche Bug- und Heckstrahlruder, das moderne Motormanagement bis zu Motorwinschen. All das benutzen Sie als ansonsten vollbeschäftigter Eigner Ihres Segelbootes am fernen Liegeplatz in Ihrer knappen Freizeit selten – sofern Sie überhaupt aus dem Hafen kommen. Ganz einfach, weil mal dies, mal das nicht geht. Viele Dinge stehen sich kaputt. Der Servicemann Ihres Vertrauens kommt zum gepflegten Stundensatz wegen jedem Furz – sofern er Zeit hat. Lesen Sie dazu den Beitrag Betriebskosten dämpfen.
Fazit: Der moderne Bootsbau, die ihm verpflichtete Presse und auf Äusserlichkeiten abonnierte Social Media lenken mit Chichi und Trends von zentralen Fragen ab. Ob das Boot hält, was Ihnen das Marketing verspricht, finden Sie dann später selbst heraus. Boote sind Kompromisse aus widersprüchlichen Erwartungen. So stehen beispielsweise die Segeleigenschaften dem Komfort gegenüber, die Qualität dem Preis, und so weiter. Überlegen Sie, wo Ihr Schwerpunkt ist. Bei der Sicherheit? Bei seglerischen Gesichtspunkten, der Handhabung, den langfristigen Kosten Ihres Bootes? Wie viel Geld und Zeit haben Sie absehbar zur Zahlung des Systempreises moderner Grossserienerzeugnisse? Oder ist ein Gebrauchtboot einer bestimmten Ära die bessere Variante?
Wollen Sie Reparaturen organisieren und bezahlen oder das Boot nutzen? Es geht letztlich um den Nutzwert während weniger wertvoller, idealerweise unvergesslicher Wochenenden, Wochen und Monate, die Sie mit Freunden oder der Familie an Bord verbringen.
Was können Werften tun? Boote liefern, die dem Ruf Made in Germany nicht schaden.
Was können Sie tun? Das meiste klärt sich anhand der gezeigten Punkte bereits mit dem klaren Menschenverstand. Bohren Sie das Thema Bauweise mit Lektüre der Baubeschreibung auf. Sie ist im Unterschied zum Marketing und Social Media Unterhaltung Vertragsbestandteil. Besorgen Sie sich einen kleinen Magneten und halten ihn bei Bootsbesichtigung an den Kiel.
Der Gebrauchtbootmarkt bietet eine riesige Flotte moderner Grossserienboote in der beschriebenen Bauweise und Ausstattung. Und jährlich kommen tausende Neubauten und Youngtimer dazu. Viele davon finden Sie hier bei Boat24. Bei Unsicherheiten besichtigen Sie das Objekt Ihrer Begierde mit einem unabhängigen Gutachter, der Bootsbau gelernt hat. Wenn Sie Ihr Traumboot nicht zweimal bezahlen wollen und für zeitraubende Reparaturen instandsetzen lassen möchten, wägen Sie ab, welche Nachteile und Kompromisse Sie eingehen.
