Anmelden

Abenteuer7 min Lesezeit

(K)ein Ausweg

Tragisch: Donald Crowhurst narrt 1968 beim Golden Globe Race die Welt. Und springt von Bord.

(K)ein Ausweg
Positionsangabe Crowhurst und tatsächliche Position © deep water / youtube) © Screenshot aus �Deep Sea�

Er konnte nicht weitermachen. Er konnte nicht zurück. Was blieb ihm also anderes übrig? Die tragische Geschichte des Donald Crowhurst während der Golden Globe Regatta 1968/69 wurde erneut verfilmt: In den Hauptrollen spielen die Oscar-Stars Colin Firth und Rachel Weisz.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 29.03.2018, aktualisiert am 28.03.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Das tragische Schicksal eines britischen Familienvaters, der aus finanzieller Not unbedingt das Golden Globe Race 1968 gewinnen wollte.
  • Was Donald Crowhurst dazu trieb, im Atlantik auf seine Konkurrenten zu „warten“.
  • Zu welchen mentalen und seelischen Belastungen Lug und Trug des Donald Crowhurst führten.
  • Wie es überhaupt möglich war, dass ein Segler die Welt über 243 Tage täuschte.
  • Die Verfilmung dieses Schicksals mit Colin Firth in der Hauptrolle gilt als einer der „Neuen Klassiker“ unter den Segelfilmen.

Artikel vorlesen lassen

«Lass’ die Zweifel an Land und nimm’ die Träume mit auf See». Vielleicht wird dieser Satz, der Donald Crowhurst vor seinem Start zum Golden Globe Race 1968 zugerufen wurde, der Tragik und Dramaturgie der letzten Monate seines Lebens nicht ganz gerecht. Und dennoch steht er symptomatisch als Antwort auf die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte? Wie man einen Familienvater mit nur rudimentärer wochenendseglerischer Erfahrung alleine auf eine Nonstop-Weltumseglung lassen konnte? Warum man einen Menschen, der ganz offensichtlich psychisch labil und vom Leben bereits gezeichnet war, mit einem unfertigen Boot auf eine «Mission» schickte, die selbst mit dem ungesündesten Menschenverstand betrachtet von Anfang an zum Scheitern verurteilt war?

Doch hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Vor allem dann, wenn es sich um ein Abenteuer handelt, das so noch nie zuvor er- und gelebt wurde: Eine Einhand-Regatta nonstop um die Welt!

Wir schreiben das Jahr 1968. Neun Hochsee-Abenteurer starteten innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten zu einer Regatta, die von der britischen Zeitung Sunday Times ausgeschrieben wurde. Ein Jahr zuvor hatte Sir Francis Chichester seine umjubelte Einhand-Weltumseglung mit einem Stopp in Australien geschafft und damit ein wahres Hochseefieber in Europa ausgelöst. Und jetzt wollen es die Nächsten eben nonstop schaffen und sich Ruhm und Ehre mit der Golden Globe Trophäe (Erster wieder zurück am Starthafen) verdienen. Oder, noch besser, mit der schnellsten Weltumseglung saftige 6.000 Pfund verdienen (heute ca. 65.000 Euro).

Donald Crowhurst während eines TV-Interviews vor dem Start © deep water/youtube
Donald Crowhurst während eines TV-Interviews vor dem Start © deep water/youtube

Für alle Zeiten

Das Golden Globe Race gilt als die wahrscheinlich prägendste Hochseeregatta aller Zeiten, ihr Verlauf ist längst Legende. Nicht zuletzt, weil sie von Anfang an eine für damals phänomenale Aufmerksamkeit erregte und ihre Protagonisten (fast) wie in verschiedene Bühnenstücke versetzte. Inklusive einer Tragödie, in deren Mittelpunkt Donald Crowhurst stand und die er schließlich nicht überleben sollte.

Drei Teilnehmer schieden wegen Havarien und Leckagen aus. Einer dieser Unglücklichen schaffte es sogar bis «kurz» vor das Ziel auf Höhe der Azoren, hatte also nahezu die Welt umrundet, als sein Schiff sank. Einer musste wegen Krankheit aufgeben. Zwei wurden wegen der Annahme fremder Hilfe disqualifiziert. Der (damals schon berühmte) Franzose Bernard Moitessier entschied sich – auf seiner «Joshua» als schnellstes Schiff in Führung liegend – nach drei Vierteln der gesegelten Strecke für ein Leben auf See und gegen den Rummel, der ihn im Ziel erwarten würde. Er umsegelte erneut die halbe Weltkugel inklusive Southern Ocean und ging schließlich in Polynesien vor Anker. Robin Knox-Johnston sollte auf seiner «Suhaili» als Einziger der Gestarteten im Ziel und somit als Sieger ankommen.

Nur Donald Crowhurst blieb auf See. Nach einer tragischen Irrfahrt (nein, keine Odyssee, denn die hatte ein eher glückliches Ende) voller Täuschungen, Lügen und Selbstzweifel nahm sich der britische Segler nach 243 Tagen auf See das Leben.

Die Teilnehmer des Golden Globe Race 1968 © deep water/youtube
Die Teilnehmer des Golden Globe Race 1968 © deep water/youtube © Screenshot aus �Deep Sea�

Er «musste» lossegeln

Als Donald Crowhurst zum letztmöglichen Termin am 31. Oktober 1968 vor dem britischen Teignmouth startete, war er mit den Nerven bereits am Ende. Der Amateursegler, der bis zur Meldung beim Golden Globe Race noch nie länger als 36 Stunden an Bord eines Segelboots verbracht hatte, war dem Abenteuer Weltumseglung, das nun vor ihm lag, augenscheinlich nicht gewachsen. Was wohl auch daran lag, dass er die Regatta nur tertiär als ein Abenteuer verstand. Für Crowhurst bedeutete das Golden Globe Race die letzte Chance, seine kleine Firma, die (ausgerechnet) elektronische Navigationsgeräte (Funkpeilgerät «Navicator») herstellte und vertrieb, vor der Pleite zu retten. Entsprechend visierte der Vater von vier Kindern von Beginn an die schnellste Nonstop-Weltumseglung und die entsprechende Siegprämie an.

Erst fünf Monate vor seinem Start gab Crowhurst einer britischen Werft den Auftrag, einen Sperrholz- Trimaran zu bauen. Die Yacht wurde schließlich nur rudimentär ausgerüstet an ihren Eigner übergeben, der gleich mit der Jungfernfahrt ein Fiasko erlebte: Gemeinsam mit einem Freund wollte Crowhurst die «Teignmouth Electron» in drei Tagen durch den Ärmelkanal nach Teignmouth segeln – die Fahrt dauerte jedoch 13 Tage! Der Trimaran konnte nicht höher als 60 Grad am Wind segeln, was sich bei einer permanenten Gegenwind-Wetterlage als etwas hinderlich herausstellte. So blieb nur noch wenig Zeit, um den Trimaran für die Weltumseglung klarzumachen: Freunde, Helfer, Familie und Geldgeber berichteten später unisono, dass ein einziges Chaos auf dem Boot herrschte und bald keiner mehr wusste, was wohin und wie verstaut wurde.

Als Crowhurst schließlich lossegelte, ließ er eine verzweifelte, weil am gesamten Unternehmen zweifelnde Frau, seine ahnungslosen Kinder und Freunde an Land zurück, die ihn (allerdings halbherzig) in den letzten Tagen vor dem Ablegen überreden wollten, einfach an Land zu bleiben.
Doch für den frisch gebackenen Einhandsegler gab es kein Zurück mehr. Er hatte zwar einen Geldgeber für das Rennen gefunden, dem jedoch sein Haus und seine Firma als «Pfand» hinterlassen, falls er das Rennen abbrechen würde. Außerdem hatte Crowhurst bereits einige vollmundige BBC-Interviews gegeben, in denen er sich als versierten Salzbuckel ausgab.

Dass dem eben nicht so war, ahnten erfahrene Segler, die tatsächlich bereits große Strecken auf den Weltmeeren zurückgelegt hatten, schon seit Längerem.

Die Qual der Wahl

Doch Crowhurst schaffte es tatsächlich bis hinunter in die südliche Hemisphäre, hatte allerdings enorme Schwierigkeiten, sein Boot relativ flott in die richtige Richtung voranzubringen. In der Hoffnung, die verloren gegangenen Zeiten später wieder aufzuholen, sendete Crowhurst zunächst optimistische und deutlich «beschönigte» Etmale über Funk nach Hause, darunter sogar einen Weltrekord von 243 Seemeilen in 24 Stunden.

Anfang Dezember wurde Crowhurst klar, dass er niemals vor dem stürmischen Winter der südlichen Hemisphäre im Southern Ocean ankommen würde. Seine Situation wurde von Tag zu Tag dramatischer, sein emotionales Befinden muss ein einziges Chaos gewesen sein. Der Mann stand vor einem Dilemma, zumindest was seine Einschätzung der Lage anbelangte: Bricht er das Rennen ab und segelt nach Hause, ist ihm und seiner Familie der finanzielle und gesellschaftliche Ruin sicher. Im Southern Ocean würde er dagegen kaum überleben.

Aber – und darüber muss sich Crowhurst über Wochen hinweg quälende Gedanken gemacht haben – was wäre, wenn er in den Weiten des südlichen Atlantiks auf seine Konkurrenten warten und sich nach Kap Hoorn an einer für ihn aussichtsreichen Position zwischen die Richtung Norden segelnden Weltumsegler einreihen würde?

Familie Crowhurst, als sie erfährt, dass Donald «zurück im Rennen» ist © deep water/youtube
Familie Crowhurst, als sie erfährt, dass Donald «zurück im Rennen» ist © deep water/youtube © Screenshot aus �Deep Sea�

Abwarten, um sich einzureihen

Um sich nicht über die Empfangsstationen durch seine Funksprüche zu verraten, brach Crowhurst unter einem technischen Vorwand für lange Wochen und Monate jeglichen Kontakt zur Außenwelt ab. Der fortan im «Nirgendwo» segelnde Einhandskipper begann neben dem «wahren» ein zweites, gefälschtes Logbuch zu schreiben, in dem er akribisch die Positionen seiner vermeintlichen Durchquerung des Indischen und Southern Ozeans niederschrieb, um später seine Weltumseglung zu belegen.

Nach einigen Wochen suchte Crowhurst sogar Zuflucht in einer kleinen argentinischen Bucht, wo er die mittlerweile zahlreichen Schäden und Lecks an seinem Boot reparierte oder abdichtete. In der Hoffnung, dass in diesem abgelegenen Teil der Erde ihn später keiner im TV erkennen würde.

Erst am 7. April meldete er sich wieder über Funk und gab an, sich den Ramirez-Inseln vor Kap Hoorn zu nähern. Die Sensation: Der längst verschollen geglaubte Crowhurst war wieder im Rennen! Er erfuhr, dass der deutlich früher gestartete Robin Knox-Johnston bereits das Ziel anpeilte und der andere Trimaran-Segler in diesem Rennen, Nigel Tetley, auf Position Zwei segelte. Als Tetley wiederum erfuhr, dass Crowhurst ihm rein rechnerisch die Prämie für die schnellste Weltumseglung abjagen könnte, forderte er sein erschöpftes Boot in einem Atlantik-Tief auf Höhe der Azoren zu stark und erlitt Schiffbruch, wurde aber unverletzt gerettet.

Was für Crowhurst einer endgültigen Katastrophe gleichkam. Denn er hatte sich – von Gewissensbissen und schierer Verzweiflung ob seines «feigen Verhaltens» getrieben – ausgemalt, dass er Tetley Rang Zwei überlassen würde. Auch um einer näheren Überprüfung seines gefälschten Logbuches zu entgehen, wie er hoffte. Als nun auch noch sein Agent über Funk mitteilte, dass man ihm einen «Großen Bahnhof» zum Empfang bereiten würde, inklusive eines vorausgeschickten Hubschraubers, der im Auftrag der Sunday Times schon mal Filmmaterialien entgegennehmen sollte, folgte der endgültige psychische Zusammenbruch und eine geistige Umnachtung beim «Lügensegler» Crowhurst. Die letzten Wochen seiner Reise schrieb er wirre philosophische und physikalische Abhandlungen über die Relativitätstheorie und ihre Auswirkungen auf das Dies- und Jenseits.

Am 1. Juli 1969, dem 243. Tag seiner Reise, exakt der Tag, an dem er eigentlich in Teignmouth wieder zurück sein wollte (243 ! – siehe auch sein Weltrekord-Etmal), sprang er um 12 Uhr mittags mit seinem gefälschten Logbuch über Bord.

Seine Leiche wurde nie gefunden.

Colin Firth als Donald Crowhurst © vor uns das Meer/Trailer/youtube
Colin Firth als Donald Crowhurst © vor uns das Meer/Trailer/youtube © Screenshot aus �Vor uns das Meer�

Epilog

  • Robin Knox-Johnston war somit nicht nur Gewinner des Golden Globe, sondern erhielt auch den Preis für die schnellste Weltumseglung. Knox-Johnston zeigte Größe und stiftete die 5.000 Pfund der Familie Crowhurst.
  • Die «Electron Teignmouth» wurde mitten auf dem Atlantik von einem britischen Postschiff gefunden und geborgen. Sie wurde zuletzt auf einem Schiffsfriedhof auf der karibischen Insel Cayman Brac geortet.
  • Das Drama rund um Donald Crowhurst wurde in zahlreichen Büchern beschrieben.
  • Eine hervorragende Dokumentation mit vielen Original-Aufnahmen und Interviews, u. a. mit dem Sohn von Donald Crowhurst, ist «Deep Water» von Jerry Rothwell und Louise Osmond (siehe oben).
  • Der Hollywood-Kinofilm «Vor uns das Meer» (engl. Original: «The Mercy») mit Colin Firth und Rachel Weisz in den Hauptrollen, kam im März 2018 in die europäischen Kinos.
  • Am 1. Juli 2018 starten zum 50. Jubiläum des Golden Globe Race 30 Einhandsegler auf Booten, die vor 1988 entworfen wurden und nicht länger als 11 Meter sein dürfen, zu einer Solo-Nonstop-Weltumrundung.

Video