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Hydrofoiling

Die Zukunft des Segelns

Hydrofoiling
Team New Zealand und Oracle beim AC 2013 in San Francisco – ab hier wurden Foils salonfähig © Chris Cameron / ETNZ

Immer mehr Boote schweben auf Foils übers Wasser. Hydrofoiling erlebt im Wassersport seinen Durchbruch. Warum das Feld gerade jetzt für eine solche Revolution bereitet ist.

Von Carsten Kemmling, veröffentlicht am 10.11.2016, aktualisiert am 16.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Warum Boote auf Foils schneller sind
  • Wie die Segelboote zu ihren ganz speziellen "Flügeln" kamen
  • Welche Boote derzeit besonders schnell foilen
  • Ausgerechnet die größten Regattaboote werden vollständig aus dem Wasser gehoben

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Schweben Sie über das Wasser: Hydrofoil Boote in unserem Bootsmarkt

Die Seefahrt wird durch Traditionen und Rituale geregelt. Sie geben Halt im Umgang mit den Urgewalten der See. So ließ die Ohnmacht gegenüber der Natur schon immer viel Platz für Aberglauben und wenig Verständnis für Neuerungen. In diesem Umfeld haben es bahnbrechende Erfindungen besonders schwer.

Nur so ist zu erklären, dass die Entwicklung der revolutionierenden Hydrofoil-Technik so langsam vorangekommen ist. Schiffe sollen sich eigentlich nicht aus dem Wasser erheben; sonst wären es ja Flugzeuge. Tragflächenboote? Hexenwerk! Tüftler, die mit den Unterwasserflügeln experimentierten, wurden viele Jahre lang als Spinner verteufelt.

Verringerter Widerstand – mehr Speed

Dabei verließen die ersten Boote schon vor gut 150 Jahren dank Tragflächen ihr Element, hoben ihre schweren und voluminösen Rumpf über die Wellen, hielten über schmale Unterwasserprofile den Kontakt zum Wasser und setzten den verringerten Widerstand in Höchstgeschwindigkeit um.

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© defi Azimut

Aber erst jetzt wird das Phänomen Foilen massentauglich. Sportliche Segler haben es für sich entdeckt und erfinden ihre Lieblingsbeschäftigung neu: als Funsport mit hohem Tempo. Bisher war die schnelle, laute Gleitfahrt durch prasselndes Spritzwasser das höchste der Gefühle. Das Gefühl beim Foilen ist anders: Wenn sich das Schiff über die Wellen hebt, wird es plötzlich leise.

Dass immer mehr Menschen in den Genuss dieser Art zu segeln kommen, hat mit den Pionieren der kleinen Moth-Klasse zu tun. Der Australier John Illet entwickelte 2002 ein Fühlersystem, das eine T-förmige Tragfläche unter dem Schwert automatisch im passenden Winkel für die richtige Flughöhe einstellt. Eine leichte Kohlefaserstange schleift am Bug im Wasser und ist über Leinen mit einer Schubstange im Schwert verbunden. Sie bewegt das Foil an der Schwertspitze wie das Höhenleitwerk beim Flugzeug.

Die Moth-Klasse als Vorreiter, pardon: Vorflieger

Diese geniale Erfindung ermöglicht ein nahezu automatisiertes Abheben und hat der Verbreitung der Moth-Klasse einen enormen Aufschwung gebracht. Die ehemalige Nischen-Klasse bringt heute bei ihren Weltmeisterschaften Rekordflotten mit Hunderten Booten an die Startlinie. Die besten Profis der Welt segeln mit dem extrem kippeligen und gleichermaßen faszinierenden Sportgerät. Aber auch geübte Jollensegler bringen die Moth sehr schnell zum Fliegen. Mittlerweile bieten Segelschulen wie das Stickl-Sportcamp in Malcesine am Gardasee Kurse zum Erlernen des Moth-Foilings an.

Aber die ultraleichten, ausgefeilten Kohlefaserkonstruktionen der Spitzensegler kosten deutlich über 30.000 Euro und der Preis verhindert eine noch weitere Entwicklung. Das könnte sich mit der ersten Einheits-Moth namens Waszp aus Australien verändern. Sie ist mittlerweile bereits seit mehreren Jahren auf dem Markt und macht als "Moth fürs Volk" (gebraucht bereits für 13.000 Euro erhältlich) das spektakuläre Flugsegeln für viel mehr Segler erschwinglich.

Wegen Regellücke abgehoben

Parallel hat der America’s Cup der Tragflächen-Entwicklung enorm geholfen. 2013 ließ der US-Milliardär Larry Ellison erstmals die Regatta auf riesigen, 72 Fuß langen Katamaranen aussegeln. Das Segeln über dem Wasser war nicht geplant, aber bei der Entwicklung des schnellsten Designs im Rahmen der so genannten Box-Rule für die Konstruktion entdeckten die Neuseeländer eine Regellücke und bauten einen Foiler mit L-förmigen Profilen.

Bereits 75 Jahre zuvor war erstmals ein Boot auf Tragflächen. Das Prinzip funktionierte schon damals, aber die Entwicklung stockte mangels Finanzen. Durch den America’s Cup floss seit 2013 jedoch mehr Geld denn je in die Erforschung der Technik und das Foiling wird immer beherrschbarer. Selbst renommierte Formel-1-Ingenieure bringen ihr Wissen ein. Und inzwischen heben sich die Cupper auch am Wind auf ihre Flügel.

Bald auch für "Normal-Segler"

Von diesen Entwicklungsfortschritten hat auch der Normal-Segler etwas: 2015 wurde in den USA der erste leichte Fahrtenkatamaran vorgestellt, der foilen kann. Das 40 Fuß lange Gunboat G4 kenterte zwar (siehe: Schöner Kentern), und die Werft schlitterte in eine Pleite. Aber die Entwicklung ging unaufhörlich weiter: Heute segeln die meisten 60-Fuß-IMOCA, also die riesigen Monorumpfer der Einhand-Weltumseglungs-Regatta Vendée Globe, auf Foils. Zwar werden die Boote damit nicht vollständig aus dem Wasser gehoben, sondern lediglich angehoben. Doch liegen die Geschwindigkeitsvorteile gegenüber IMOCA ohne Foils bei 3 bis 6 Knoten. Was auf langen Strecken den vielzitierten "Welten" entspricht.

Onboard Sodebo Ultim © sodebo

Foils im Regattasport

Paradoxerweise sind es ausgerechnet die größten Hochseeregatta-Renner, die vollständig auf Foils über der Wasseroberfläche schweben und so Geschwindigkeiten bzw. Etmals schaffen, die noch vor 20 Jahren für unmöglich gehalten wurden. So rast die Ultim-Klasse – 32 m lange und 23 m breite Trimarane – mit Spitzengeschwindigkeiten von 50 Knoten über die Ozeane. Der Ultim "Maxi Edmond de Rothschild" schaffte so zum Beispiel in 24 Stunden eine 889 Seemeilen lange Strecke auf dem Atlantik. Was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 37 kn entspricht.

Auch die als besonders leistungsdichte bekannte Figaro-Klasse wird mittlerweile auf Foils gesegelt. Und selbst bei den kleinen Mini 6.50 steigen immer mehr Prototypen-Segler auf die Foil-Technik um. Selbst bei den sonst in Sachen "technische Entwicklung beim Segeln" eher hinterher hinkenden Olympischen Spielen sind die Foils angekommen: Der Nacra 17-Katamaran bringt Frauen und Männer in der "Mixed-Klasse" spektakulär zum "Fliegen". Ganz zu schweigen von den meisten, publikumsträchtigen Inshore-Rennen, die im Stile des America's Cup vor vielen Häfen weltweit ausgesegelt werden – wer die coole Action will, muss auf Foils setzen! Alles andere wäre "nur segeln"!

Foils unter Motor

Die Welle ist auch auf den Motorbootbereich übergeschwappt. Der von einem Elektromotor angetriebene Zweisitzer Quadrofoil aus Slowenien wird als Spaßboot für rund 25.000 Euro verkauft. Das schweizerische Hydros-Projekt will mit dem Prototypen HY-Xin eine ähnliche Richtung vorstoßen.

Quadrofoil auf Tragflächen, Motorspaß mit Elektro-Antrieb
Quadrofoil auf Tragflächen, Motorspaß mit Elektro-Antrieb © Quadrofoil

Dabei schien die Entwicklung der Tragflächenbooten unter Motor schon ausgereizt und endgültig gescheitert zu sein. In den 1960er- und 1970er-Jahren gab es einen Hype, als Hydrofoiler besonders für den schnellen im Fährdienst eingesetzt wurden. Heute noch haben sie zum Beispiel am Gardasee und am Lago Maggiore eine Bedeutung.

Und auch die Marine setzte Schnellboote auf Foils ein. Die US Navy betrieb bis 1993 40-Meter-Boote der Pegasus-Klasse, die 48 Knoten erreichten. Aber dann wurden die militärischen Foiler wegen zu geringer Kosteneffektivität ausgemustert. Auch die Russen vernachlässigten ihre Tragflächenflotte wegen zu hoher Kosten für Bau und Wartung.

Die Pegasus-Klasse der US Navy erreichte 48 Knoten
Die Pegasus-Klasse der US Navy erreichte 48 Knoten © wikipedia.org / PH2 DOUGLAS F. MOONEY

Boeing setzte 1976 erstmals seinen 929 Jetfoil als Passagierschiff für bis zu 400 Menschen ein. Zwei Dutzend Boote wurden gebaut. Aber nach 1985 spielten die bis zu 47 Knoten schnellen Transporter keine Rolle mehr. Tragflächenboote gelten in der Branche immer noch als exotisch.

Der 929 Jetfoil von Boing wurde schon 1976 in Dienst gestellt
Der 929 Jetfoil von Boing wurde schon 1976 in Dienst gestellt © unsplash.com/Julian Tong

Ob die Revolution bei den Seglern auch Impulse für die Berufsschifffahrt setzt? Moderne Materialien, leichtere Bauweisen und fortgeschrittene Simulationsprogramme schaffen neue Perspektiven für eine alte und bewährte Technik. Der Mensch dürfte in Zukunft immer öfter die Wasseroberfläche verlassen.

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