Umwelt- und Meeresschutz6 min Lesezeit
Kurs Recycling
Zehntausende GFK-Wracks verschmutzen die Küsten Europas. Hat das bald dank Thermochemie ein Ende?

Glasfasern von duroplastischen Harzen wie Epoxyd trennen und recyceln? Bis in jüngster Vergangenheit galt dies noch als unmöglich und war die schmutzige Kehrseite des GFK-Siegeszugs im Bootsbau. Doch es gibt Hoffnung, dass bald auch GFK-Boote nahezu vollständig recycelt werden können.
veröffentlicht am 15.04.2025
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Warum GFK-Boote recycelt werden können
- Was bisher mit GFK-Wracks geschah
- Wie man in Zukunft mit dem neuen Harz Elium alles anders machen will
- Welche Rolle die Schweizer von Composite Recycling in einem neuen Recycling-Verfahren spielen
- Warum ausgerechnet die weltgrößte Wassersport-Werft Bénéteau Vorreiter im recyclingfähigen Bootsbau sein will.
- Was Synergien erreichen können
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Ökologische Gefahren von GFK-Wracks:
- Langfristige Umweltbelastung: GFK ist äußerst langlebig und zersetzt sich nur sehr langsam. Verlassene Boote können über Jahrzehnte in der Umwelt verbleiben und dabei Schadstoffe freisetzen.
- Freisetzung von Mikroplastik: Durch Witterungseinflüsse und mechanische Belastungen können GFK-Boote in kleinere Partikel zerfallen, die als Mikroplastik in die Umwelt gelangen und dort ökologische Schäden verursachen.
- Schadstoffbelastung: Viele GFK-Boote enthalten giftige Substanzen wie Antifouling-Farben, die Schwermetalle und Biozide enthalten. Diese können in die Umwelt gelangen und Wasserorganismen schädigen.
- Gefährdung der marinen Tierwelt: Verlassene Boote können zur Gefahr für Meerestiere werden, die sich in den Wracks verfangen oder durch freigesetzte Schadstoffe geschädigt werden.
An den Meeres- und Ozeanküsten Europas, entlang der großen Binnenseen und langen Flüsse, verrotten zehntausende ausgediente Boote, herrenlose Wracks mit Rümpfen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK). Sie liegen vergessen in den Ecken mancher Werften, wurden illegal mitten in Naturschutzgebieten deponiert, schwojen an Bojen, an denen sie vor Jahrzehnten fest- und danach nie wieder losgemacht wurden. In ihrer langsamen Agonie verschmutzen sie die Natur, treiben Umweltschützer zur Verzweiflung und lassen selbst Recycling-Spezialisten kopfschüttelnd zurück.
Denn es galt noch bis vor Kurzem als unmöglich, diese Boote aus duroplastischen Harzen, die mit Glas- oder Kohlefasern verbunden sind, wieder in einen wirtschaftlichen Produktionskreislauf zurückzuführen (siehe hierzu Boat24-Magazin-Artikel „Abgewrackt“)
Verbrannt, nicht recycelt!
In den besten Fällen wurden Wassersport-Boote aus GFK oder Kohlefaser bislang in spezialisierten Verschrottungsbetrieben entsorgt. Dort nahm und nimmt man die Boote meist fachgerecht nach Materialien sortiert auseinander, schreddert die GFK-Rümpfe – den Rest erledigen, hohe Emissionswerte inklusive, die Müllverbrennungsanlagen.
Einige Zementwerke in Deutschland, der Schweiz und Frankreich (Holcim) nehmen GFK-Abfälle auf und nutzen sie als Ersatzbrennstoff. Dabei wird das GFK zerkleinert und in den Brennprozess integriert. Diese Methode stellt jedoch kein echtes Recycling dar, da die Materialien nicht wiederverwendet, sondern lediglich energetisch verwertet werden.
In Frankreich, dem Land mit den nachweislich meisten Bootswracks entlang der Atlantik- und Mittelmeerküste, wurde immerhin seit 2019 ein weltweit einzigartiges Projekt für die Entsorgung der Boote eingerichtet. Mit der Gründung des Abfallentsorgungsverbandes APER wurde eine Art „Rentensystem“ für Wassersportboote eingeführt. Für jedes in Frankreich verkaufte Boot kassiert der Händler einen Geldbetrag, der dann an APER überwiesen wird, um die Demontage alter Boote zu gewährleisten, respektive im Voraus zu bezahlen.
Zehntausend Boote zerlegt
So wird zwar die Zahl der in Zukunft vor sich hin rottenden Boote an Frankreichs Küsten reduziert, weil die Entsorgung des ausgedienten Bootes kein oder nur noch wenig Geld kosten wird. APER hat seit seiner Gründung bis Stand Anfang 2025 ca. 10.000 Boote zerlegt. Doch das eigentliche Problem aus der Vergangenheit ist längst nicht gelöst: Wie können diese Wracks vollständig oder zumindest zu einem hohen Anteil recycelt werden?
Wohlgemerkt, Manufaktur-Werften wie Greenboats in Deutschland fertigen mittlerweile erfolgreich Custom-Boote in niedriger Stückzahl mit nachhaltigen Materialien und Prozessen. Sie treiben eine Ära voran, in der „Leichtbaukomponenten nicht nur effizient, sondern von Natur aus zirkulär sind, wodurch der ökologische Fußabdruck deutlich verringert wird“ (O-Ton Website Greenboats). Diesem Verfahren gehört mit Sicherheit die Zukunft, die hoffentlich nicht mehr allzu fern ist.
Dennoch gilt auch hier: Die Sünden der Vergangenheit werden so nicht bereinigt. Es gibt allerdings im Hinblick auf das Recycling von GFK oder Kohlefaser reichlich Licht am Horizont respektive gute Neuigkeiten. Sie kommen schon wieder aus Frankreich, wurden aber von einem Schweizer Unternehmen überhaupt erst möglich gemacht.
Chemische und thermische Lösungsansätze
Der Reihe nach! Das Recycling von glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) mit Epoxidharz-Matrix stellt eine besondere Herausforderung dar, da Epoxidharz aufgrund ihrer thermischen und chemischen Beständigkeit schwer zu zersetzen ist. Dennoch wurden in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt, um auch diese Materialien effizient zu recyceln.
Ein erster Erfolg wurde durch das französische Unternehmen Extracthive mit seiner PHYre-Technologie erzielt. Dabei wird ein chemischer Solvolyseprozess eingesetzt (Reaktion mit einem Lösungsmittel, wobei es zum Bruch der chemischen Bindung kommt), um die Harzmatrix von den Fasern zu trennen. Die Epoxidharze werden also chemisch gelöst, wodurch die Glas- oder Kohlenstofffasern nahezu unbeschädigt zurückgewonnen werden können. Seit 2019 betreibt Extracthive eine Anlage mit einer Kapazität von 1.000 kg pro Tag, die sowohl Produktionsabfälle als auch End-of-Life-Bauteile verarbeitet. Obwohl Extracthive nicht ausschließlich in der Wassersportbranche arbeitet, ist vorwiegend die Zusammenarbeit mit MerConcept bemerkenswert. Dieses noch relativ junge französische Unternehmen entwirft und baut Hochleistungsrennboote für den Offshore-Segelsport (z.B. IMOCA oder Ultim-Trimarane). Einer der Gründer von MerConcept ist die französische Segellegende Francois Gabart, Vendée Globe-Sieger und Weltrekordhalter für die schnellste Einhnad-Weltumseglung (auf Ultim-Foil-Trimaran). Im Rahmen dieser Partnerschaft wurden Komponenten aus 100Prozent recycelten Kohlenstofffasern in den Bau von Rennbooten integriert, was die Anwendbarkeit der PHYre-Technologie im maritimen Bereich demonstriert.
Ein Schweizer Unternehmen revolutioniert die Branche
Ein für die Wassersportbranche jedoch besonders innovativer und vielversprechender Ansatz stammt von Composite Recycling aus der Schweiz. Das Unternehmen hat einen mobilen Thermolyse-Reaktor entwickelt, der GFK-Abfälle in einer sauerstofffreien Umgebung bei etwa 400°C behandelt. Dabei wird das Harz thermisch zersetzt und die Glasfasern bleiben weitgehend intakt. Dieses Verfahren in einem Container-ähnlichen „Ofen“ eignet sich insbesondere für duroplastische Harze wie Polyester und Epoxidharz. Die zurückgewonnenen Fasern können erneut in der Produktion verwendet werden.
Vergleicht man die Verfahren, haben beide ihre Vor- und Nachteile. Unter umweltspezifischen Aspekten sind jedoch Vorteile bei dem Schweizer Verfahren auszumachen.
Bei Extracthive können Lösungsmittel bei unzureichender Rückgewinnung toxisch oder umweltschädlich sein. Composite Recycling verfolgt einen pragmatischeren, aber chemikalienfreien Ansatz, der hauptsächlich für Glasfasern geeignet ist und mobil einsetzbar ist. Dieses Verfahren ist insgesamt also robuster und potenziell ökologisch unbedenklicher, besonders für den Bereich GFK und Freizeitboote.
In Zukunft nur noch Recycling?
Das hat auch das weltgrößte Werften-Konsortium für die Wassersportbranche erkannt. Die französische Bénéteau-Gruppe forscht bereits seit Jahren an einem umweltverträglichen Verfahren, um Glasfasern und/oder Kohlefasern von duroplastischen Harzen trennen zu können.
In Zusammenarbeit mit dem Chemiekonzern Arkema wurde das Elium-Harz entwickelt – ein thermoplastisches Harz, das sich im Gegensatz zu herkömmlichen duroplastischen Harzen vollständig recyceln lässt. Elium kann durch Verfahren wie Thermolyse oder chemische Extraktion in seine Bestandteile zerlegt werden, wodurch sowohl die Fasern als auch das Harz erneut verwendet werden können.
Bénéteau ist in Folge eine Partnerschaft mit Arkema und Composite Recycling eingegangen. Zudem sind die Unternehmen Veolia und Owens Corning mit „im Boot“.
Der bereits aktive Ablauf funktioniert wie folgt: Bénéteau fertigt Boote mit Elium-Harz. Veolia sammelt Produktionsabfälle und ausgediente Boote. Composite Recycling trennt mittels Thermolyse Harz und Fasern, Arkema stellt aus dem gewonnenen Öl neues Elium-Harz her und Owens Corning und Chomarat liefern neue, besser fürs spätere, mehrfache Recycling geeignete Glasfasern.
Zuletzt nutzt Bénéteau die recycelten Materialien für den Bau neuer Boote. So sind bereits die Bénéteau-Modelle First 44E (erstes Segelboot von Bénéteau, das vollständig mit Elium gefertigt wurde), Oceanis Yacht 60 (seit Anfang 2025 mit Elium), Jeanneau Sun Fast 30 One Design (Regatta-Einheitsklasse aus der Bénéteau-Gruppe, gebaut mit Elium, 100 % recycelbar).
Geschlossener Materialkreislauf in Sicht
Also alle Probleme rund um das Recycling der anfangs erwähnten, vor sich hingammelnden GFK- und Kohlefaser-Wracks erledigt? Im Prinzip ja – gäbe es da nicht ein gewisses Mengen- und wohl auch Finanzproblem. Denn für das Recycling von tausenden Tonnen uralten GFK-Materials müssen entsprechend viele Thermolyse-Container zur Verfügung stehen.
Dennoch kann die Initiative von Bénéteau, Composite Recycling und Arkema nicht genug begrüßt werden. Vor allem für die Zukunft des recyclingfähigen, industriellen Bootsbaus ist ein wichtiger Meilenstein geschafft. Benéteau setzt mit der Integration von recycelbaren Materialien und der Entwicklung eines geschlossenen Materialkreislaufs neue Maßstäbe im ökologisch verbesserten Bootsbau.
Composite Recycling (mit Sitz in der Schweiz) nutzt ein thermochemisches Verfahren, genauer gesagt: Pyrolyse (auch als Thermolyse bezeichnet).
Warum „thermochemisch“?
Der von Composite Recycling entwickelte Container-Reaktor:
- erhitzt Verbundmaterialien (wie GFK) auf etwa 450°C,
- ohne Sauerstoffzufuhr,
- was eine chemische Zersetzung des Harzes auslöst – dabei entstehen:
- Pyrolyseöl (brennbar, als Energiequelle nutzbar),
- Pyrolysegas (wird intern verwendet zur Beheizung des Reaktors),
- saubere Glasfasern, die mechanisch weiterverwendet werden können.
Die thermische Energie führt also nicht nur zu physikalischen Veränderungen (wie Schmelzen), sondern auch zu chemischen Reaktionen = thermochemisch.