Anmelden

Seemannschaft5 min Lesezeit

Ahoi – der Narrengruß

Eine Philippika gegen angeblich maritime und entsetzliche Verbalfolklore aus dem Binnenland

Ahoi – der Narrengruß
Bitte, um Himmels willen jetzt nicht «Ahoi» rufen. Es versaut alles. © Swedesail

Was Sie über Herkunft, Missbrauch und Konsequenzen dieses seltsamen Faschingsgrußes und leider auch noch Viehtreiberbegriffs ein für alle Mal wissen sollten.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 10.03.2017, aktualisiert am 12.12.2024

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • warum der Ahoi-Gruß Sie als Landratte brandmarkt
  • warum der Gruß bereits seit 1393 erledigt ist
  • wie Ahoi beinahe zur Begrüßungsfloskel am Telefon geworden wäre
  • wie Berliner (okay) und ausgerechnet Mannheimer (leider) den Begriff salonfähig machten
  • wie mit dem nautischen Dampfsänger Hans Albers sämtliche Dämme brachen
  • das kurpfälzische «Monnem ahoi» oder «Mannem ahoi»
  • warum eine 1908 gegründete Faschingsgesellschaft im oberschwäbischen Ravensburg mit «Milka ahoi!» grüßt
  • Wissenswertes auch vom Backfischfest der Fischerzunft von Worms
  • was Günter Grass dazu schon in der Blechtrommel klarstellte

Artikel vorlesen lassen

Ahoi ist ein Viehtreiber-Begriff

William Langland Anno 1393

Im 16. und 17. Jahrhundert gab es den Typ eines niederländischen Küstenfrachtschiffs. Es verdrängte etwa 20 Lasten (40 t) und war auf der Nordsee und im Englischen Kanal unterwegs. Zunächst mit einem Sprietsegel betucht, wie man es von der Optimisten Jolle her kennt, segelte dieses Schiff später als Zweimaster und mit den typischen niederländischen Seitenschwertern. Im 17. Jahrhundert transportierte es auch Personen. Die Passagiere waren in einer Kajüte hinter dem Mast untergebracht. Der Bootstyp wurde Hoy, Heu oder Heude genannt.

Wenn nun der Ausguck eines englischen Schiffes solch ein Gefährt entdeckte, rief er «A-Hoy». Aus diesem Hinweis, es sei wieder solch eine Hoy unterwegs, soll ein üblicher, zunehmend bei Landratten beliebter Schiffergruß geworden sein.

Ende des 18. Jahrhunderts war das Wort dagegen in der Komödie «Die Wallonen» auf Londoner Bühnen, also eindeutig an Land, als Anrede zu hören: «Ahoy! you Bumboat, bring yourself this way». «Ahoi … komm mal her». Dem weit gereisten Wilhelm Heine, er war auf Schiffen mit amerikanischen Besatzungen bis zum fernen China und nach Japan unterwegs, war «Ahoy» als Nautikerjargon jedoch vertraut. Etymologisch ist die Sache bis hierhin leider unklar.

In den 1870er Jahren wollte Alexander Graham Bell das Wort als Gruß und Auftakt eines Telefonats einführen, wie in unseren Tagen das @ zum Mailen und # zum Twittern gehört. Das Telefon war damals eine unerhört neue Sache. Zu unserem großen Glück konnte Bell sich nicht gegen seinen Kollegen Edison durchsetzen, der „Hello“ favorisierte. Puuh, Danke!

Für die maritime Herleitung des Rufs wiederum spricht das nautische Wörterbuch des Schotten William Falconer, wonach der Kapitän seinen Matrosen oben in die Rahen zum Segelsetzen «Main Top, hoay» rief und diese den Empfang des Befehls mit «holloa» quittieren. In späteren englischen Fachwörterbüchern blieb Ahoy allerdings unerwähnt.

Monnem ahoi

sprachliche Entgleisung der Kurpfalz

Im Deutschen Reich fand der Gruß Ende des 19. Jahrhunderts mit einer Zeitschrift gleichen Namens Verbreitung. Das Fachblatt mit diesem beleidigenden Titel hielt sich von Oktober 1884 bis September 87 ganze drei Jahre. Es ging dann auf in der Zeitschrift für Rudern, Segeln und artverwandte Betätigungen namens „Wassersport“, die sich fast sechs Jahrzehnte über Wasser hielt. 1892 wurde der «Berliner Segel-Club ahoi» gegründet. Den gibt es heute noch als Segel-Club »Ahoi« e.V. Tja, Berliner halt.

In den Zwanzigerjahren soll der jeden Nautiker beleidigende Ruf sogar bis zum Bodensee vorgedrungen sein. Der maritimen Besessenheit Kaiser Wilhelm II. sei Dank.

Zeitschrift für deutsche Segler
Zeitschrift für deutsche Segler © AbeBooks

Mit der allgemeinen Marinisierung des Deutschen Reiches - etwa dem zwanghaften Tragen von Matrosenanzügen - und Beliebtheit des Segelsports, nicht zuletzt den Hans Albers-Liedern brachen dann sämtliche Dämme. Als gebürtiger Hamburger hatte Albers zwar von Haus aus alle Voraussetzungen, es richtigzumachen, lebte jedoch eine Weile in Berlin und schließlich in Bayern. Vielleicht wusste er sein Publikum (mehrheitlich Landratten) auch einfach nur zielgruppengerecht zu beglücken.

Mittlerweile ist Ahoi wie Helau oder dieses entsetzliche Alaaf ein Narrenruf. Gern wird er in der Kurpfalz, etwa in Mannheim, mit «Monnem ahoi» oder «Mannem ahoi» usurpiert. Im nordbadischen Altlußheim oder im südthüringischen Wasungen ist ebenfalls «Ahoi» zu hören. Sie sehen, ich habe das alles tapfer in gebotener Sachlichkeit für diese Klärung recherchiert. Je fundierter diese Philippika, desto besser.

Milka ahoi

Faschingsgruß im oberschwäbischen Ravensburg

Die 1908 gegründete Faschingsgesellschaft namens Milka im oberschwäbischen Ravensburg grüßt tatsächlich mit «Milka ahoi!» Auf dem Backfischfest der Fischerzunft von Worms wird ebenfalls feuchtfröhlich «ahoi» gegrüßt. Wie ich nun aus eigener Erfahrung an Bord weiß, ist gegen Mannheimer schon deshalb nichts zu sagen, weil die meist kultiviert kochen, essen und auch trinken. Hinzu kommt diese angenehm menschliche, meistens verständliche Mundart. Schon deshalb gehört dieser Menschenschlag unter Artenschutz. Aber an diesem anstrengenden, nur fröhlichen Event wie Fasching nicht. Da bleiben Nichtpfälzer wie ich besser im Norden.

„Ahoi“ heißen die Magazine der Fremdenverkehrsämter für Badeorte und Inseln an der Nordsee. Wer fährt da im Sommer zu Urlaub machen hin? Na? Bayern, Hessen, Pfälzer, Rheinländer und Sachsen halt. Für diese E-Bike, Fischbrötchen-, Strandkorb- und Wellnesstouristik ist der Landrattensprech okay. Jede Zielgruppe wird bekanntlich dort abgeholt, wo sie herkommt.

Vor einer Weile saß ich mal an einem schönen Samstagmorgen mit Barbara und Wolfgang an Bord meines startklaren Bootes, als die beiden die Besatzung eines auslaufenden Schiffes mit einem fröhlichen «Schiff ahoi» begrüßten – in sächsischer Mundart. In diesem Augenblick wünschte ich mir einen Backskistengroßen Deckel zum Verschwinden in meinem Boot. Nun sind Barbara und Wolfgang wirklich, also richtig sympathische Leute. Sie hatte ihm ein Segelwochenende an Bord meiner Swede 55 geschenkt. Kann man seine Freizeit besser verbringen?

Sie hielten es aus, mit mir bei sauwenig Wind zu segeln, wenn meine Windmühle schlappe zwei Knoten macht. Sie schipperten ohne Kompass mit mir durch diesige Nebelsuppe ohne AIS und solchen Quatsch von Bagenkop nach Fehmarn, weil sich die alle paar Jahre anstehende Überholung des Instruments leider bis weit in die Saison hinein gezogen hatte. Wir sind wie Bernard Moitessier mit gelegentlichem Blick auf den Handpeilkompass nach Dänemark und zurück gesegelt. Ich weiß, das war miserable Seemannschaft. Wir haben sie dennoch überlebt.

Segeln Sie mit der üblichen Handbreit Wasser unter dem Kiel und ahoifrei
Segeln Sie mit der üblichen Handbreit Wasser unter dem Kiel und ahoifrei © Swedesail

So brachte ich es nicht übers Herz, den beiden Sachsen zu erklären, dass Ahoi beim Fasching im allertiefsten Binnenland als Gruß von einem Narrenschiff geht, keinesfalls jedoch an Bord meines Bootes. Ich werde Barbara und Wolfgang einen Link zu diesem Beitrag schicken. Da können sie dann lesen, dass Ahoi ursprünglich ein Viehtreiber-Begriff ist. William Langland notierte ihn bereits 1393 in seinem Gedicht „Piers Plowman“ (Deutsch: Piers der Pflüger) also lange, bevor die Engländer auf der Nordsee oder im englischen Kanal einer Hoy, Heu oder Heude begegneten. Alles klar?

Warum Matzerath solch einen Blödsinn wie ‚Schiff ahoi!‘ brüllte, blieb mir schleierhaft

Günter Grass, Blechtrommel

Wussten Sie, dass sich Günter Grass 1986 in der Blechtrommel abschließend zum Thema geäußert hat? „Warum aber Matzerath winkte und solch einen Blödsinn wie ‚Schiff ahoi!‘ brüllte, blieb mir schleierhaft. Denn der verstand als gebürtiger Rheinländer überhaupt nichts von der Marine.“ Tja, hat bekanntlich nichts genutzt. Wer liest heute noch Bücher? Wer merkt sich und beherzigt solch ein Verdikt? Wenigstens wissen Sie als Insider und Mitleidender jetzt ein für allemal Bescheid.

Weiterführende Links

VG