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Der Gebrauchtbootsegler (HW Tilmann)

Die abenteuerlichen Törns des englischen Extrembergsteigers

Der Gebrauchtbootsegler (HW Tilmann)
1955 Patagonia

Der Blauwasser- und Expeditionssegler H.W. Tilman (1898 – 1977) machte aus gebrauchten Booten viel. Er segelte im Alter 160 Tausend Meilen, hatte mit zwei verlorenen Schiffen aber auch einen gewissen Verschleiß.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 15.02.2017

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Einblick in das Leben des Extrembergsteigers und -seglers Harold William Tilman
  • Wie Tilman mit der Wanderung durch Patagonien Mitte der Fünfzigerjahre das Segeln mit seiner Passion für unberührte Wildnis verband
  • Die mysteriösen Umstände seines Verschwindens 1977 im Südatlantik

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Anno 1953 begreift der Bergsteiger Harold William „Bill“ Tilman, dass er mit Mitte Fünfzig zu alt für die Achttausender der Erde ist. Bereits in den dreißiger Jahren hatte er es ohne Sauerstoff-Flasche fast zum Gipfel des Mount Everest geschafft und manche alpinistische Pioniertat in großen Höhen vollbracht. Doch neuerdings interessiert sich die halbe Welt für den Himalaya. Der Abenteurer braucht neue Ziele: Gegenden, die auf der Karte mit dem Hinweis „inesplorado“, als unerkundet, markiert sind.

Außerdem gibt es fabelhafte Geschichten von Feuerland: Dass dort Bäume auf Gletschern wachsen, Kolibris, Papageien und Pinguine leben. Auch interessiert Tilman, dass den Eingeborenen nach dem Genuss von Marmelade „der Kopf rauche“. Das muss sich der englische Jam-Eater mal ansehen. Außerdem ist noch niemand von Ost nach West über das Eis Patagoniens gelaufen.

Anstelle einer teuren Fahrkarte für die Reise nach Feuerland kauft Tilman auf Mallorca für kleines Geld einen gebrauchten Lotsenkutter. Das Boot ist bewährt, aus Holz und etwa so alt wie Tilman, 13,70 m lang, keine 4 m breit und geht 2,28 m tief. Die 29 Tonnen werden von 90 qm Segelfläche bewegt. Die Überführung nach England nutzt er für einen Kompaktkurs im Hochsee-Segeln. Mit Leinen kann der versierte Bergsteiger umgehen. Den Rest bringt er sich unterwegs bei.

Wie bei der Querung Afrikas mit einem Fahrrad für 6 Pfund oder seinen Bergtouren löst er anstehende Aufgaben einfachst. Ein Lotsenkutter lässt sich bei allen Bedingungen zu zweit segeln. „Jedes Vorhaben lässt sich auf der Rückseite eines Briefumschlags planen“ meint Tilman, der damals den gemeinsam mit Eric Shipton in den Bergen lange vor Reinhold Messner praktizierten schlanken Stil aufs Seesegeln überträgt, deutlich übrigens vor Bernard Moitessier.

Trotz des Bootsnamens „Mischief“ (Unglück) gelingt die Patagonienreise. In der Magellanstraße navigiert er nach Angaben, die noch aus Charles Darwins Zeiten mit der „Beagle“ stammen. Mitte Dezember ‘55 bis Ende Januar läuft Tilman in Begleitung von Charles Marriott und Jorge Quinteros einmal durch Patagonien und zurück.

1959 Iles Crozet
1959 Iles Crozet

„Beyond the clouds, beyond the waves that roar, there may indeed, or may not be, a shore“

H.W. Tilman in „Mischief in Patagonia“

1963 Bylot Island
1963 Bylot Island

In Patagonien findet Tilman das Thema seines Alters: die Verbindung von Segeln und Bergsteigen. So segelt Tilman 113 Tausend Meilen mit „Mischief“, bis sie infolge eines Motorschadens vom Eis beschädigt wird und östlich von Jan Mayen sinkt. Sein nächstes Schiff namens „Sea Breeze“ ebenfalls ein gebrauchter Lotsenkutter, hält nur vier Jahre. Es sinkt im Sermilik Fjord an der Südostküste Grönlands. Mit seinem dritten Schiff namens „Baroque“ ist Tilman 1973 bis 76 vor Grönland und Spitzbergen unterwegs. Er bringt es heil nach England zurück.

1971 East Greenland
1971 East Greenland

Aber 500 Meilen südlich von Kap Horn hat Tilman mit einem zwei Kilometer aus der eisigen Flut ragenden Berg noch eine Rechnung offen. Zweimal hat er versucht, auf der von Eis und Brandung umlagerten Insel, namens Smith Island, zu landen. Vergeblich. Tilman ist mittlerweile 80 Jahre alt. Er wird nicht selbst auf den Mount Foster gehen. Aber er möchte zwei junge neuseeländische Bergsteiger auf den Falkland Inseln abholen und in den Sommermonaten des Südens nach Smith Island bringen. Die werden die Tour für ihn machen.

Smith Island, Antarktis
Smith Island, Antarktis © Public Domain

Leider ist „En Avant“ (dt. Vorwärts) kaum dafür geeignet. Mit diesem hastig von einem Weggefährten zum Gaffelkutter umgebauten 18 Meter Schlepper ließe sich passabel von Basel bis Weil am Rhein dieseln. Oder eine Kaffeefahrt von Southampton zum schönen Lymington im geschützten Solent machen. Der Kahn ist flachbordig und schwer. Das zerdellte Eisenross liegt tief wie eine Lokomotive im Wasser.

Doch ist eine Tilman-Tradtion, mit alter Hardware viel zu machen. Stets ging es gut für ihn, und er gelangte um die Erlebnisse eines kernigen Törns reicher, trockenen Fußes an Land. Immerhin gelangt der ehemalige holländische Schlepper von England über die Kanarischen Inseln bis Südamerika. Am 1. November 1977 verlässt der zähe Mann mit einigen jungen Männern an Bord Rio de Janeiro. Tilman ist taub, am Ende seiner Kräfte. Nach diesem Törn wird er die Leinen nicht mehr los werfen.

Das Schiff und seine Besatzung werden nie mehr gesehen. Niemand weiß, warum und unter welchen Umständen das Schiff auf dem Weg zu den Falkland Inseln verschwand. Vermutlich beendet die eingeschränkte Seetüchtigkeit des ranken Gefährts mit wenig Ballast und geringem Freibord im gefährlichen, von Pampero-Stürmen heimgesuchten Südatlantik die Reise. Immerhin erfüllt sich Tilman mit diesem Törn seinen letzten Wunsch. Einfach so, wie normale Leute in einem warmen Bett wollte Tilman auf keinen Fall sterben.

Heute erinnern das Velo seiner 3.000 Meilen Radtour durch Afrika im Museum von Coventry, ein Pfad durch die Dolomiten, sieben sehens- und lesenswerte Berg- und acht Segelbücher, das Three Peaks Race in England, Schottland wie Tasmanien an den großen Abenteurer.

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VG