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Bootsarten13 min Lesezeit

Die Sache mit dem Gület

Die Erfindung der blauen Reise

Die Sache mit dem Gület
Das ideale Sommerurlaubsboot © Dr. Jörg Diesch

Wie ein türkischer Schriftsteller mit Schwammtaucherbooten die Freuden des Buchtenbummelns entdeckte, den Gület-Tourismus „erfand“ und Bodrum zum beliebten Urlaubsort machte. Und warum ein Gület eine Alternative zur sündteuren Fahrtenyacht sein kann.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 27.09.2024, aktualisiert am 30.09.2024

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Wer die »blaue Reise« erfand und was daraus wurde
  • Vor- und Nachteile des Gület
  • Informationen zur Bauweise und den Segeleigenschaften
  • Wissenswertes zu Cevat Sakir Kabaagacli
  • Entwicklung des Gület-Toursmus in der Türkei damals und heute
  • Erfahrungen des langjährigen Gület-Eigners Jörg Diesch
  • Gület als Blauwasserboot für den Atlantik
  • wie interessant der Bau einer Gület in der Türkei sein kann
  • die sagenhafte Gastfreundschaft in Anatolien

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Als der Journalist Cevat Sakir Kabaagacli 1925 die Hinrichtung von Armee-Deserteuren im türkischen Befreiungskrieg Kemal Atatürks kritisiert, verbannt ihn ein Militärtribunal in das antike, damals fast vergessene Halikarnassos, heute als Bodrum bekannt.

Das ist für den Sohn eines türkischen Diplomaten, der in privilegierten Verhältnissen auf einer der angenehm kühlen und noblen Prinzeninseln im Marmarameer vor Istanbul lebte und vorübergehend in Oxford studiert hat, ein Absturz. Im Unterschied zur Verbannung in anderen Ländern wird Sakir zwar in die ferne Provinz geschickt. Nur ist Halikarnassos ein Paradies. Man kann es sich heute kaum vorstellen: Es ist damals ein kaum bekannter Fischerhafen zu Füßen des Kreuzritter-Kastells Bodrum Kalesi.

Als die Istanbuler Behörde erfährt, dass der Verbannte das Leben in Bodrum genießt, versetzt sie ihn ins Landesinnere, wo er die verbleibenden Jahre seiner Strafe absitzt. Auch hier macht er das Beste draus, schreibt über das einfache bäuerliche Leben und kehrt so bald wie möglich wieder nach Bodrum zurück. Dort erkundet er ab 1957 mit Freunden die Küste am südöstlichen Ausgang der Ägäis.

Der Lebenskünstler findet das Thema seines Lebens: Sakir genießt und dokumentiert das einfache Leben der Bauern, Handwerker und Fischer im Südwesten Anatoliens. Er wird ihr Chronist, schreibt unter dem Pseudonym „Halikarnas Balikcisi“ zahlreiche Bücher über die ägäische Küste und ihr fruchtbares Hinterland, erzählt von Dorfbewohnern, Einsiedlern, Schwammtauchern und Fischern.

Der Tisch des Lebens ist für Sakir reich gedeckt.

Der „Fischer von Halikarnassos“ mietet eines der üblichen Schwammtaucherboote, besorgt Angelzeug, Netze und Reusen. Bald kennt er die Verstecke der schmackhaften Tintenfische, weiß, welche Buchten die Zackenbarsche mögen, wo der Schwertfisch durch die Fluten schießt und köstliche Krustentiere auf dem Meeresgrund hocken. Der Tisch des Lebens ist für Cevat Sakir reich gedeckt.

Sakir und seine Freunde schlafen im hölzernen Laderaum des Schiffes auf alten Decken und Säcken. Sie genießen das einfache, naturnahe und elementare Bordleben mit Baden, Tauchen, Angeln, Kochen. Und die sternenklaren Nächte in den felsumschlossenen Buchten. „Mavi Yolculuk“, die „Blaue Reise“ ist erfunden. Sie erlebt dann mit dem rasanten Anstieg des Türkeitourismus ab den Achtzigerjahren einen wahren Boom.

Moderne Gület „Carolin“ in der Karibik
Moderne Gület „Carolin“ in der Karibik © Dr. Jörg Diesch

Es gibt zu viele Gülets

Der Boom ist das Ergebnis eines Förderprogramms aus Ankara, das vielen Türken mit günstigen Krediten den Schritt in die Selbstständigkeit mit einer eigenen Gület erleichterte. So entstand eine stattliche Flotte und ein gewaltiges Überangebot. Die clevere Idee war, es anders als in Gewässern wie der Karibik zu machen und das einträgliche Geschäft mit Yachtreisen Einheimischen zu ermöglichen, statt es vermögenden Ausländern zu überlassen. In der Türkei sollte jeder mit Unternehmergeist, etwas Startkapital, Geschick und Fleiß diese Chance bekommen.

Als ich Ende der Achtzigerjahre von der griechischen Insel Kos nach Bodrum segelte, erschien Içmeler im Südosten der Stadt aus der Ferne wie ein gigantisches Holzlager: Es war das Tal der „Tausend Schiffe“, wo unzählige Gülets aufgepallt an Land standen. Heute ist es ein Werftstandort zum Bau und zur Wartung moderner Yachten, darunter stattlicher Gülets. Die Türkei ist dank der Löhne für Auftraggeber moderner Motor- und Segelyachten interessant. Der Gületboom bahnte den Weg dazu. Nur lag bereits Anfang der Neunzigerjahre mehr als die Hälfte der Gülets ab Juli mangels Buchungen still. Dennoch wuchs die Flotte jährlich unentwegt um zahlreiche Neubauten.

Leider führte das Förderprogramm auch dazu, dass die Boote mit Blick auf schnell verdientes Geld hastig gebaut wurden. Seit Jahrhunderten bekannte Regeln des Holzbootsbaus wurden vergessen. Statt aus ausreichend gelagertem und getrocknetem Baumaterial mit der passenden Holzfeuchte wurden die Schiffe aus dem gebaut, was es gerade günstig gab. Das Holz stammte aus dem nächsten Pinienwald. Schwarzmeer Eiche wäre besser gewesen, erschien aber zu teuer.

Yok Problem Bootsbau

Und viele Schiffe entstanden mit zahlreichen Astlöchern in den Planken, deren Löcher zugespachtelt wurden. Auch ist traditioneller Holzbootsbau auf einheitliche Plankenabstände angewiesen, damit das Kalfat zum Abdichten des Rumpfes in der Bordwand bleibt. Sie wurden mit der türkischen „Yok problem“-Mentalität kaum eingehalten. So fingen die Schiffe bereits nach wenigen Jahren an zu lecken. Der endlose Kampf, sie schwimmfähig und halbwegs seetüchtig zu halten, begann. So bekamen Gülets leider einen schlechten Ruf.

Dafür waren die Schiffe billig. 1991 war eine komplett ausgestattete 22 m Gület mit allem Drum und Dran, mehreren Kabinen mit eigenem Bad und WC für ganze 110 000 Mark zu bekommen. Viel Schiff für wenig Geld, das manchen Eigner und Träumer lockte. Die oft gestellte Frage, ob der Kauf einer gebrauchten Gület empfehlenswert ist, beantworte ich später.

Die Sache mit den blauen Touren

Als langjähriger Türkeisegler und Fan des buchtenreichen Gewässers der türkischen Riviera erlebte ich die Kehrseite des Gület-Tourismus. So ist der Begriff „blaue Tour“ bedauerlicherweise doppeldeutig. Denn blau ist nicht allein die fabelhafte Ägäis. Blau sind auch die vielen Gäste an Bord der zahlreichen Gülets in den Buchten, wo reichlich Bier fließt, etwa das wunderbar süffige Efes.

Ich kenne nichts Erfrischenderes als ein kühles Efes nach einem erlebnisreichen Segeltag. Die Sache läuft jedoch aus dem Ruder, wird das Bier bereits tagsüber in der prallen Sonne genossen und dazu noch härtere Sachen wie der Anisschnaps Raki eingeschenkt. Viele Gület-Urlauber lassen es bei den sprichwörtlich blauen Touren krachen. Entsprechend laut und fröhlich ging es in den Buchten zu. Hinzu kamen die um die Gülets und Yachten kreisenden Waterbikes. Das hatte mit dem naturnah einfachen Bordleben des Fischers von Halikarnassos wenig zu tun.

Die erste „Carolin“ nach einem navigatorischen Missgeschick vor Sardinien
Die erste „Carolin“ nach einem navigatorischen Missgeschick vor Sardinien © Dr. Jörg Diesch

„Heute sind es eher Männercrews auf üblichen Charteryachten, die in den Buchten laut sind“, berichtet der Kieler Orthopäde Dr. Jörg Diesch. Der versierte Regattasegler (Shark 24, Fireball) holte 1976 bei der Olympiade vor Kingston im FD Gold und blickt auf zahlreiche WM-Titel in der Klasse zurück. „Während der Corona Zeit charterten überwiegend türkische Urlauber Gülets. Sie sorgten für eine gute Auslastung. „Derzeit steigt der Anteil der Ausländer wieder. Die Saison 24 war schwach gebucht“, berichtet Diesch.

Bodrum, etwa ein Jahrhundert seit Sakirs Verbannung. Im weit geschwungenen Naturhafen unterhalb der dicken Mauern der alten Johanniterburg liegen unzählige Gülets. Viele Exemplare schaukeln auch vor der niedrigen Mole von Marmaris. Ähnlich belegt ist die endlose Promenade der weit geschwungenen Bucht von Fehiye mit zahlreichen Molen und Stegen. Die schiffig-schmucken Holzsegler liegen in Kas, schwojen vor den versunkenen Sarkophagen von Simena. Sie liegen Rumpf an Rumpf vor den Stegen von Kekova, in Kemer Marina, und schmücken den pittoresk kleinen Stadthafen von Antalya.

Das schichtweise verklebte Rückgrat der neuen „Carolin“
Das schichtweise verklebte Rückgrat der neuen „Carolin“ © Dr. Jörg Diesch

In jedem der bulligen Rümpfe sind mehrere Doppelkabinen mit eigenem Bad untergebracht, versorgen Generatoren große Kühltruhen, Stereoanlagen und Fernseher mit Strom, brummen PS-starke Schiffsdiesel zwischen den Planken. Glänzend lackierte Masten und Bugspriets ragen in den Himmel – nur gesegelt werden die Schiffe nicht. Dazu sind sie zu schwer.

Um das zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Eckdaten. Ein übliches Gület verdrängt um die 80 Tonnen, wobei unklar bleibt, ob die mehreren Tonnen Frisch- und Abwasser und um die zweitausend Liter Diesel darin enthalten sind. Das ergibt beim Nettogewicht und 220 qm Am-Wind-Besegelung die dürftige Segeltragezahl von 3,4.

Das reicht vielen Türkeiurlaubern, die sich eher für den beeindruckenden Platz und Komfort an Bord anstelle der seglerischen Gesichtspunkte interessieren. ES ist für einen Buchtenbummel- und Badeurlaub mit Gleichgesinnten auch vollkommen okay. Moderne Serienyachten werden schon länger nach Komfortgesichtspunkten gebaut. Insofern ist die Gület seit Jahrzehnten Trendsetter.

Der Steven wurde freihändig angepasst
Der Steven wurde freihändig angepasst © Dr. Jörg Diesch

Jörg Diesch zufolge segelt ein Gület gar nicht so schlecht: „Es liegt eher an der mangelnden Segelerfahrung der Crew und daran, dass viele Schiffe nicht dafür ausgerüstet sind. Die Mehrzahl der Gäste will schnell in die nächste Badebucht, und das klappt nun mal segelnd nicht.“

„Als Langkieler überzeugt ein Gület an der Kreuz nicht“ gibt Diesch zu. „Der Wendewinkel liegt bei 110 bis 120 Grad. Auf allen anderen Kursen erreichen wir schnell 6 bis 7 kn. Unsere Reiseziele erreichen wir fast ausschließlich unter Segel. Die Wenden funktionieren dank elektrischen Winschen leicht und ich kann sie problemlos allein durchführen.“

Improvisiert: Die 70 t wurden vom Bauplatz auf einem Bock zur Ägäis gezogen
Improvisiert: Die 70 t wurden vom Bauplatz auf einem Bock zur Ägäis gezogen © Dr. Jörg Diesch

Blauwassererfahrungen

Diesch segelte mit seinem Gület-Neubau „Carolin“ sogar über den Atlantik. „Von Las Palmas auf den Kanarischen Inseln nach Mindelo auf den Kapverden haben wir nur 5 Tage gebraucht, ohne eine Minute Maschine, mit Etmalen teils über 180 Seemeilen. Und auf dem Rückweg von Guadeloupe zu den Azoren waren wir 20 Tage unterwegs. Dabei hatten wir viel Wind gegenan und auch einige Flautentage, an denen wir uns ohne Maschine nur treiben ließen. Mit keinem anderen Schiff hätte ich diese Reise lieber gemacht, da das schwere Schiff am Wind sanft in die Welle geht und wir entspannt in Horta ankamen.“ Demnach ist das Gület sogar ein geeignetes Blauwasserschiff.

„Carolin“ geriet aus Platzgründen etwas hochbordiger als üblich
„Carolin“ geriet aus Platzgründen etwas hochbordiger als üblich © Dr. Jörg Diesch

Gület zum Buchtenbummeln

Seit der Entdeckung der Türkei in den Achtzigerjahren als wunderbares Reiseziel wurde die blaue Tour zum gut organisierten Kleingruppenangebot für Türkeiurlauber, die mal etwas anderes als Strand- und Pauschalurlaub mit Pool erleben wollen. Das beste Schwimmbad ist bekanntlich das Meer in den Ankerbuchten rings ums Boot. Es gibt nichts Schöneres, als im sonnigen Süden morgens nach dem Aufstehen, tagsüber und abends ins erfrischend blaue Wasser zu springen. Dann zu duschen und danach gemeinsam an einer langen Tafel mit Gleichgesinnten zu essen, zu trinken und das funkelnde Zelt des Sternenhimmels zu genießen.

Eine verrückte Geschichte also, diese Idee mit den blauen Touren. Und ein vermutlich einzigartiges Beispiel dafür, dass ein Schriftsteller mal eine funktionierende Geschäftsidee hatte, die vielen Einheimischen an der Küste Arbeit gibt und Urlaubern Gelegenheit, mal die Freuden des Buchtenbummelns zu entdecken, was sonst nur dem privilegierten Bootseigner vergönnt ist.

Gület gebraucht kaufen oder neu bauen?

Womit wir bei der Frage wären, ob man sich ein Gület zulegen sollte. Die pauschale Antwort lautet durchweg „nein“. Ich kenne mehrere Träumer, die da eine Menge Geld in schlechte Substanz stecken und die Endlosbaustelle nach einem schweren finanziellen Aderlass dann aufgegeben haben.

Doch ganz so eindeutig ist die Sache nicht. Wie im sonstigen Leben kommt es auf den Preis und den Zustand der Gület an. Die Frage kann wie bei sonstigen Bootskäufen also nicht pauschal, sondern nur gemeinsam mit einem sachverständigen Bootsbauer beantwortet werden. Dafür kommt aus offensichtlichen Gründen kein Einheimischer infrage, der gewiss kompetent ist, jedoch mit dem Verkäufer, Stellplatzvermieter oder Handwerkern vor Ort geschäftlich verbunden ist. Suchen Sie sich besser jemanden zu Hause, der mit Ihnen in die Türkei fliegt und Ihnen glasklar einschenkt, was absehbar auf Sie zukommt. Nehmen Sie sich mehrere Tage Zeit und schauen Sie sich mehrere Gülets an.

Nachdem Diesch infolge eines nautischen Missgeschicks seine erste gebraucht gekaufte Gület vor Sardinien verloren hatte, ließ er in der Türkei ein neues Schiff bauen. Diesch „hatte das Glück, in Bozburun einen sehr fairen Bootsbauer zu finden, der trotz steigender Materialpreise am vereinbarten Endpreis festhielt und eher auf seinen eigenen Verdienst verzichtete, als nach mehr Geld zu fragen. Die sieben Monate Bauzeit waren für meine Frau und mich so spannend und kurzweilig, dass wir sofort noch ein Schiff bauen lassen würden, wenn wir mit dem jetzigen nicht so zufrieden wären.“

Und Diesch weiter: „Auch nach 25 Jahren Segeln und Bordleben auf einer Gület würde ich kein anderes Schiff haben wollen. Die Segel sind mit je 70 Quadratmetern leicht zu handhaben. Kommen mehr als 22 kn Wind, bergen wir einfach das Groß. Welches Schiff bietet Platz, dass alle Kinder und Enkel kommen können? Wenn es zu warm wird, schlafen wir gemütlich zu zwölf an Deck, wenn nötig unter einem großen Moskitonetz. Wir liegen problemlos 2 bis 3 Wochen in einer Bucht, weil der Abwassertank groß genug ist. Und Platz für Spielsachen wie Badeinsel, Windsurfer, Wingfoiler, Tauchgeräte und vieles mehr haben wir auch.“

Diesch im Vorschiff der fast fertigen „Carolin“
Diesch im Vorschiff der fast fertigen „Carolin“ © Dr. Jörg Diesch

„Wie jeder Yachteigner, der für sein Schiff schwärmt, begeistere ich mich halt für mein Gület“ gibt Diesch zu. „Nach Erfahrungen mit einem Katamaran und einem modernen voluminösen Einrumpfboot ist die Gület für meine Familie und mich erste Wahl.“ Wegen der vollen Buchten in der Türkei verbringt Familie Diesch die Sommermonate seit einer Weile in Griechenland. 23 ging es nach Kreta und zum Peloponnes und 24 nach Chalkidiki.

Die wunderbare Gastfreundschaft der Türken

Der Schweizer Segler und Bootsbauer Dan Meury reiste 2006 mehrmals in die Türkei, um ein Gület mit sechs Doppelkabinen zu finden. „Teilweise wurden über 30 Meter lange Gülets mitten in einer Mandarinenplantage gebaut. Dort lagen riesige Mengen Pinienholz, dazu eine große Bandsäge und Kreissäge – alles unter freiem Himmel.“

Meury berichtet weiter: „Die Türken sind unglaublich freundlich, und ich wurde stets zu einem Chai-Tee eingeladen und mit Kisten voller Mandarinen verabschiedet. Meine „Orkun“ habe ich auf einem Werftgelände in Bodrum überholt, wo sie 20 Jahre vorher entstanden war. Vorbesitzer Mehmet, von dem ich das Schiff kaufte, half mir monatelang bei der Restaurierung. So wurde ich allmählich in die türkische Bootsbauwelt eingeführt. Es fühlte sich an, als wäre ich 100 Jahre zurückversetzt worden – das Handwerk, mit dem hier gearbeitet wird, hat mich beeindruckt.“

„Alles wird in Handarbeit und aus Rohmaterialien hergestellt. Als wir Warmwasser an Bord haben wollten, führte mich Mehmet ins Landesinnere, wo wir in einem Stahlwerk eine 5 mm dicke Stahlröhre bogen. Die Deckel wurden ausgeschnitten, und danach kauften wir ein Kupferrohr, das wir zu einer Spirale bogen. Anschließend schweißte ich den Stahl zusammen, baute die Spirale ein, inklusive der Fittings – und so entstand unser Boiler, den wir dann an den marinisierten MAN-Lkw-Motor anschlossen. Hier wird nichts weggeworfen. Das Schiff wurde über einen Holzschlitten und gefettete Bahnschwellen, mit Stahlseilen und zahlreichen Umlenkrollen zum Zugmotor bis zur Rampe gezogen. Dann ging es mit einem Ruck rückwärts ins Wasser“.

Meury erinnert: „In Bodrum habe ich nicht nur einige der alten Bootsbaukunst-Tricks gelernt, sondern auch den Zusammenhalt unter Seeleuten, die unglaubliche Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Die Gastfreundschaft war bemerkenswert, und im Hafen gab es immer Platz – dann wurde einfach ein Schiff vor das andere gelegt, sodass man je nach Anlegeplatz über zwei oder drei Schiffe gehen musste, um an Land zu kommen. Das war echte Seemannschaft, etwas, das im Mittelmeerraum leider oft verloren gegangen ist“. Das sind Qualitäten, die uns Mitteleuropäern bedauerlicherweise verloren gegangen sind.

"Carolin“ wird gerne und viel gesegelt
"Carolin“ wird gerne und viel gesegelt © Dr. Jörg Diesch

Nachteile einer Gület

  • schlechte Kreuzeigenschaften, hauptsächlich bei Seegang
  • durch das hoch angeordnete Cockpit wird einem an Bord eher schlecht
  • Seitenwindanfälligkeit bei Manövern
  • wie beim Langkieler üblich ist Rückwärts anlegen schwierig
  • aufwendiges Zollprocedere in der Türkei, speziell bei importierter Bootsausrüstung

Vorteile

  • großes Platzangebot
  • reichlich Stauraum und Platz bei „Carolin“: 6 t Frischwasser, 4 t Abwasser, 3.500 l Diesel, 5 große Gasflaschen, 5 Gästekabinen mit Bad, sehr große Eignerkabine, extra Werkstattraum mit Platz für Ersatzteile, überdachte Schlafmöglichkeiten an Deck, festes Sonnendach über dem Cockpit.
  • durch zusätzliche Höhe ist bei „Carolin“ die gesamte Technik gut zugänglich
  • Komfort wie zu Hause: Waschmaschine, Bügeleisen und -brett, Speiseeismaschine, Brotbackautomat
  • Baupreis: 275 000 € zuzüglich Segel und Navigationselektronik damals

Fazit: Es kommt weniger auf das Schiff und das ganze Gerede um einen bestimmten Bootstyp an. Interessanter ist, was Sie gemeinsam mit Ihrer Familie und Freunden daraus machen.

„Carolin“ beim Spinnakersegeln
„Carolin“ beim Spinnakersegeln © Dr. Jörg Diesch

Abschließend zurück zu Cevat Sakir Kabaagacli und Bodrum. Anno 1927 zählte die kleine Hafenstadt, einschließlich Nachbargemeinden, etwa 5000 Einwohner. Heute sind es 181 000. Bodrum ist ein sehr beliebter Urlaubsort, wo viele vermögende Leute eine Zweitwohnung haben, auch dank des nahegelegenen Bodrum-Milas Flughafens. Dabei profitiert die Ägäismetropole von der klugen und weitgehend eingehaltenen zweistöckigen Bebauung.

Als kulturell interessierter Patriot und Bodrum-Liebhaber bemühte sich Cevat Sakir Kabaagacli vergeblich um die Rückführung der ins British Museum gebrachten Exponate des Mausoleums von Halikarnassos. International bekannt wurde er durch den Kinofilm „Das blaue Exil“ von 1993, einer Verfilmung seiner Memoiren „Mavi Sürgün“ mit Hanna Schygulla in einer Hauptrolle. Sakir starb 1973 in Izmir. Er ist auf seinen Wunsch in Bodrum begraben.

Weitere Gületinfos

Obwohl heute jeder „blaue Touren“-Motorsegler in der Türkei als Gület bezeichnet wird, ist der Bootstyp streng genommen zweimastig. Es sind Ketsch getakelte Schiffe, wobei die klassische Gület ein rundes Heck, die sogenannte Aynaketsch ein Spiegelheck hat. Die Schiffe haben einen kastenförmigen, voluminösen und stufigen Aufbau, wo achtern der Steuerstand untergebracht ist.


Herkunft des Gület
Gülets gibt es seit der Antike im Südwesten Kleinasiens als Fischerboote und Frachtsegler für Amphoren mit Oliven und Wein. Sie entstanden meist in Bodrum und Marmaris. In den Siebzigerjahren wurde es zum Freizeitboot.


Woher der Name stammt
Der Name stammt vermutlich vom italienischen Begriff "guletta" oder "goletta" für ein kleines Segelschiff. Sie kam vermutlich durch Handel und Seefahrt zwischen der Türkei und Italien zustande. Der Name könnte auch vom französischen "gouëlette" für kleine Schaluppe, ein kleines Segelboot stammen. Er wurde dann in die türkische Sprache übernommen.

Weiterführende Links

VG