Boote im Porträt5 min Lesezeit

Hinckley Picnic Boat

Eine Probefahrt mit dem Charmeur unter den Motoryachten

Hinckley Picnic Boat
Für die Sonnenseiten des Lebens: Das Picnic Boat 37 Mk III von Hinckley © Hinckley Werft

Mit dem Picnic Boat beglückt die Hinckley-Werft den solventen Eigner mit einem herrlichen Boot im Stil der Dreißigerjahre. Es ist wunderschön, leider teuer und von der Technik her aufwändig. Eine Probefahrt an der US-Ostküste.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 04.10.2018, aktualisiert am 22.11.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Eindrücke einer Probefahrt in den Staaten
  • Ideen des Konstrukteur Bruce King
  • welche Technik im Picnic Boat steckt
  • Vor- und Nachteile des Strahlantriebs

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Im traditionsbewussten Neuengland liebt man die klassisch dezente Farbwahl. Mit ihrer schwarzen Bordwand unter dem sandfarbenen Deckshaus waren Bob Hinckleys eigene Boote wie «Night Train» oder «Black FIy» schon immer schlichte Hingucker. An einem Herbstnachmittag schieben 350 Pferdestärken seine elegant schwarze «Night Cap» in der weiten Wasserfläche von Southwest Harbor auf die Bugwelle.

Steuermann Eric Champlain neigt den Joystick und setzt an zum weiten Schwung draußen vor dem Werftgelände am Manset Ufer. Zwar hat das Picnic Boat noch ein richtiges Lenkrad. Aber mit dem kleinen Knüppel, die Hinckley Werft nennt die Steuerung «Jetstick», verknüpfen die Bootsbauer in Maine fortschrittliche Technik mit dem Charme vertrauter Linien. Lange haben Konstrukteur Bruce King und Champlain an der intuitiven Übertragung der Steuerbefehle aus dem Handgelenk getüftelt.

Der Impeller der 291er-Hamilton-Pumpe zerrt das Wasser unter dem Boot durch den vergitterten AIuminiumschlund ins Pumpengehäuse, beschleunigt ihn und pustet es als Strahl durch die außen am Spiegel sitzende Verengung des Düsenrings wieder raus. Am Ende des Rohrs sitzt ein seitwärts schwenkbarer Rüssel. Der fenderdicke Wasserstrahl wird von einem hydraulisch bewegten Schubgestänge nach Back- oder Steuerbord geschwenkt. Damit wird das Boot gesteuert.

Wir jagen durch die Öffnung des Eastern Way zwischen Sutton und dem herrlich bewaldeten Mount Desert Island an Seal Harbour und Otter Point hinaus in den Golf von Maine. Bei 27 Knoten Spitze brauchen die sechs Zylinder 70 Liter Diesel in der Stunde. Für 25 Knoten Reisegeschwindigkeit nennt Champlain 59 Liter. 22 kn halten den Verbrauch angeblich bei 49 l.

Über Bojen brettern ist hier Programm

Es geht vierkant auf ein Feld kleiner Markierungen für Lobsterfallen zu, wie sie überall im kalten Gewässer Neuenglands ausgelegt sind. Mir sträuben sich die Nackenhaare. Über Bojen, auch wenn sie aus Weichplastik sind, fährt, wer auf teuren Ärger mit Welle, Propeller oder Ruderanlage und Zoff mit den Besitzern der Krustentierkäfige aus ist. Schon verschwindet die erste Markierung unter dem Bug. «Plopp» sind wir drüber. Der Steuermann grinst und nimmt die nächsten. Plopp, plopp, plopp purzeln die signalroten Dinger hinten im Kielwasser raus. «Willst Du auch mal?», fragt der Skipper und nimmt mit gezielt seitwärts gedrücktem Joystick die nächsten Bojen unter den Bug. Bojen vernageln ist anscheinend fester Programmpunkt bei der Probefahrt vor Southwest Harbor. Unter dem 46 Zentimeter tiefen Rumpf gibt es nichts, was die Lobsterfallen mitreißen könnte. Ohne Welle, Wellenbock, Propeller, Z-Trieb und Ruderblatt lassen sich mit dem Boot auch flache Gewässer unbesorgt ansteuern. Damit sind die üblichen Schäden Geschichte.

Ansehnlich ist auch das 34-füßige Picnic Boat der Werft
Ansehnlich ist auch das 34-füßige Picnic Boat der Werft © Hinckley Werft

Jenseits solcher praktischen Gesichtspunkte ist das Picnic Boat hinreißend hübsch. Der antiquiert geschwungene Aufbau mit dem Dachüberstand über großen Seitenscheiben, das geduckte Deckshaus mit den ovalen Bullaugen, das deutlich ausgekragte Vorschiff, der charmante Deckssprung sind eine Versuchung. Die umlaufende Fußleiste, die Handläufe und das schön getischlerte Interieur sind sehenswert.

Das Boot wirkt wie ein Klassiker, fast schon bieder, ohne langweilig zu sein. Dieser feine Unterschied verrät das Können seines Schöpfers Bruce King, der als Konstrukteur von Retroyachten in den Achtziger und Neunzigerjahren von sich reden machte. Es ist kein Klassiker, sondern lediglich inspiriert vom Arbeitsboot der amerikanischen Ostküste, dem Lobsterboot, mit dem es allenfalls die Anmutung der Seitenansicht gemeinsam hat. Wie die bewährten Segelyachten der Hinckley Werft ist es dank des hellen Kunststoffdecks pflegeleicht. Nur wenige Hölzer der umlaufenden Fußleiste und der Handläufe sind gelegentlich anzuschleifen und zu lackieren.

Unter Deck bietet das Boot eine Doppelkoje, eine Pantry und einen Toilettenraum - das Nötigste also für ein Wochenende zu zweit. Die Bezeichnung Picnic Boat ist eine Untertreibung. Doch passt dieses Understatement wie die Farben und Formen zum Boot. Wenn ein Motorboot, dann so eins. Herrlich von gestern, mit der Technik von heute. Abweichend vom Vorbild, dem Lobsterboot der amerikanischen Ostküste, mit einem Knick- anstelle eines Rundspants. Dieser Kniff lässt es früher gleiten und ruhig im Wasser liegen.

Der Stahlantrieb und das Bugstrahlruder bietet ausgezeichnete Manövrierfähigkeit. Es lässt sich per Joystick in der rechten Hand des Steuermanns auf der Stelle drehen. Ebenso überzeugend stoppt das Picnic Boat aus voller Fahrt auf. Die getriebelose Umlenkung des Wasserstrahls mit dem hinter der Auslassdüse heruntergeschwenkten Heckvisier macht es möglich. Dabei sollten sich alle an Bord gut festhalten.

Leider hat das Picnic Boat zwei Haken. Wie alle begehrenswert schönen Dinge ist es ziemlich teuer. Auch für gebrauchte Exemplare wird ein stolzer Preis aufgerufen. Wie komplex die Technik ist, erfuhr der Hamburger Eigner Peter Förthmann als stolzer Eigner eines gebrauchten Picnic Bootes vor einigen Jahren bald nach der Übernahme. Letztlich ließ er einen Techniker aus den Staaten einfliegen. Auch die Elektronik verlangt regelmäßige Zuwendung.

Aber es gibt Alternativen wie beispielsweise die Classic Coaster Range, wie sie die Hamburger Lütje Werft nach Plänen von Rolf Vrolijk in verschiedenen Größen und Ausstattungsvarianten gebaut hat. Der Charmeur unter den Motoryachten hat weltweit mit verschiedenen Retrovarianten Nachahmer gefunden.

Gleicher Charme made in Germany: Classic Coaster 38
Gleicher Charme made in Germany: Classic Coaster 38 © Markus Heimbach/Lütje Yachts

Nach 450 Exemplaren setzt Hinckley die Erfolgsgeschichte mit der 37er Mk III fort. Eine gewichtsoptimierte Bauweise und die kräftigere, neuerdings doppelte Motorisierung gehört neben zeitgemäßer Bordelektronik zu den Verbesserungen. Ein 34 und ein 40 Füßer erweitert die Range nach unten und oben hin.

Die zweimotorigen Modelle brauchen mehr Sprit, erreichen dafür bei einer angenehm niedrigeren Drehzahl mehr als 30 Knoten. Und sie bieten im unwahrscheinlichen Fall, dass bei einem gut gewarteten Boot mal eine Maschine streikt, die Gewissheit, mit der zweiten Maschine in den nächsten Hafen zu kommen.

Ein Boot für glückliche Menschen, die schon alles haben. In meinen Augen eine echte Versuchung für Segler, die Alters halber in ein ringsum gelungenes Motorboot umsteigen möchten.

Das Hinckleysche Picnic Boat und die Flotte der weltweiten Nachahmer ist vom Lobsterboat, einem Fischerboot der amerikanischen Ostküste inspiriert. Als Arbeitsboot war es in erster Linie zweckmäßig. Das angehobene Vorschiff bot Rauhwassertauglichkeit bei der ganzjährigen Fahrt zu ausliegenden Hummerfallen, zugleich Unterschlupf zum Aufwärmen und Ausruhen. Der Aufbau bot Schutz, das geräumige Heck Platz zur Arbeit an den Hummerkörben. Das Achterschiff war flach gehalten, damit die Fischer an die Bojen kamen. Der Aufbau, eine kantige Holzkonstruktion. Der Rumpf war zunächst rundspantig, was die Boote damals entsetzlich rollen ließ.

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VG