Umwelt- und Meeresschutz7 min Lesezeit
Kein Leben ohne Ozeane
Die Vereinten Nationen beschließen Hochseeschutzabkommen BBJN

Die Ozeane bedecken 71 Prozent der Erde, stellen 95 Prozent der belebten Biosphäre und enthalten 97 Prozent allen Wassers auf unserem Planeten. Es ist ein komplexes Gefüge aus Wasserkörpern, Strömungssystemen, Kreisläufen und Wechselwirkungen mit der Atmosphäre, das ein Leben auf der Erde überhaupt erst möglich gemacht hat. Ausgerechnet die Hohe See mit all' ihren Schätzen war bis jetzt rechtsfreier Raum.
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 18.07.2023
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Endlich gibt es ein Meeresschutzabkommen der Vereinten Nationen
- Warum die Hohe See bisher rechtsfreier Raum war
- In der Tiefsee liegt vielleicht unsere Zukunft verborgen
- Das BBJN ist ein Abkommen, dass nicht mehr durch das Veto einzelner Staaten ausgebremst werden kann
- Mit dem Tiefsee-Bergbau wird das UN-Abkommen für den Schutz der Ozeane und Meere erstmals auf die Probe gestellt
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- Die Geschwindigkeit der Meereserwärmung hat sich seit 1993 verdoppelt, mit verstärkenden Effekten für Wirbelstürme und Regenfälle.
- Das Arktiseis ist in den letzten Dekaden um jeweils 12,8 Prozent zurückgegangen.
- Das Abschmelzen von Eisschilden kann bis zum Jahr 2100 zu einem Meeresspiegelanstieg von 40 Zentimetern bis über einem Meter führen. Die Wassertemperatur kann sich bis zu drei Grad Celsius erhöhen, der pH-Wert auf etwa 7,7 sinken.
- Die Permafrostböden tauen und drohen bis zu 1.600 Gigatonnen Kohlenstoff freizusetzen.
- Warmes Oberflächenwasser führt zu stabil geschichteten Wasserkörpern und behindert fundamentale Austauschprozesse im Meer. Sauerstoffarme Zonen haben seit 1970 weltweit um drei bis acht Prozent zugenommen.
- Seit den 1950er-Jahren hat sich das Verbreitungsgebiet vieler mariner Arten um bis zu mehrere Hundert Kilometer verschoben, mit negativen Konsequenzen für die Fischerei und die regionale Ernährungssicherheit.
- Während die Biomasseproduktion insgesamt und die Qualität von Lebensräumen abnehmen, treten schädliche Algenblüten weltweit früher im Jahr auf und sind stärker ausgeprägt.
- Ozeanversauerung und abnehmender Sauerstoffgehalt beeinträchtigen Strömungssysteme und wichtige Auftriebsgebiete.
- Die Küstenvegetation, Mangrovengürtel oder Salzmarschen sind im 20. Jahrhundert um 50 Prozent zurückgegangen und verlieren ihre natürliche Küstenschutz-Funktion. Bestände von Seegraswiesen und Algenwäldern sind um über 40 Prozent zurückgegangen.
- Fast alle Warmwasserkorallen drohen bereits bei einer Meereserwärmung von weniger als zwei Grad Celsius zu verschwinden.
Quelle: NABU
Ohne die Ozeane würde es kein Leben auf der Erde geben – ohne die Ozeane wird es kein Leben auf der Erde geben!
Damit das, was vor ca. 3,5 Milliarden Jahren in den Tiefen des Ur-Ozeans begann, nicht mit der Agonie der heutigen Ozeane endet, müssen die großen Wasserflächen auf unserem Planeten geschützt werden. Es müssen Gesetze geschaffen werden, die eine weitere Ausbeutung der Weltmeere klar regulieren, wenn nicht sogar vollständig verhindern. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, die den Motor allen Lebens auf der Erde vor seinen größten Feinden schützt: den Menschen.
Heute sind die Ozeane Opfer der von von Menschen ausgelösten Klimaerwärmung. Und gleichzeitig sind sie die größte Hoffnung der Menschheit, um eben dieser Klimakrise entgegen zu treten.
Jeder zweite Atemzug…
Die Ozeane bedecken 71 Prozent der Erde, stellen 95 Prozent der belebten Biosphäre und enthalten 97 Prozent allen Wassers auf unserem Planeten. Es ist ein komplexes Gefüge aus Wasserkörpern, Strömungssystemen, Kreisläufen und Wechselwirkungen mit der Atmosphäre, das ein Leben auf der Erde überhaupt erst möglich gemacht hat.
Die Weltmeere und -ozeane nehmen mit über 90 Prozent den mit Abstand größten Teil der auf die Erde treffenden Sonnenwärme auf. Sie speichern mehr Treibhausgase, als die Atmosphäre und nahezu ein Drittel des vom Menschen verursachten Kohlendioxids. Und wenn Sie jetzt tief Luft holen, dann atmen Sie mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit Sauerstoff ein, der von den Ozeanen geliefert wurde. Oder anders formuliert: jeder zweite Atemzug hat seinen Ursprung in den Weltmeeren.
Grenzt es nicht an Schwachsinn, dass ausgerechnet diesem für die Erde so elementar wichtigen Lebens- und Überlebensraum bisher weniger Schutz vor menschlichen Einflüssen und Ausbeutung geboten wurde, als etwa Binnenseen oder Flüssen?
Dabei ist es offensichtlich, dass die Ozeane leiden. Abgesehen von den Abermillionen Tonnen Plastikmüll, die wir ihnen Jahr für Jahr zumuten, bringt die Erwärmung des Salzwassers durch das von Menschen produzierte Kohlenmonoxid das komplexe Gefüge unserer ökologischen Kreisläufe völlig durcheinander. Das Wetter ändert sich, Strömungen wie der Golfstrom verlangsamen ihren Lauf, es kommt häufiger zu immer stärkeren Stürmen – und das nicht nur in Küstennähe.
Überfischung, Ölausbeutung, Tiefseebergbau schwächen die Ozeane zudem – es ist ein teuflischer Kreislauf, bei dem wir unseren stärksten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel am meisten schwächen.
Jahrelange Verhandlungen
Zwei Drittel der Ozeane gehören zur Hochsee (+ 200 km von den Küsten entfernte Seegebiete) und waren bislang weitgehend rechtsfreier Raum. Seit über 20 Jahren wird von vielen Staaten und von Umweltschutzorganisationen ein internationales Abkommen zum Schutz der Ozeane, im Besonderen der Hochsee gefordert.
2018 wurde dann endlich auf internationaler Ebene erstmals ein UN-Hochsee-Schutzabkommen verhandelt. Danach gab es mehrere Versuche, ein bindendes Abkommen zustande zu bringen – erfolglos.
Die fünfte Internationale Staatenkonferenz (IGC5) wurde am 26. August 2022 unterbrochen und vom 20. Februar bis zum 4. März 2023 fortgesetzt. Zu Beginn der neuen Verhandlungsrunde hieß es, dass nur kleine Schritte zu einer Einigung fehlen würden. In den zwei Wochen intensiver Gespräche zeigten sich jedoch weiterhin starke Meinungsverschiedenheiten, die zum Ende der Konferenz in einem 48-stündigen Verhandlungsmarathon endlich geklärt werden konnten: Die UN einigten sich auf ein internationales Meeresschutzabkommen, das seit dem 19. Juni nun auch förmlich von den Vereinten Nationen angenommen wurde.
Hochsee-Meeresschutzgebiete
Das Hochseeschutzabkommen BBNJ sieht vor, dass auf Hoher See großflächig Meeresschutzgebiete eingerichtet werden können. Was wiederum mit dem kurz zuvor geschlossenen Biodiversitätsabkommen einhergeht. Darin hatte sich die Weltgemeinschaft bereits verpflichtet, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Ozeane zu schützen.
Erstmalig müssen künftig auch die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten oder wissenschaftlicher Aktionen wie Expeditionen in arktische oder antarktische Regionen auf die Biodiversität der Hohen See bewertet werden.
Zudem wurde vereinbart, dass Entwicklungsländer für ihre Teilnahme am Abkommen Unterstützung unter anderem durch Transfer von mariner Technologie erhalten. Somit sollen die möglichen Vorteile mariner genetischer Ressourcen mithilfe eines gerechten Mechanismus aufgeteilt werden.
Denn die Tiefen der Hochsee verbergen unschätzbare, u.a. genetische Ressourcen, die im Kampf gegen den weltweiten Hunger oder etwa für die Herstellung zukünftiger Medikamente überlebenswichtig für die Menschheit werden könnten.
Die Tiefen der Ozeane könnten überlebenswichtig für die Menschheit werden.
Im BBNJ-Abkommen haben sich die UN-Mitgliedsstaaten vorwiegend über Verfahrensfragen geeinigt. Der wohl wichtigste Punkt: Entscheidungen müssen nicht mehr im vollständigen Konsens getroffen werden, es reicht eine Dreiviertelmehrheit. So sind wirksame Entscheidungen auch dann möglich, wenn Staaten wie Russland, China oder die USA ein Veto einlegen.
Zudem einigte man sich auf die Art und Weise, wie Schutzgebiete vorgeschlagen werden können, wie oft sich BBNJ-Mitglieder zu einer Vertragsstaatenkonferenz treffen sollten und wann die Rechte lokaler Gesellschaften oder etwa indigener Völker besonders berücksichtigt werden müssen.
Weiterhin wurden Grundsätze wie etwa das Verursacherprinzip verabschiedet (Polluter pays principle). So können etwa „Blaue Korridore“ eingerichtet werden, bei denen Schifffahrtsrouten verlegt werden, damit Wale auf ihren Wanderungen weniger gestört werden.
Ein weiteres Beispiel für schützenswerte Ökosysteme sind Kaltwasserkorallen, die Riffe in der Tiefsee bilden, die genauso komplex sind wie tropische Riffe. Das größte von ihnen erstreckt sich vom Norden Norwegens entlang der Atlantikküste bis nach Südafrika.
Die Tiefsee gehört allen
Von nahezu allen beteiligten Staaten der Vereinten Nationen wird das BBJN-Abkommen als „großer Durchbruch“ gefeiert. Auch die involvierten Umweltschutz-Organisationen zeigen sich größtenteils zufrieden bis begeistert. Denn die Hoch- und somit auch die Tiefsee galten bislang als rechtsfreier Raum – sie gehörten niemand und somit allen.
Was wiederum manche zum Anlass nahmen, sich das zu nehmen, das niemand respektive allen gehört.
Wenn man bedenkt, dass lediglich ein Bruchteil der weltweiten Tiefsee erforscht wurde – angeblich weiß man mehr über die Oberfläche des Mondes, als über den Grund der Hochsee – kann das BBJN-Abkommen als ein wichtiger Schritt im gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel und für einen Schutz der Ozeane bezeichnet werden.
Kommt der Tiefseebergbau dennoch?
Doch kaum wurde das BBNJ verabschiedet und formell bestätigt, wird es schon auf die Probe gestellt. Denn zwischenzeitlich ist eine wichtige Frist abgelaufen, in der Regeln für den Bergbau in der Tiefsee hätten erstellt werden müssen – aber nicht erstellt wurden.
Prompt könnte es nun erste Anträge geben, wie etwa die vom Unternehmen Nori, eine Tochter des kanadischen Rohstoffförderers The Metals Company. Nori will etwa 2.000 km vor der mexikanischen Küste im Pazifik in der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone in etwa vier Kilometern Wassertiefe Mangan-Knollen „ernten“ respektive per riesigem Staubsauger abbauen.
Die Knollen enthalten wertvolle Metalle wie Nickel, Kobalt, Mangan und sind über Millionen von Jahren aus Metallverbindungen „gewachsen“.
Insgesamt geht es um 21 Milliarden Tonnen dieser für unsere Technologiewelt so einzigartigen Knollen – und letztlich auch um den Schutz der Ozeane und Meere.
Denn wird diesem Tiefsee-Bergbau-Projekt stattgegeben, werden weitere Anträge in ähnlichem Umfang folgen. Rechtlich scheint es aufgrund der abgelaufenen Frist und noch nicht fertiggestellten Regeln nur wenige Möglichkeiten zu geben, den Abbau der Mangan-Knollen zu verhindern. Man hofft indessen, dass sich das Unternehmen Nori „vernünftig verhalten“ wird und die in der Entwicklung befindlichen Regelwerke der entsprechenden Meeresboden-Behörde abwartet.
Doch selbst unter noch so strikten Regeln würde ein Abbau der Mangan-Knollen der Tiefsee einen nicht einschätzbaren Schaden zufügen. Gerade weil diese Gebiete noch völlig unerforscht sind.
Infernalischer Kreislauf
In Bezug auf die Klimaverträglichkeit wird jedoch seitens der Tiefsee-Bergbau-Unternehmen argumentiert, dass sie im Vergleich zum teils desaströsen Abbau an Land deutlich klimaverträglicher arbeiten.
Umweltverbände und Ökonomie-Wissenschaftler argumentieren wiederum, dass ein Ausbau des Tiefseebergbaus eine Art Kettenreaktion an Land auslösen würde. Denn die „Ernte“ der Mangan-Knollen dürfte relativ teuer werden.
Entsprechend hoch werden die Preise für die gewonnenen Rohstoffe ausfallen, worauf der Bergbau an Land mit Dumping-Preisen, die nur durch Umwelt-unverträgliche Abbau-Methoden erreicht werden können, reagieren wird. Was dies für Auswirkungen auf das Klima haben könnte, liegt nahe.
Ein infernalischer Kreislauf, der im Ozean beginnen und enden würde. Ein Kreislauf, der in der Gier des Menschen nach immer mehr Rohstoffen, Konsum und Profit seinen Ursprung hat. Eine Gier, die wohl nur durch Regeln gestoppt werden kann.
Die Rechtsfreiheit auf Hoher See ist ein grundlegendes Problem für unsere Zukunft. So könnte der Tiefseebergbau ohne Regelwerk verheerende Folgen haben. Viele Staaten fordern sogar sein Verbot oder zumindest einen Aufschub, solange nicht klar ist, wie sich Tiefseebergbau auf die schon belasteten Ozeane auswirkt. Mit dem UN-Abkommen zum Schutz der Hochsee wurde (endlich!) ein erster Schritt getan, um die weitgehend unerforschten Gebiete der Ozeane und Meere vor uns Menschen zu schützen.