Anmelden

Boote im Porträt7 min Lesezeit

Navyblau statt Chiquitagelb

Wie ein pfiffiger Handwerker ein fertiges Schiff aufmöbelte

Navyblau statt Chiquitagelb
Ist die noch zu retten? Eine gebrauchte International 10.06 von anno 1976 © Thomas Pfiffner

Wie ein Bayer in Holland eine abgerockte Rarität entdeckt, sie zuhause mit Ausdauer und Drehmoment in ein Schmuckstück verwandelt und damit auf dem Lago Maggiore seinen Seglertraum lebt.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 19.07.2022, aktualisiert am 12.12.2024

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • wie man im Gebrauchtbootmarkt zu einer unverwechselbaren Yacht kommt
  • wie mit etwas Geld, Geschick und Einsatz aus einem Problem ein schickes Boot wird
  • die Geschichte eines Trucks aus den Neunzigern, Boot aus den Siebzigern und Auflieger aus den Sechzigern
  • Highlights und Rückschläge des etwa 1 1/4-jährigen Projekts
  • wie dabei finanziell die Kirche im Dorf blieb
  • was der Eigner aus dem Rat des Autors machte

Artikel vorlesen lassen

Der Yachtbau unserer Tage bietet von Jahr zu Jahr voluminösere und komfortablere Modelle. Das ist prima, weil dann die Frau mitkommt und die Kinder Platz haben. Man(n) wird doch ungern Einhandsegler. Die Kehrseite ist, dass die Boote irgendwie alle gleich aussehen und segeln wie Schwabbelkram. Auch ist der moderne Nutzwertbomber nicht jedermanns Traumschiff. Dabei ist die werftneue Yacht selbst aus der Großserie noch ein teurer Spaß. So viel Geld muss man erst mal für Spielzeug übrig haben.

Der Augsburger Thomas Pfiffner ist beim Boot ziemlich Siebziger. Er mag „nordische Gfk-Schätze wie die BB 10, Bianca Aphrodite 101, Molich X oder eine International 10.06.“ Letztere wurde ab 1976 insgesamt 40-mal mit keilförmigem Aufbau, die Seiten meist in Dänenrot gehalten, und in einer sportlichen Flushdeck-Version ohne Dänenrot von der O.L. Værft Ringsted A/S gebaut. Den Betrieb gab es 1975 bis 95. Damals waren Bootsmodelle mit vierstelligen Zahlen cool. Kennen wir von schlimmen Fegern wie den BMWs der 2000er-Serie. Die hatten zwar keinen Punkt in der Typbezeichnung, aber trotzdem Feuer.

Gründlich Deckschrubben würde wohl nicht reichen

Nach beharrlicher Suche wurde er mit dem zielführenden Fernrohr Internet in der holländischen Provinz Zeeland fündig. Dort, nordwestlich von Antwerpen, schwamm im Hafen von Wermeldinge, drei Schleusen von der Oosterschelde getrennt, ein ziemlich fertiges Flushdeck-Exemplar in scheckigem Bananengelb. Pfiffner fuhr hin.

Männerspielzeug schaut man alleine an

Sie hieß „Chiquita Connection“. Vor Ort brauchte es etwas Phantasie, um über den Ist-Zustand hinwegsehend zu erkennen, was sich aus dem Renner mit verspaktem Teakdeck machen lässt. Deckschrubben mit etwas mehr Druck würde wohl nicht reichen. Als kluger Stratege hatte Pfiffner die Sache richtig eingerenkt. Er hatte seiner Frau offen gesagt, wozu er alleine nach Wermeldinge fährt. So musste er am Steg nicht die üblichen weiblichen Widerstände klein- und wegreden: Ist unvernünftig, viel Arbeit, samstags keine Zeit mehr für den Wochenmarkt usw.

Pfiffner kauft, obwohl fast alle K.-o.-Kriterien erfüllt sind

„Ohne Liebe und ein gründliches Refit eigentlich ein Kandidat für den Bootsfriedhof“ erkannte Pfiffner. Beinahe unnötig zu erwähnen, dass das Boot in der Flushdeck Version als echtes Männerspielzeug unter Deck volle Bück- statt Stehhöhe bietet und etwas verwohnt war. Damit waren fast alle K.-o.-Kriterien erfüllt. Fast. „Der Verkäufer hatte sich schon ein 1,5 Millionen Upgrade mit senkrechtem Vorsteven und breitem Hintern, so wie die Pötte heute eben alle aussehen, zugelegt. Er hatte sich innerlich schon verabschiedet und war froh, das alte Boot loszuwerden.“

Benz aus den Neunzigern, Boot aus den Siebzigern. Pfiffner auf dem Rückweg aus Holland
Benz aus den Neunzigern, Boot aus den Siebzigern. Pfiffner auf dem Rückweg aus Holland © Thomas Pfiffner

Nun musste das Problem bloß noch zum Pfiffner. Auch das lässt sich unnötig teuer oder preiswert machen. Das Praktische an einem Dünnschiff ist, dass es anders als moderne Nutzwertkübel mit XXL-Hüften problemlos abzuholen ist. 3 ½ Tonnen verteilt auf 1006 cm bei keinem 2 ½ m Breite: Da greift kein Polizist zur Kelle.

Als gelernter Metallbauer und Selber-Macher richtete er einen alten Mercedes-Benz Laster zur Sattelzugmaschine her, der sich mit Führerscheinklasse 3 fahren lässt. Dazu einen alten Auflieger für das Segelspielzeug. Auch das H-Kennzeichen machte die Sache preiswert. „Na ja, war schon ’ne lange Geschichte“, fasst Pfiffner den zweiten Schritt zur Arche in angenehmer Bescheidenheit zusammen.

In drei Schritten zur Arche

Anfang 21 stand die schlanke Dänin auf Pfiffners Wiese. Dort krempelte er nach zügiger Inventur die Ärmel für den eigentlichen, den dritten Schritt zur Yacht hoch. Er gab „gefühlte 100 Kilo Navigationsinstrumente“ zum Elektroschrott, kleisterte die Löcher in der Plicht zu, schliff und spachtelte seinen Bananendampfer. Er fuhr ihn zu einem Fachbetrieb für Lkw-Lackierungen. Der macht im Prinzip das gleiche wie ein Bootslackierer, nur - Sie wissen schon. Entscheidend bei Malerarbeiten aller Art ist die Vorbereitung. Als Mann der Tat hatte Pfiffner das alles selbst erledigt.

Schritt 3: Inventur auf Pfiffners Wiese
Schritt 3: Inventur auf Pfiffners Wiese © Thomas Pfiffner

Leider war die Lackierung dann doch nicht so einfach, weil das Laminat einschließlich einiger Lufteinschlüsse in der süddeutschen Sonne im Sommer 21 auf Pfiffners Wiese so warm wurde, dass das piekfeine Navyblau da und dort Blasen warf. Im Idealfall sind Fehler Dellen in der Dazulernkurve.

Zeit für ein Selfie im Spiegel gab es auch
Zeit für ein Selfie im Spiegel gab es auch © Thomas Pfiffner

Auf sündteure Yachtelektronik verzichtet Pfiffner. Ihm genügt ein Blick zum Verklicker, die Bändsel im Segel und ein Tiefenmesser. Am Lago Maggiore, dem neuen Revier des Daysailers, ist Segeln schön einfach. Soweit es Wind gibt. Doch dazu später.

Warum das Boot jetzt Arne heißt

Auch der Aufbau, soweit man angesichts des angehobenen Schiebelukträgers mit Wasserabweiser und dem niedrigen Süllrand davon sprechen möchte, sowie die Plicht strahlt im stilvoll abgetönten Weiß einer neuen Lackierung. Das Teak wurde geschliffen und geölt. Ein Autosattler zauberte neue Polster. Das Interieur möbelte Pfiffner mit einem befreundeten Schreiner auf. Etwa ein Jahr nach Ankunft stand ein äußerlich neuer, in edlem Navyblau lackierter Schlitten auf Pfiffners Wiese. Zeit für einen schlichten, neuen Namen. Aus 18 Buchstaben, verteilt auf zwei Wörter, wurden vier.

Voller Vorfreude wurde 2021 schon mal auf Pfiffners Wiese aufgetakelt und geschaut, ob alles paßt
Voller Vorfreude wurde 2021 schon mal auf Pfiffners Wiese aufgetakelt und geschaut, ob alles paßt © Thomas Pfiffner

Mit Arne erinnert Pfiffner an den Konstrukteur Arne Borghegn. Borghegn fing in der Werft von Paul Molich (dem Konstrukteur der in Dänemark beliebten Molich X) an, studierte am Technikum in Helsingør und machte sich Ende der Siebzigerjahre selbstständig. Die International 10.06 war einer seiner ersten Entwürfe. Später geriet Borghegn mit behäbigen Tourenbooten a la Motiva oder Nordship für die Zielgruppe Schiffermützenträger aus Pfiffners und meiner Sicht leider etwas aus der Spur.

Die Mission Arne war „finanziell absolut überschaubar“, berichtet der Selber-Macher. „Man muss nur Zeit und Leidenschaft aufbringen.“ Mit dem Daysailer verwirklichte der Bayer einen langgehegten Traum. Pfiffner ging am Ammersee zur Schule, wo er nach dem alltäglichen Büffelpensum auf väterliche Anweisung hin in der Freizeit eine handwerkliche Ausbildung machen musste. „Ich stand an der Werkbank, während die anderen nachmittags segeln gingen“ erinnert Pfiffner. An solch einem traumhaften See mit phantastischem Alpenpanorama zur Schule gehen und nachmittags nicht segeln dürfen, war brutal. Auch danach, in seinem Arbeitsleben als selbstständiger Metallbauer, hatte Pfiffner kaum Zeit. Vergessen hatte er seine Segelsucht darob nie. Er büxte sogar mal im toskanischen Archipel mit einem Freund an Bord eines schönen großen Touren-Schärenkreuzers aus. Es war sonnenklar: Eines Tages würde Pfiffner segeln gehen. Wann, so oft und solange er es braucht. Mit einem Boot. Keiner Frittenbude.

Der Lago Maggiore als alpine Ausgabe der Roßbreiten

Als Pfiffner vor einer Weile mehr Zeit hatte, wurde er beim Stöbern im Internet auf ein PDF mit dem Titel „Die Schlanken und Ranken“ von 2015 aufmerksam. Pfiffner schickte mir ein paar freundliche Zeilen - und Fotos. So guckte ich abends nach der Arbeit gelegentlich die Bilder von Wermeldinge, dem Transport und die Augsburger Wiesenbilder an.

Unterwegs zum Lago Maggiore. Jetzt mit stimmig gebrandetem Truck
Unterwegs zum Lago Maggiore. Jetzt mit stimmig gebrandetem Truck © Thomas Pfiffner

Im Januar 22 telefonierten wir mal. Ich fragte Pfiffner, wie alt die Saildrive-Dichtmanschette und die Borddurchlässe sind. „Keine Ahnung“, meinte er. „Schaffe ich jetzt nicht mehr. Wird wohl gut gehen.“ Er wollte nach dem ganzen Organisieren, Fahren, Abschrauben, Schleifen, Kaufen und Montieren mal segeln. Das verstand ich gut, riet aber: „Die würde ich auf jeden Fall zu Hause mit all den handwerklichen Möglichkeiten vor Ort selbst tauschen. Schlimmstenfalls stecken die Stahlschrauben wie angeschweißt im Alu. Wenn es gut geht, bauen Sie die Manschette in einem halben Tag aus. Wenn nicht, brauchen Sie eine Spezialwerkstatt, mehrere Anläufe, viel Geduld und Spucke. Borddurchlässe herausschneiden ist für Sie als Handwerker ein Klacks. Stellen Sie sich vor, Arne säuft deshalb ab.“

Schön Siebziger auch der Bootsname mit kleinem Anfangsbuchstaben
Schön Siebziger auch der Bootsname mit kleinem Anfangsbuchstaben © Thomas Pfiffner

Mein Klugschiss wirkte. Er hat es dann doch vor der Fahrt huckepack durch die Alpen zum Lago Maggiore noch gemacht. Die Sache sei einfach über die Bühne gegangen. Ist meistens so. Je größer das Gehühner vorher, desto besser flutscht es. Prima, dass Pfiffner neben der Schule was Gescheites, Handwerkliches gelernt hat. So Nine to Five im Büro Dateien herumschieben, das können viele. Seitdem schickt er traumhafte Bilder vom Arnesegeln auf seinem neuem Hauslago. Pfiffner hat seit der Schulzeit eine Menge nachzuholen.

So eine Wumme gibt’s heute nur restauriert. Bemerkenswert ist auch der Wind
So eine Wumme gibt’s heute nur restauriert. Bemerkenswert ist auch der Wind © Thomas Pfiffner

Die Sache mit dem Wind

Leider steht auch so ’ne scharfe Siebziger-Windmühle bei Vollflaute schlimm herum. Wie erwähnt hat Pfiffner jetzt Zeit und sich dazu Gedanken gemacht: „Es ist ja üblich, Schiffen einen weiblichen Namen zu geben. Vielleicht habe ich da einen Fehler gemacht. Arne ist bei uns im Norden nun mal ein männlicher Vorname. Beim Stöbern in der griechischen Mythologe entdeckte ich aber, dass Aiolos, der Gott der Winde, eine Tochter hatte. Die hieß Arne.“

Leider hilft das nicht mal auf dem Lago Maggiore, dieser alpinen Ausgabe der Roßbreiten. Daher hebt Pfiffner zu sehr früher Stunde, wenn normale Phlegmatiker noch pennen, die Persenning vom Deck. Bis 10 vormittags geht was. So segelt er der aufgehenden Sonne entgegen, manchmal mit Keith Jarretts Köln Concert im Ohr. Es wurde 1975 aufgenommen.

Seglerglück auf dem Lago Maggiore in einer gnädigen Brise
Seglerglück auf dem Lago Maggiore in einer gnädigen Brise © Thomas Pfiffner

International 10.06

Konstrukteur Arne Borghegn
Länge 10,06 m
Wasserlinie 8,60 m
Breite 2,47 m
Tiefgang 1,7 m
Ballast Stahl 1,5 t
Verdrängung Flushdeckversion leer 3,2 t
Am Wind Besegelung mit Groß & Fock 38,10 qm
Groß & Genua 55 qm
Fock 16,43 qm
Genua 33 qm
Groß 21,66 qm
Frischwassertank 61 l
Originalmaschine: Volvo Penta MD5B, 7,5-PS-Einzylinder
Dieseltank 41 l
Baujahr 1976

Gespann

Mercedes-Benz 814 LK, 7,5 t, Baujahr 1990
Auflieger Fabrikat Stamer von 1965
max. 5 t Bootsgewicht, daher mit Führerschein Klasse 3 fahrbar
Oldtimer mit H-Kennzeichen, daher von Lkw-Maut befreit

Weiterführende Links

VG