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Es kommt auf die Kürze an!
Über den Teich auf 3 m – die Mikrosegler auf ihren tollkühn kleinen Booten
Als Harald Sedlacek Anfang Juli nach 46 Tagen und 20 Stunden seine West-Ost-Atlantiküberquerung auf seinem Open 16 «Fipofix» beendete, erntete der Österreicher europaweit reichlich Applaus. Das 4,90 m kurze, quietschgelbe Boot, mit dem er schon den Hinweg über die atlantische, südliche Barfußroute in negativ-rekordverdächtigen 87 Tagen absolviert hatte, wurde in den Medien als «Mikroyacht» bezeichnet und als eine Art reduzierte Folterkammer vorgestellt: 4,90 m kurz, mit zwei Quadratmetern Bewegungsfreiheit unter Deck – mehr nicht! «Zu wenig Platz für die Weiten der See!» hieß es …
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 07.12.2022
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Porträt der skurrilen Mikro-Segler-Szene.
- Warum die Gentleman-Bootslänge 10 Fuß beträgt.
- Liste der wichtigsten und spektakulärsten Mikro-Törns.
- Der Schwede Sven Yrvind (Jg. 1939) ist das «Urgestein» der Mikro-Szene.
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Als Harald Sedlacek Anfang Juli 2014 nach 46 Tagen und 20 Stunden seine West-Ost-Atlantiküberquerung auf seinem Open 16 «Fipofix» beendete, erntete der Österreicher europaweit reichlich Applaus. Das 4,90 m kurze, quietschgelbe Boot, mit dem er schon den Hinweg über die atlantische, südliche Barfussroute in negativ-rekordverdächtigen 87 Tagen absolviert hatte, wurde in den Medien als «Mikroyacht» bezeichnet und als eine Art reduzierte Folterkammer vorgestellt: 4,90 m kurz, mit zwei Quadratmetern Bewegungsfreiheit unter Deck – mehr nicht! «Zu wenig Platz für die Weiten der See!» hieß es …
Für wahre Gentlemen
Doch echte Mikrosegler dürften angesichts dieser Längen-, pardon: Kürzenangaben nur milde gelächelt haben. Denn in ihrer Szene gilt das Motto: «Zehn Fuß ist die richtige Länge für wahre Gentlemen!». Zehn Fuß? Das sind 3,048 m – als Mittelmaß!
Mehr als ausreichend für die Protagonisten, die es sich schon seit Ende des vorletzten Jahrhunderts in den Kopf gesetzt haben, die Weltmeere oder zumindest Teile davon mit buchstäblichen Nussschalen zu besegeln. Und das ohne Begleitfahrzeuge, in den meisten Fällen ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt. Ihr einziger Antrieb: Hunger auf Rekorde der kurzen Art. Denn je reduzierter die Bootslänge, desto größer der Ruhm unter ihresgleichen.
Mehr als 80 «große Schläge in kleinen Booten» über den Atlantik, den Pazifik oder die Tasmanische See wurden bis heute dokumentiert. Vom vergleichsweise kommoden 20-Fuß-Pionier im Jahre 1876 bis zum 1,64 m messenden «Schuhkarton» 1992 wurde allein auf dem Nordatlantik eine faszinierende «Geschichte der kurzen Boote» gelebt. Aus naheliegenden Gründen segelten die Protagonisten meist allein und verarbeiteten ihre extreme physische und psychische Belastung nach dem Törn in Büchern oder bei Vortragsreisen. Oder bei einem weiteren Kurztrip der anderen Art!
Spurlos verschwunden
Fünf erklärte Mikrosegler ließen bei ihren Abenteuern auf See ihr Leben auf See. Zwei Boote wurden – intakt – ohne Skipper an Land gespült, andere verschwanden spurlos auf den Meeren.
Vor einigen Jahren versuchten die Mikrocruiser eine Weltumseglungsregatta auf die Beine zu stellen (Around in Ten), bei der die teilnehmenden Boote nicht länger als die besagte Gentleman’s-Größe haben sollten. Doch das Vorhaben scheiterte: von sieben gemeldeten Schiffen war letztendlich nur ein Skipper abfahrbereit und –willig.
Mikro-Skipper um die Welt?
Derzeit machen nur wenige «echte» Mikro-Skipper noch von sich reden: Der im Jahr 2014 schon 70-jährige Daniel Alary wollte in drei Etappen um die Welt segeln, musste aber am 100. Tag seiner Reise SOS funken und seine 2,70 m kurze «Poisson d’Avril» (in Memory: Aprilscherz) aufgeben. Und dem mittlerweile auf See verstorbenen Russen Gvzdev wird bei seiner Weltumseglung vor Somalia auf seinem 5,60 m – Boot, von Piraten das Leben geschenkt. Demokratisch wählten sie nach dem Kapern «no kill him!»
Nur der alte Schwede Sven Yrvind (Jahrgang 1939) baut unermüdlich an 3-4m-Nussschalen weiter und will – trotz Behördenschikane und Augenproblemen – eine Nonstop-Weltumseglung in Angriff nehmen. Der Mann weiß, worauf er sich einlässt: Er gilt mit knapp 60 Jahren Mikro-Erfahrung als Dienstältester unter den Helden auf drei Metern.
Anfang 2018 hat Sven den Bau der "Exlex" ("Outlaw") abgeschlossen. Das Boot war für Svens gewohnte Mikro-Verhältnisse, mit 5,76 Meter relativ lang und hatte eine Breite von 1,04 Metern. Am 30. Mai 2018 brach der Schwede im Alter von 79 Jahren mit ihr von Dingle, Irland, nach Neuseeland auf – im März 2019 wollte er bei den Kiwis ankommen.
Leider musste er seinen Versuch Anfang Juli aufgeben und nach Porto Santo vor Madeira segeln, da die Exlex aufgrund von Konstruktionsfehlern zu instabil, langsam und schwer zu handhaben war. Yrvind kündigte an, dass er ein verbessertes Modell entwerfen und einen weiteren Versuch unternehmen werde.
Er kann’s nicht lassen
Nach seiner Rückkehr nach Schweden begann Sven mit dem Bau von Exlex Minor, der im Sommer 2020 abgeschlossen wurde. Am 30. Juni legte der alte Salzbuckel in Ålesund/Norwegen ab und segelte Richtung Horizont. Doch bald wurde Sven klar, dass sein Boot niemals in der Lage sein würde, ausreichend Proviant für lange Schläge, beispielsweise über den Atlantik, zu transportieren. Außerdem kam er nur langsam voran und segelte nicht ausreichend Höhe am Wind. Sven war gezwungen, seine ursprünglichen Pläne aufzugeben und so direkt wie möglich zu den Azoren zu segeln.
Anfang Juli 2021 erreichte Sven Yrvind Horta auf den Azoren, von wo aus er weiter nach Westen in die Sargassosee segeln will.
Eine Auswahl:
- Die erste offizielle «Ost-West-Atlantiküberquerung in einem kleinen Boot» schafften der Amerikaner Buckley und der Österreicher Primorac 1870 in einem offenen (!) 6-Meter-Dinghi in 84 Tagen von Cork nach Boston.
- 1880/81 segelten die Briten Norman und Thomas in einem 4,90 m Boot gleich zweimal die Atlantik-Route – mit einem Jahr Landgang dazwischen. Ihre Abfahrt wurde von 30.000 Menschen gefeiert.
- 1892 besiegte William Andrews in einem 3,90 m kurzen Boot den «großen Teich», nachdem er vier Jahre zuvor scheiterte
- 1939 driftete Harry Young in 39 Tagen von New York zu den Azoren auf einer ebenfalls 3,90 m kurzen, offenen Sloop.
- 1963 segelt Fran Dye die 4,90 m kurze «Wanderer» von Schottland nach Island.
- Ab 1965 schipperte Robin Leen Graham als 16-Jährige, bis dahin jüngste Person überhaupt, in mehreren Jahren und Etappen auf einem 6 m Boot um die Welt.
- Hugo Vihlen segelte 1968 auf der «Aprilscherz», einer 1,83 m Sperrholzkiste, von Casablanca nach Miami.
- Erst 1982 wird dieser «Kürze-Rekord» gebrochen: Tom McNally braucht nur 1,64 m LüWl, um mit seinem an ein Rettungsboot erinnernden Gefährt auf die andere Seite des Atlantiks zu gelangen
- Tom McLean trieb 1982 auf seiner «Giltspur» (2,97 m) von West nach Ost über den Atlantik
- 1982 strandete die 2,72 m kurze «God’s Tear» von Wayne Dickinson kurz vor Erreichen des Ziels an der irischen Küste. Der Segler wird von einem Leuchtturmwärter gerettet.
- Ab 1983 benötigte der französischstämmige Australier Testa 500 Tage, um mit einer selbstgebauten Aluyacht von 3,60 m Kürze um die Welt zu segeln.
- Im gleichen Jahr sägt Tom MClean spektakulär mit der Kettensäge ein Stück seiner «Giltspur» ab und segelt mit dem reduzierten, 2,41 m kurzen Teil über den Nordatlantik.
- Im gleichen Jahr nimmt ihm Tom McNally mit seinem 2,06 m kurzen Gefährt den Rekord wieder ab
- 1993 setzt Hugo Vihlen – genau, der Aprilscherzbold – mit seiner «Vatertag» einen Atlantik-Nordroutenrekord, der bis heute gültig ist: 1,63 m… reduziert auf ein Maximum!