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Wanderjollen
Reisen mit einer Schweriner Einheitsjolle
Je größer und komfortabler das Boot, desto besser, so die gängige Meinung. Ein Ehepaar aus Schwerin zeigte, wie gut man mit einer 6 m Wanderjolle kreuz und quer durch Europa verreist und preiswert in den schönsten Revieren segelt.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 21.07.2016, aktualisiert am 25.04.2024
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Vor- und Nachteile des Segelurlaubs mit der Wanderjolle
- Naturnah segeln auch im fortgeschrittenen Alter
- Reisen nach Schweden und zur Côte d’Azur
- Einzelheiten zur Schweriner Einheitsjolle
- warum der Versuch einer Gfk-Serie leider gescheitert ist
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Es ist ein großer Fehler, die Träume seiner Jugend zu vergessen
Ein Urlaub mit der Jolle ist was für junge Leute und mindestens frisch Verliebte. Die naturnah-spartanische Variante des Wasserwanderns ohne Komfort geht, wenn man gut drauf, fit und gelenkig ist. Dieses Abenteuer wagt man vielleicht, bevor das Leben in das enge Fahrwasser von Pflichten und Routine gerät. Später schwärmt man dann sein ganzes Leben davon - und macht es dennoch nie wieder. In etwa so, wie ältere Leute heute von ihren ersten Erlebnissen und Reisen mit dem VW-Käfer erzählen. Das war natürlich nicht die bequemste Art zu reisen, aber toll. Es ist ein großer Fehler, die Träume seiner Jugend zu vergessen.
Der 2019 verstorbene Schweriner Segler Detlef Huss war sein ganzes Leben unter Segeln auf dem Wasser unterwegs. Nicht, dass er besonders privilegiert oder begütert war. Huss segelte einfach gerne und so lange, wie er denken und auch schwimmen kann. Er segelte einen Bootstyp, der ihm Zeit für das Wesentliche, den Wassersport läßt: Huss war auf Jollen und Jollenkreuzer abonniert. Bei den Jollen war es die sogenannte Schweriner Einheitsjolle, wie von Reinhard Drewitz als stäbiger und kippsicherer Allrounder bereits 1921 entworfen. Natürlich ist die Gaffeltakelage nicht jedermanns Sache. Doch mit ein wenig Gewöhnung und Übung ginge das schon.
Der Rentner hatte gleich zwei Exemplare der sogenannten Schweriner Einheitsjolle. Die kaufte er gebraucht für kleines Geld. Eine hieß zunächst "Dufte Wanne", dann "Libelle-Juna". Die zweite, sein Reiseschiff nannte er "Sindbad" nach einer Erzählung aus den morgenländischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht, die Scheherazade ihrem König erzählte. Ein zutreffender Bootsname also.
Das Gefährt ist handlich, 6 m lang, 190 cm breit, 600 kg schwer und wird von 20 Quadratmetern Segeltuch bewegt. Der Tiefgang des Schwertbootes ist zwischen 10 und 110 cm variabel. Da ist das Einwassern einfach. Und Liegeplatzfragen gibt es auch keine. Man steuert einfach das flache Ufer oder eine Schäre mit angehobenem Schwert an und macht fest.
Mit "Sindbad" in die weite Welt
Entscheidend bei solchen Ausflügen ist, dass das Boot vom Gewicht her wirklich trailerbar ist. Das heißt, der Hänger muss mit dem Bruttogewicht von Boot und reichlich Gepäck zurechtkommen und das Auto muß die ganze Fuhre auch noch legal ziehen dürfen. Es gibt da ein gnadenloses Limit. Es steht in den Fahrzeugpapieren.
Denn alles, was weder ins Auto noch auf's Dach passt, wird achtern ins Boot gepackt. Da kommt beim Schwedentörn oder der Fahrt zur sündteuren Côte d’Azur eine Menge zusammen. Auch möchte man vor Ort ja segeln und nicht imortlich Géant Supermarkt am Kreisverkehr vor Saint Tropez seine Zeit vertrödeln. Die Schlangen und Wartezeiten an der Kasse sind da grauenhaft lang.
Natürlich war der Umbau nicht ganz ohne. Ein Exemplar war in eine Art Jollenkreuzer verwandelt und musste erst mal zuhause im Garten in die offene Wanderjolle, die die Schweriner Einheitsjolle ursprünglich einmal war, zurück verwandelt werden. Die Maßnahme begann mit der Axt und Stichsäge. Als frisch gebackener Renter brauchte Huss zuhause eine sinnvolle Beschäftigung und Aufgabe. So ging er seiner Frau daheim nicht mit alten Geschichten und Späßen "auf den Geist". Huss war ein energiegeladener und auch mitteilsamer Mensch.
Ich habe das Projekt damals verfolgt. Es war eine verrückte, schöne Geschichte und irgendwann tauchte Huss mit dem fertigen, in eine hübsche gaffelgetakelte Schweriner Einheitsjolle verwandelten Boot an der Alster auf. Das Boot war so kommod, dass ich gleich meinen Sohn, damals im Kinderwagen, mit zum Segeln nahm. Er schlief ne Runde, so wie Säuglinge das nachmittags schon mal machen und der Huss und ich quatschten über Boote. Er zeigte mir alle Beschläge und zu jedem gabe es eine interessante Geschichte. Der Huss war ein liebenswerter, wahrlich segelbegeisterter Kerl. Und - ja - natürlich "hatten wir alle Schwimmwesten an", erklärte ich der Mutter unseres Sohnes dann abends.
So ein Boot nimmt man auf dem Anhänger überallhin mit, wo es segelnswert und schön ist. Nicht nur vom Schweriner See zur Alster. Zum Beispiel nach Schweden zu einer ausgiebigen Erkundung des Mälarsee, Stockholms und des wahrlich paradiesischen Schärengartens. Dort verbrachte das Ehepaar Huss später einen dreiwöchigen Segelurlaub.
Mal wurde an irgendeinem Stein angelegt, mal an einer praktischen Birke, wie sie rings um die Süßwasserseen zahlreich herumstehen, festgemacht. Mal fand sich ein Liegeplatz neben einem Biberbau. Das ist Welten angenehmer, als neben einem normal muffeligen Angeber mit seinem Dickschiff mit sämtlichen Schikanen anlegen und sich von oben herab bemitleiden zu lassen.
Mal fand sich sogar ein formidabler Steg mit Sitzbänken zum Brutzeln, Essen und Geschirr spülen. Abends gab’s zur Feier des Tages dann eine Dose Lübzer frisch gekühlt aus dem Mälarsee. Kein klar denkender Mensch braucht im Norden eine nur teure, schwere und lästige Kühlbox samt Batterie und Ladegerät. Oder die langen schwedischen Nächte wurden mit einer Flasche Rotkäppchen gefeiert.
Das Ehepaar Huss war seinerzeit schon in einem Alter, wo man es gern etwas komfortabler hat und nach vier Jahrzehnten Ehe irgendwie auch aus dem Stadium frischer Verliebtheit heraus. Aber die beiden haben sich auf ganz wunderbare Weise die Begeisterung für die Natur und das einfach schöne Leben bewahrt. Das können nur wenige Menschen und ich glaube ein Wanderjollenleben hilftdabei ungemein.
Nach langer Anreise mit dem vollgepackten Auto und Anhänger wurde die Jolle an einem kleinen Ort in der Nähe von Schloss Gripsholm in den See geschoben, aufgetakelt und abgelegt. Mitten im schwedischen Hochsommer hatte es gut zehn Grad. In der Sonne war es wärmer.
Es gab mehr Mücken als Wind und gelegentlich einen gescheiten Regenguss mit gewittrigen Zugaben. Da bewährte sich die rasch über den Baum ausgebreitete Persenning. Bei Flaute legte sich Huss in die Riemen, so wie es in den Zwanziger Jahren üblich war. Ein Außenbordmotor ist schwer, laut, stinkt, kostet nur Geld und springt nach Lust und Laune, als nicht an, wenn er soll. Außerdem wäre so ein Hilfsquirl ein übler Stilbruch gewesen.
Dann zog es Huss Anfang Oktober mit seiner knuffigen Wanderjolle zur berühmten Segelwoche klassischer Yachten nach Saint Tropez. Bei diesem Termin kommt man vielleicht über Beziehungen als sehr vermögender Eigner eines prominenten Klassikers mit seiner Kostbarkeit in den Hafen. Huss wasserte im benachbarten Port Grimaud ein. Er segelte einfach rüber und war mit seinem stilvoll schönen Boot sogar bei den leider notorisch schnöseligen Franzosen der wirklich allerübelsten Sorte willkommen.
Die stäbige Wanderjolle mit Steilgaffel und beigem Spritzverdeck passte einfach in den Vieux Port. Natürlich wurde der mediterrane Saisonabschluss ausgiebig zum Schiffe gucken im Hafen und draußen auf dem Golf von Saint Tropez genutzt. Von ihrer Größe her hätte sich die Nußschale gut als Beiboot der dort versammelten Rennschoner gemacht. Aber um schiere Größe geht es Anfang Oktober in Saint Tropez nicht. Eher um stilvolles, richtiges Segeln wie früher. Das klappt mit einer geklinkerten Wanderjolle aus Eiche aus den Zwanzigerjahren am besten. Auch sollte jeder Segler mindestens einmal zum Schiffe gucken in dieser Zeit nach St. Tropez kommen. Mit der Wanderjolle braucht man nicht mal ein Hotel, das ansonsten kaum bis nicht zu buchen ist.
Man braucht nur eine Freundin oder Frau, die das nicht irgendwie duldet, sondern versteht, mag und natürlich selbst die passende Einstellung. Eine Schweriner Einheitsjolle ist dank ihrer breiten Plicht und enormen Stabilität ideal. Solche Reisen gehen aber auch mit anderen, bewährten Tourenjollen, die gebraucht für kleines Geld zu haben sind und die man - wie das Ehepaar Huss aus Schwerin - ein Wanderjollenleben lang einfach daheim am Hauslago oder in Schweden oder Saint Tropez segelt.
Bootsdaten
Konstruktion von Reinhard Drewitz 1921
Länge über alles ohne Ruder 6,05 m
Länge Wasserlinie 5,70 m
Breite 2,03 m
Breite Wasserlinie 2,88 m
Tiefgang ohne Schwert und Ruder 16 cm
Tiefgang mit Schwert 1,06 m
Freibordhöhe 0,45 m
Fock 5 qm
Großsegel 16 qm
Gewicht 680 kg
Die "BuK Boots- und Kunststoffbau GmbH" in Lübesse bei Schwerin versuchte sich vor einigen Jahren mit der Neuauflage des bewährten Bootes in einer sehenswerten, qualitativ hochwertigen und liebevoll detailgetreuen Gfk-Bauweise, bis hin zur Nachahmung der geklinkerten Rumpfschale und originalgetreuen Beschlägen. Betrüblicherweise ist es bei zwei Prototypen geblieben.