Klassiker5 min Lesezeit
Eine Schweizer-Deutsche Geschichte
Vom Vergnügen, einen Zürichsee-Klassiker zu segeln
Dieser aus dem Süden stammende Johan Anker Entwurf bereichert seit einer Weile die Ostsee. Versiert gesegelt, ist er eines der schönsten Boote unserer Gewässer. Eine Geschichte auch über stille Bootslebensart.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 03.03.2016, aktualisiert am 21.10.2024
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- wie die Bootsbetriebsbürde mit vertretbarem Aufwand geschultert wird
- Bau nach Plänen von Johan Anker bei der Faul-Werft in Horgen am Zürichsee
- Informationen zu einem der schönsten Klassiker der Ostsee
- Vorläufer und Ähnlichkeit zu Drachen
- Informationen zur Faul-Werft
- Wissenswertes zum Konstrukteur Johan Anker
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Wenn man „Gugger“ mit dem maronenbraun in der Sonne schimmernden Teak, dem schlichten weißen Deck in der alten Leinen bespannten Machart sieht, fährt ein Film von der guten alten Zeit ab. Das kleine Deckshaus ist eher zum Anschauen als zum Stehen und Herausgucken gemacht. Begegnet man „Gugger“ auf der Trave, in der Lübecker Bucht oder sonst wo auf der Ostsee, spult dieser herrliche Film aus dem Sepia längst vergangener Tage einige Jahrzehnte vor bis in unsere Zeit.
Als ich dem Boot vor einer ganzen Weile erstmals begegnete, rätselte ich, was es ist. Eine Meterklasse vielleicht, aber nicht ganz. Für einen Sechser schien es zu klein. 6-mR-Yachten sind schmaler. Dagegen sprach auch das eigenwillige Segelzeichen Z2. Irgendwann, nach einem der üblichen privaten kleine-Jungs-Regatta Scharmützel, die an Bord eines deutlich größeren und schwereren Bootes wie Swede 55 nicht immer aufgehen, gerade dann nicht, wenn das andere clever gesegelt wird, sprach ich den Eigner dann mal an. Ich fragte, ob ich das Boot anschauen dürfe und einen Artikel darüber schreiben darf.
Der Eigner zögerte. Er wollte kein Brimborium um das Boot und wohl auch wie gehabt seine Ruhe, es einfach segeln. So wartete ich und wartete. Tja und nach Jahren, ernsthaft nach Jahren, war es dann endlich so weit. Ich konnte es anschauen und segeln. An der Pinne hockend war ich baff, wie agil und handlich die drei Tonnen sind. Interessant fand ich auch, wie entspannt Deutsch mit der sichtbaren Patina an Bord umging. Er arbeitete in Ruhe, wie es in sein sonstiges Lebens passt, die Reparatur, Schleif- und Lackieragenda ab.
Gepflegt und gesegelt wird es von Arnd Deutsch und Inke Paulsen aus Lübeck. Obwohl es ganze 10 ½ m lang, flachbordig und unscheinbar ist, ist es in meinen Augen eines der schönsten der Ostsee.
Das Paar bewegt das Boot versiert, manövriert es segelnd durch verwinkelte Hafeneinfahrten und lässt es mit dosierter Restfahrt die letzten Meter durch die Pfosten an den Liegeplatz treiben. Mit Erfahrung und Augenmaß gelangt man in die meisten Häfen ohne Motor - wenn man sich traut, es regelmäßig macht und kann. Manchmal greifen die beiden die letzten Meter zum Paddel. Mit gut 50 Quadratmetern am neuen Mast ist der aparte Schlitten gut besegelt. Und mit gerade mal drei Tonnen ist der motorlose Langkieler für solche Manöver handlich genug.
Natürlich wird die Ostsee mit so einem flachbordig-schlanken Boot ab vier Windstärken zum Sportplatz mit einigen Duschen. Solche Bedingungen erinnern daran, warum der berühmte norwegische Konstrukteur Johan Anker seine meist für den südlichen Ausgang des Oslo Fjords und die windreiche Skagerrak-Küste gedachten Boote eher sparsam besegelte. Aber „Gugger“ entstand für den Zürichsee, wo bereits das Nichts einer thermischen Brise als Wind bezeichnet wird.
Spätestens jetzt müssen zwei miteinander zusammenhängende Sachen geklärt werden. Die Segelnummer „Z 2“ und der Bootsname. Beides hat Deutsch, seit er das Boot Ende der Neunzigerjahre gebraucht gekauft hat, in Erinnerung an den ersten Eigner Ernst Schweizer beibehalten.
Schweizer arbeitete in den 1930er Jahren bei einer Bank in Zürich, ließ sich damals an der schönen, sonnenbeschienenen Seite des Zürichsee nieder und sich vor gut 80 Jahren vom renommierten norwegischen Konstrukteur Johan Anker ein neues Boot entwerfen. Einem Hinweis von Inke Paulsen verdanke ich die Information, dass „Gugger“ mit dem 1916 gezeichneten N-Båd namens „Mistral“ einen etwas größeren, allerdings deutlich schwereren Vorläufer hat. Ähnlicher noch ist „Gugger“ dem sogenannten Stordrak, den Anker 1939 als größere Schwester des beliebten Dreimann Kielboots Drachen entwarf und den er im Alter selbst im Oslofjord segelte. Gebaut wurde „Gugger“ von John Faul in Horgen am gegenüberliegenden, schattigen Seite des Zürichsee, der sogenannten „Pfnüsselküste“.
Es bekam, wie Schweizers voriges Boot, wieder einen Vogelnamen. „Gugger“ nennen die Eidgenossen den Kuckuck. Marianne Gut-Schweizer, die Tochter des ersten Eigners, erinnert den Brauch der Familie, dann segeln zu gehen, wenn der Kuckuck zu hören war. Diese Art von Glück lässt sich mit einem weitgehend unveränderten Boot mit Original-Segelnummer schön fortsetzen.
Paulsen und Deutsch segeln, hegen und pflegen die Antiquität vom Zürichsee, wie man mit einem traditionell geplankten Holzboot leben sollte, damit es allen dreien gut geht: auf eine bescheidene, selbstverständliche, heute selten zu erlebende Bootslebensart. Das Paar hatte lange kein Auto. So wurde zum Liegeplatz geradelt. „Eine Dose Bootslack kannst Du immer auf den Sattel klemmen“, meinte Deutsch.
Wenn mal Planken zu wechseln oder Spanten zu ersetzen sind, ein neuer Mast fällig ist, oder die dazu passende Garderobe, dann hauen die Architektin und der gelernte Schiffbauer und Segelmacher rein. Bei einem großen Projekt bleibt das Boot im Frühjahr oder Frühsommer länger an einem schattigen Platz. Da wird das alte Gebälk gewässert und es wird gearbeitet, bis „Gugger“ wieder gesund ist. Deutsch nennt den treuen Segellebensgefährten liebevoll „Guggi“.
Natürlich lernte sich das Paar, wie könnte es anders sein, über das Boot kennen. Als Deutsch vor einigen Jahren mal mit seinem Klassiker allein in Svendborg anlegte, stand Inke Paulsen zufällig am Hafen. Sie dachte „whow“ und guckte sich das Schiff näher an. Tja und „der Rest“ mit dem Skipper fügte sich dann auch. Womit mal wieder deutlich wird, wie wichtig es ist, sich für das richtige Boot zu entscheiden. Man muss es dann einfach ein bisschen und ohne Brimborium im Hafen an den geeigneten Liegeplatz segeln und einfach zu behalten, wie es ist.
Die Faul Werft
Die 1896 in Wollishofen bei Zürich gegründete und seit 1914 in Horgen am Zürichsee ansässige „John Faul Automobile und Wasserfahrzeuge“ begann als Tankstelle mit Autoverkauf und -werkstatt nebst Werft. Der Gründer verdingte sich zunächst noch nebenbei als Fahrlehrer. Später baute Faul Passagierschiffe, Schlepper, Motor- und Segelboote: vom Piraten bis zum Lacustre. Bis 1975 entstanden bei Faul etwa 1.200 Holzboote, darunter Motoryachten der Hausmarke „Swiss Craft“. Heute verkauft, repariert und lagert der Betrieb an zwei Standorten am Zürichsee Boote.
Johan Anker (1871–1940)
Nach einer Ausbildung zum Schiffbauingenieur in Berlin-Charlottenburg und Einstieg in die Werft des angesehenen Bootsbauers Christian Jensen 1906 überzeugte Anker 1911 bei der Europawoche im südenglischen Solent mit dem selbst entworfenen und gesteuerten Zwölfer „Rollo“. Es folgte eine beachtliche Karriere unter anderem bei Olympischen Regatten.
Als väterlicher Freund des norwegischen Kronprinzen Olaf entwarf er von 1926 bis ’38 praktisch jedes Jahr ein neues Boot für das Königshaus. Sein größter Wurf gelang ihm 1928 anlässlich einer Ausschreibung eines Göteborger Segelclubs für eine tourentaugliche kleine Schärenkreuzer-Variante namens Drachen. Es war von 1948 bis 1972 olympische Klasse und ist bis heute ein international gefragter Evergreen der Regattabahnen. Der umfangreiche Nachlass wird im Norsk Sjofartsmuseum in Oslo verwahrt.