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Geschichte der Segelschifffahrt – Teil 1
Vom Einbaum mit Palmwedel zu römischen 30-m-Schiffen
Die Geschichte der Segelschifffahrt ist der mit Abstand wichtigste Part in der Geschichte der Seefahrt – und mit gewissen Abstrichen haben Segel und ihre Leistungen die Menschheit wie nur noch das Rad beeinflusst! Kein anderes Transportmittel hat über die Jahrtausende hinweg die menschliche Kultur derart geformt wie das Segelschiff.
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 21.12.2024
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Wie man (vielleicht) auf die Idee kam, den Wind als Antrieb auf dem Wasser zu nutzen.
- Uralte Felszeichnungen in der Wüste zeigen frühe Segelschiffe.
- Ruder wurden langsam, aber sicher von Segeln abgelöst.
- Warum die Phönizier dank ihrer Segelschiffe zur Weltmacht wurden.
- Arabische und indische Dhaus haben sich seit Jahrtausenden nicht verändert.
- Polynesische Seefahrer besiedelten mit erstaunlichen Katamaranen vor Jahrtausenden die Südsee.
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„Die Entwicklung und Geschichte der Segelschiffe respektive -boote – von den Anfängen bis heute.“ Ein Thema, über das Bücher geschrieben, Enzyklopädien gefüllt und wissenschaftlich anmutende TV-Sendungen produziert wurden. Also ein abendfüllendes Thema, das auf einer Website nichts zu suchen hat?
Wir meinen: doch! Es ist nur eine Frage der Aufbereitung.
Deshalb haben wir die Geschichte der Schifffahrt unter Segeln aus unserer Sicht geschrieben. Und dafür die u.E. wichtigsten Schritte auf den einzelnen Entwicklungsstufen angepeilt. Ganz subjektiv, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Aber inhaltlich nach bestem Wissen und Gewissen – wie immer bei boat24.com.
Wie alles anfing?
Wer zum ersten Mal eine Art Segel auf einem Schwimmkörper vor den Wind hielt und so einen Vortrieb erzeugte? Archäologen, Verhaltensforscher und Anthropologen können nur mutmaßen: Vielleicht war es ein großes Blatt, dass an einem auf dem Wasser treibenden Ast im richtigen Winkel nach oben stand und so einen „findigen Kopf“ zum Einsatz eines ersten „Segels“ inspirierte? Oder ein Mensch stand in einem Einbaum, spürte den Druck einer Böe von hinten und überlegte sich, dass er die Angriffsfläche für den Wind einfach vergrößern müsse, um noch mehr Vortrieb zu erzeugen?
Es gilt unter Wissenschaftlern als naheliegend, dass schon die ersten Seefahrer auf ihren Einbäumen auf Seen und entlang der Küsten etwa Matten aus geflochtenen Blättern oder aus Schilf in den Wind hielten – oder sogar an einer Art Mast befestigten. Um so bei günstigem Wind von achtern schneller und ohne zusätzlichen muskulären Aufwand wie paddeln oder wriggen von A nach B zu gelangen.
Segel in der Wüste
Nachgewiesen werden Segel erstmals auf Felszeichnungen in der nubischen Wüste. Mehr als siebentausend Jahre ist diese Kunst mittlerweile alt. Es gilt jedoch als gesichert, dass auf dem damals stark befahrenen Nil und ebenso im Roten Meer die Schifffahrt bereits tausende Jahre zuvor begonnen hatte. Dass dort Segel aus geflochtenen Palmblättern zumindest als zusätzlicher Vortrieb und Unterstützung von nubischen Ruderern eingesetzt wurden.
Dies beweisen auch Funde von ägyptischen Schiffsmodellen, die aus der Zeit um 3.500 vor Chr. stammen. Diese Boote waren bereits ausgereift (was darauf schließen lässt, dass dort Segelschiffe seit einigen Jahrhunderten gängig war) und speziell für den Einsatz auf dem Nil und küstennahen Gewässern des eher ruhigen Roten Meers gedacht.
Sie hatten einen eher flachen Rumpf und waren zunächst ausschließlich aus einheimischem Holz und Schilf gebaut. Das hatte wiederum den Nachteil, dass nur relativ kurze Hölzer für den Rumpfaufbau verwendet werden konnten.
Um nun zu vermeiden, dass sich die Boote durchbogen oder regelrecht zusammenklappten, spannten die ägyptischen Bootsbauer Tauen vom Heck bis zum Bug – über und offenbar auch unter Deck.
Das Problem löste sich, als einige Jahrhunderte später deutlich längere Zedernholzstämme aus dem Libanon nach Ägypten gelangten.
Die Erfolgskombination: Ruder und Segel!
Bleiben wir noch ein wenig bei diesem Urtypus eines ägyptischen Last- und Personenschiffs.
Diese wurden in erster Linie gerudert, man setzte allerdings bereits bei günstigen Windrichtungen ein rechteckiges Segel mit relativ großer Fläche. Es wurde an einer Spiere – also einem Rundholz, das im rechten Winkel zum Mast in seinem oberen und unteren Bereich eingebracht war – festgelascht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit konnten die Ägypter mit diesem Segelschiff-Typus jedoch „nur“ vor dem Wind segeln.
Vor allem dann, wenn die Schiffe Nil-stromaufwärts vorankommen mussten und der Einsatz der Ruderer nicht ausreichte, dürften die Segel von enormem Vorteil gewesen sein. Trotz Treidel-Kolonnen am Ufer, die das Schiff an den eher engen Stellen des Flusses stromaufwärts zogen.
Machen wir einen weit ausholenden Zeitsprung. Ca. 1.500 Jahre später – wann genau ist unbekannt – machten die Phönizier eine bahnbrechende Erfindung. Um ihre Boote und Schiffe im Seegang stabiler segeln und um bei seitlich einfallenden Winden ein Segel setzen zu können, bauten sie Schiffe mit einem durchgehenden Kielbalken, der unter dem Rumpf hervorragte.
Damit verringerte sich die Abdrift bei seitlich einfallenden Winden, womit sich der Einsatzradius der Segel erhöhte. Zudem wurden so die Rümpfe stabiler, konnten mehr Ladung aufnehmen, wurden verwindungssteifer im Seegang.
Ein Kiel – der entscheidende Faktor
Was wir heute mit Kielschwein bezeichnen, also der Längsverbund, der über dem Kiel aufgesetzt wird und für Längssteifikeit im Rumpf sorgt, nimmt zudem besser die Kräfte des Mastes auf. Was sich wiederum in mehr Sicherheit und mehr Vortrieb auswirkt.
Auch wenn die Phönizier weiter hauptsächlich auf Ruderer setzten, kolonisierten sie u. a. dank der besseren Segeleigenschaften ihrer Schiffe den Mittelmeerraum von Zypern über Sizilien bis Spanien, Teile der andalusischen, portugiesischen und nordafrikanischen Atlantikküsten.
Ihre Schiffe waren damals bereits beeindruckend groß: 30 m Länge und zwei Masten mit entsprechend großer Segelfläche konnten reichlich Waren und Krieger transportieren. Entscheidend waren dabei die Segel: Sie entlasteten die Ruderer auf langen Strecken, die wiederum weniger Energie verbrauchten und somit weniger Nahrungsmittel (für die Ruderer) transportiert werden mussten.
Für einen militärischen Einsatz bauten die Phönizier Schiffe mit bis zu drei Ruder-Etagen. In manchen Überlieferungen ist die Rede von fünf Ruderetagen, doch das konnte durch archäologische Funde noch nicht bestätigt werden.
Erfolgreich mit bewährten Strategien
Apropos Kolonisierung. Die Römer schafften es auf dem Landwege zwar zum größten Reich in Europa – auf See waren sie militärisch und als Händler zunächst weniger erfolgreich. Was sich änderte, als sie frech einen damals höchst erfolgreichen, phönizischen Schiffstypen kopierten und in großer Serie nachbauen ließen: die Quinquereme. So waren sie mittels Wind- und Muskelkraft ähnlich wendig und schnell unterwegs, wie ihre phönizischen Widersacher.
Doch die Phönizier stellten sich einfach als die besseren Seeleute heraus. Unter Segeln konnten sie ihre Vormachtstellung im Mittelmeer und auf dem Atlantik weiterhin halten – ihre Manöver waren schneller erledigt, die strategischen und taktischen Fähigkeiten beim „Spiel“ mit dem Wind in jeder Hinsicht effizienter.
Eine endgültige Vormachtstellung zur See schafften die Römer erst, als sie Kampfstrategien, die an Land zu Erfolg führten, einfach auf die See übertrugen. Sie fuhren in groß, dicht aneinander gereihten Flotten zur Schlacht auf, packten Katapulte auf ihre speziell dafür umgebauten Schiffe und zermürbten die gegnerischen Flotten aus der Ferne mit dem griechischen Feuer, dem „Napalm der Antike“.
Die erste Gigantomanie zur See
Die Römer waren im Laufe ihrer Vormachtstellung auch zur See beim Bau ihrer Boote kaum innovativ. Sie verstärkten zwar die Karweel-Beplankung ihrer Rümpfe mit Bleiblech und nutzten geteerte Wolle, um ihre Ruder- und Segelschiffe so gut wie damals nur möglich abzudichten. Doch ihr größter Verdienst war wohl eine Art erster Gigantomanie in der Segelschifffahrt.
Mit einem schier unerschöpflichen Rohstoff Holz aus dem Inneren des damaligen Weltreichs schufen sie riesige Flotten Kriegs- und Handelsschiffe. Hunderte römische Schiffe bei einer Seeschlacht waren damals keine Seltenheit.
Und auch die Länge der römischen Segel- und Ruderschiffe war beeindruckend: Erstmals segelten über 30 m lange Schiffe über die Meere und Ozeane. Vornehmlich auf Eroberungszügen, aber auch, um Handel zu treiben.
Die Dhau – eine indisch-arabische Koproduktion
Weiter südlich, im Roten Meer und im Indischen Ozean, trieben arabische und indische Völker ebenfalls regen Handel zur See. Der dort vorherrschende Schiffstypus war die Dau oder Dhau.
Boote und Schiffe in bis zu 25 m Länge, die außerordentlich elegante Formen aufwiesen und als schnell und wendig bekannt waren. Man nimmt an, dass die ersten Dhaus ungefähr im vierten Jahrhundert von Indien (wahrscheinlich Kerala) in Richtung arabische Halbinsel segelten. Und dort eifrig nachgebaut wurden.
Aufgrund ihrer (für die damaligen Verhältnisse) hervorragenden Leistungen unter Segeln waren die Dhaus vorwiegend bei Händlern beliebt, die damit ihre Waren bald im gesamten Roten Meer, an den Küsten des Indischen Ozeans und an den Küsten des Mittelmeers verkauften oder lieferten.
Es wird angenommen, dass die ursprünglichen Dhaus mit einem Rahsegel bestückt waren. Seitdem die Dhaus im Mittelmeer heimisch wurden, entwickelte sich die Segelform allerdings immer mehr zum Settee-Segel: Eine trapezförmige Segelfläche, die an einer Spiere am Mast befestigt ist.
Dhaus sind auch heute noch entlang arabischer und indischer Küsten beliebte Boote für Fischer und Händler. Ihre Bauform hat sich nachweislich seit ca. dem Jahr 1000 nur unwesentlich verändert.
Auf zwei Rümpfen: Wie die Besiedlung Polynesiens gelang
Auf der anderen Seite der Weltkugel (von der man in Europa damals noch keine Ahnung hatte) wurde ebenfalls viel gesegelt. Im polynesischen Dreieck – dem größten zusammenhängenden Siedlungsgebiet der Erde – waren die ersten Siedler auf den weit auseinander liegenden Inseln auf faszinierenden Booten unterwegs.
Woher diese Seefahrer kamen und wann die ersten Besiedlungstörns starteten, ist unklar. Bis heute gibt es unterschiedliche Theorien, die auch im Zeitalter der Gentechnologie bisher nicht vollständig untermauert oder verworfen werden konnten. Optimistische Forscher glauben, dass bereits 4.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung diese Besiedlung per Boot begann. Andere gehen davon aus, dass „erst“ 1.000 v. Chr. die ersten Boote und Schiffe im Pazifik segelten.
Tatsache ist jedoch, dass die Besiedlung und die dafür notwendigen mehrwöchigen Reisen mit bis heute faszinierenden und nie vollständig entschlüsselten Navigationsmethoden möglich war, auch weil die dafür verwendeten Schiffe sehr seetüchtig und außerordentlich schnell waren.
Schon damals segelten die polynesischen Völker auf Doppelrumpfbooten (heute: Katamarane) und Auslegerkanus (deren Bauformen sich offenbar seit der Steinzeit nicht verändert hatten).
Für Kriegszüge wurden Katamarane gebaut, die 250 Personen auch für längere Strecken inklusive Verpflegung der Krieger fassen konnten. Gängig waren jedoch eher Katamarane bis etwa 12 m Länge, die vorwiegend zum Warentransport oder Fischfang genutzt wurden.
Richtungswechsel ohne Wende oder Halse
Die beiden Rümpfe dieser Boote waren aus einem Baum ausgehöhlt worden. Die Rümpfe der Kanus waren im Bug- wie im Heckbereich identisch geformt. So konnten sie, ohne wenden zu müssen, in die jeweils entgegengesetzte Richtung segeln. Ein unschätzbarer Vorteil vorwiegend in den mit Riffen gespickten Atollen.
Zwischen den (im Vergleich zu heutigen Katamaranen) relativ eng aneinander liegenden Rümpfen wurde eine Plattform installiert, auf der Crew, Proviant, Waren oder eben Krieger transportiert wurden.
Die Rümpfe waren aufgrund der verwendeten Materialien (relativ kurze Hölzer, Kokosnuss-Fasern) relativ eng nebeneinander angebracht, weil hohe Scherkräfte auf die beiden Rümpfe der Doppelrumpfboote einwirk(t)en. Je kompakter die Ausmaße des Bootes, desto geringer fallen diese Kräfte aus.
Die Segel dieser polynesischen Boote waren in Dreiecksform an einem Mast so befestigt, dass die Spitze nach unten zeigte. Bei leichten Winden war die Windangriffsfläche im oberen Bereich also größer, bei mehr Wind segelten die Boote daher eher instabil.
Genial: Auf den Auslegerkanus konnte die Crew bei einem Richtungswechsel den Mast mitsamt dem Segel vom (vorherigen Bugbereich) nach hinten versetzen (also in den „neuen“ Bugbereich). Somit waren der Ausleger und die Crew zur Stabilisierung immer auf der „richtigen“ Seite.
Teil 2 unserer Geschichte der Segelschifffahrt: Ohne Segel geht nichts mehr auf den Weltmeeren und Ozeanen.