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Klassiker9 min Lesezeit

Modernisieren oder Erhalten?

Eine facettenreiche Antwort zu dieser entscheidenden Frage

Modernisieren oder Erhalten?
Ist das noch zu retten und wie ist hier anzusetzen? © Rhonasailing

Bei der Übernahme eines Gebrauchtbootes stellt sich die Frage, wie es herzurichten ist. Ein Blick auf die Möglichkeiten von pragmatisch bis zur aufwendigen Wiederherstellung. Wie Eigner üblicher Boote von Klassiker Instandsetzungen eine Peilung bekommen.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 17.05.2024, aktualisiert am 30.09.2024

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • was die alten Griechen schon zum Thema wussten
  • Empfehlungen der Charta von Barcelona
  • was Bootsbauer, Gutachter und Fetischisten dazu sagen
  • was eine „philologische Restaurierung“ ist
  • was von der Auto-Oldtimerszene zu lernen ist

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Heute wird jede Instandsetzung, Modernisierung, Renovierung, Reparatur, Sanierung, Überholung, Wiederinbetriebnahme bis zum Umbau pauschal „Restaurierung“ genannt. Es lohnt, sich das einmal genauer anzuschauen, zu sortieren und zu sehen, wer sich dazu schon Gedanken gemacht hat.

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Fangen wir bei den „alten Griechen“ an, von denen meistens etwas zu lernen ist. Der Schriftsteller Plutarch, der von 45 bis 125 nach Christi Geburt lebte, erinnert das Thema so: „Das Schiff, auf dem Theseus mit den jungen Menschen ausfuhr und glücklich heimkehrte, den Dreißig Ruderer, haben die Athener bis zu den Zeiten des Demetrios von Phaleron aufbewahrt. Sie entfernten immer das alte Holz und bauten neues, festes ein. So diente das Schiff den Philosophen als Beispiel für das viel diskutierte Problem des Wachstums. Die einen meinten, es bliebe dasselbe. Andere verneinten das.“

Die Charta von Barcelona

Rund zweitausend Jahre später wurde die grundlegende „Charta von Venedig“ zur Konservierung und Restaurierung von Denkmälern verabschiedet. Da Maritime Kulturgüter trotz ihrer Bedeutung da nicht recht berücksichtigt waren, entschloss sich ein 2001 in Barcelona versammelter Kongress, die Charta von Venedig bezüglich des maritimen Erbes weiterzuentwickeln. Daraus wurde die 2002 vereinbarte „Charta von Barcelona“ als Richtlinie zum „Konservieren mit traditionellen Materialien und Techniken“. Sie erklärt auf drei Seiten in zwölf Absätzen, wie mit dem maritimen Erbe umgegangen werden sollte. In einem Satz zusammengefasst ist es ein Appell, die historische Substanz mit möglichst wenigen Zugeständnissen an den heutigen Gebrauch zu bewahren.

Wer sich auf die Bedeutung von „Restaurieren“ besinnt, der gelangt auch einfacher zu des Pudels Kern: Es geht um Wiederherstellen. Was das für die handwerkliche Praxis bedeutet, erklärt Uwe Baykowski als langjähriger Bootsbauer des Kieler Yacht-Clubs und Yacht-Sachverständiger in einem Satz: „Ich nehme so viel aus dem Boot heraus und ersetze es durch neue Hölzer, wie ich muss und lasse so viel drin, wie ich kann.“

Plankenwechsel bei einem 100 Jahren alten Zwölfer
Plankenwechsel bei einem 100 Jahren alten Zwölfer © Rhonasailing

Die Restaurierung ist also etwas anderes als eine Verschönerung, wo jede Gebrauchsspur beseitigt wird. Meist geht es bei der Renovierung eines Gebrauchtboots darum, möglichst effektiv zu Potte zu kommen, damit man bald ablegen kann. Bei einer Restaurierung geht es um mehr, wird weiter gedacht, geht es um Bestandswahrung. Es fragt sich bloß, wie es gemacht wird.

Hilfreich ist hier ein Blick auf kostbare Musikinstrumente oder Gemälde, originale Noten und Texte, kostbare Autos oder bedeutende Häuser. An den Umgang mit solchen Kulturgütern gibt es hohe Ansprüche. Einige werden weiter benutzt, andere aus guten Gründen nur konserviert und aufbewahrt. Nun wäre es praxisfern, historische Boote wie Burgen oder Schlösser lediglich zu musealen Bedingungen zu erhalten.

Denn Boote sind Gebrauchsgegenstände, keine Denkmäler. Auch muss ein Holzboot benutzt werden. Es gehört ins Wasser, sonst trocknet das Holz und die Planken reißen. Pumpen, Instrumente und der Motor vergammeln. Damit befinden sich Boote und Yachten ähnlich wie architektonisch wertvolle oder kulturell bedeutende Gebäude im Spannungsfeld zwischen Bewahren und Nutzen. Auch müssen einige der Praktikabilität und Sicherheit dienende Zugeständnisse sein. Beispielsweise ist der Einbau einer modernen Lenzpumpe ergänzend zur historischen gut, weil es besser ist, wenn das kostbare Boot dank der modernen Pumpe schwimmt, als mit der alten absäuft.

Handwerk oder Shortcuts

Der amerikanische Yachtkonstrukteur Bruce King hat bei einem Besuch im Maine einmal wunderbar anschaulich erklärt, dass traditionell gebaute Schiffe und Holzyachten im Prinzip aus zwei Parallelogrammen bestehen. Einmal den senkrecht im Schiff stehenden Schotten und Spanten. Zweitens den waagerecht daran befestigten Planken. Wie lange der Rumpf hält und dicht blieb, entschied die Präzision, mit der dieses Parallelogramm zusammengefügt war. Letztlich ist es die Haftreibung zwischen den Planken, die es halten oder lecken lässt.

Die Planken enden vorn am Vorsteven. In diesen geschwungenen Balken war eine Aussparung eingelassen, die sogenannte Sponung. Es war und ist anspruchsvoll, die Plankenenden hier mit beinahe intarsienartigem Zuschnitt enden zu lassen. Zumal die Planken gekrümmt sind und mit individuellen Radien vorn im Vorsteven enden. Wer soll das bei den heutigen Stundenlöhnen bezahlen?

Bei einer Instandsetzung kann man dieses Detail in tagelanger Arbeit mit einiger Erfahrung und großem Geschick so wiederherstellen, wie es war. Dann lässt sich der Rumpf nachher klar lackieren. Oder man schließt die Lücken mit Epoxid-Spachtel. So wie ich bei meinem Kunststoff-Boot bündig im Rumpf sitzende Borddurchlässe aus Nylon anbringe.

Abschrägen eines Lochs für eine neue Borddurchführung im Gfk-Boot
Abschrägen eines Lochs für eine neue Borddurchführung im Gfk-Boot © Swedesail

Ich rasple und schleife die Bohrung ziemlich zügig so lange zurecht, bis das Teil ungefähr hineinpasst, klebe es dann mit Spachtel ein und schleifen es bündig. Das geht wie zu Hause bei der Wohnungsrenovierung bei Quickie mit Moltofill. So wird es überwiegend gemacht, leider auch von namhaften Adressen wie Robbe und Berking Classics, die Holzbootsbau ganz großschreiben. Abschließend wird der Rumpf dann geschliffen und farbig lackiert.

Im Zweifel entscheide man sich für das Original

Und die Überlegungen enden nicht beim Handwerk. Da die Nutzung eines Bootes Konsequenzen für das Gefährt hat, haben Experten wie der Riva-Historiker Dr. Piero Maria Gibellini darüber nachgedacht. Er unterscheidet verschiedene Bootsbetriebsarten und formuliert die daraus ergebenden Methoden: vom Um- und Verbauen über die Replik bis zum „Als ob“ des sogenannten „Spirit of Tradition“. All das hat seine Berechtigung. Schön ist, wenn man sich darüber im Klaren ist.

Die sogenannte „philologische Restaurierung“ macht die einem Objekt zugefügten Änderungen wieder rückgängig und dokumentiert sie. So verlangt es die Charta von Barcelona. Der Begriff ist in Italien bei Booten wie bei Häusern zu hören. Dieser Anspruch erinnert an die Literaturwissenschaft, wo verschiedene Texteditionen untersucht werden.

Alter Steventeil und aus schichtweise verklebtem Holz neu
Alter Steventeil und aus schichtweise verklebtem Holz neu © Rhonasailing

Auch Federico Nardi, den ich vor einer Weile mal im angesehenen Yacht-Restaurationsbetrieb Cantiere Navale dell’ Argentario besuchte, spricht davon. Nardi blickt auf manche mustergültige Wiederherstellung namhafter klassischer Segelyachten wie Patrizio Bertellis „Nyala“ oder „Vim“ seines Landsmanns Alberto Rusconi zurück. Bei diesen Arbeiten handelt es sich um sogenannte „Carte Blanche Restaurierungen“, wo die Einmaligkeit, der historische Wert, Stiltreue und Authentizität im Vordergrund standen.

Die Frage, was der Spaß kostete, spielte eine untergeordnete Rolle. Im Interieur dieser Zwölfer aus den späten Dreißigerjahren blieben auch die Gebrauchsspuren. Diese sehenswerten Schiffe sind eine Wohltat im Vergleich zu den überrestaurierten Exemplaren der Klasse, die wie Neubauten anmuten. Bei solch einer Restaurierung stellt sich natürlich die Frage, welcher Zustand eines historischen Bootes wiederhergestellt werden soll. Jener des Originals vor der Inbetriebnahme (alt, aber neuwertig)? Oder jener der gebrauchten, voll funktionstüchtigen Yacht?

Wer so weit ins Thema einsteigt, erkennt, wie verschieden und unterschiedlich begründet die Antworten sein können. Neben Untiefen, Strömungen und Klippen ist der notorisch ändernde Mensch die größte Gefahr für ein erhaltenswertes Boot. In den Achtzigerjahren, als die Sensibilität für klassische Boote noch nicht so weit entwickelt war wie heute, wurde mehr oder minder gedankenlos umgebaut, geändert, verbessert oder teilmodernisiert und das alles pauschal als „Restaurierung“ bezeichnet.

Ein Beispiel dafür ist die J-Class, jene ehemals unter Deck leeren America’s Cup Regattaboote, die heute als umfänglich ausgebaute und deutlich schwerere Luxus-Charteryachten und hochseetaugliche Allrounder unterwegs sind. Hier wurde durch Elisabeth Meyers Verwandlung von Endeavour ein bestimmter Weg beschritten. Keines der J-Class Exemplare hat mehr die damals maximal zulässige Wasserlinienlänge. Denn die Boote wurden alle deutlich schwerer und liegen entsprechend tiefer im Wasser. Deshalb wurde die Bordwand angehoben. Es gibt kein zurück mehr. Die Boote werden seit einer Weile anders vermessen. Es sind tolle, beeindruckende Yachten, keine Frage.

Bootsrestaurierung ist eine Frage der Kultur

Federico Nardi

Ziemlich hoch liegt bezüglich des Originalitäts-Gesichtspunktes die Latte bei den Riva-Booten, weil es in dieser Szene genug Geld gibt, der ursprüngliche Zustand bestens dokumentiert ist und die Boote wie gehabt in schattigen Hallen verwahrt werden. Es existieren Baupläne, historische Manuals, Bücher, Originalteile von Lieferanten, die sich darauf spezialisiert haben. Hinzu kommt, dass die Ära des legendären Holzbootsbaues in Sarnico noch nicht so weit zurückliegt, wie die anderer Werften und Bootstypen Ende des 19. Jahrhunderts, um die Jahrhundertwende oder zwischen den beiden Weltkriegen.

Weder Bomben, Hochwasser noch Brände haben die Hinterlassenschaft zerstört. Die Tradition wurde und wird bis heute von Carlo Riva selbst, den Spezialisten in Sarnico und Umgebung, nicht zuletzt von Riva Liebhabern in Holland, Nordamerika oder Norddeutschland weitergelebt.

„Es ist eine Frage der Kultur, wie Yachten restauriert werden“, bemerkte Federico Nardi während meines Besuchs im toskanischen Porto Santo Stefano. Er klang resigniert. Kultur heißt in diesem Zusammenhang unbedingtes Interesse an einem bestimmten Boot oder Bootstyp, heißt Wissen und Sinn für Stil. Sie ist jahrzehntelange Beschäftigung, keine kurz- bis mittelfristige Affäre, eher kein Lifestyle.

All das verlangt Konsequenz und Einschränkung. Auch Albert Obrist, der Schweizer Fabrikant, frühere Ferrari Sammler und langjährige Inhaber der 1990 bis 2016 bestehenden Werft Fairlie Restorations empfahl, ein Boot aus Respekt vor dem Original und dem Handwerk so sorgfältig wie möglich wiederherzustellen, koste es, was es wolle. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Obrist nicht bei der Restaurierung blieb: Er empfahl auch, das Boot so zu nutzen wie früher. Eine Rennyacht als solche, ein Runabout als Runabout. Da sind wir wieder bei einer Empfehlung der erwähnten Charta von Barcelona. Das wird von manchen vielleicht als rigoros oder wirklichkeitsfremd wahrgenommen. Es ist andererseits gar nicht so schwer, wenn man vorher weiß, was man mit dem Boot vorhat und sich dann für das Geeignete entscheidet.

Detailgetreu nachgebautes Skylight in traditioneller Machart
Detailgetreu nachgebautes Skylight in traditioneller Machart © Rhonasailing

„Im Zweifel entscheide man sich für das Original“ hieß es viele Jahre in der Werbung für einen klassisch schönen Stuhl der Firma Thonet. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, weil das Original und seine Wiederherstellung deutlich teurer sind als die Nachahmung oder die handwerklich zweitbeste Variante. Dieses Ethos der Gründlichkeit bis ins vermeintlich nebensächliche, später dann unsichtbare, dennoch spürbare Detail wird andererseits für alle Beteiligten beglückend. Mit solchen, an den Möbel- oder Instrumentenbau erinnernden Finessen tischlern sorgfältig arbeitende Restaurateure gegen den Zeitgeist des „Schwamm drüber“ oder „merkt ohnehin keiner“ an. Die Ergebnisse sind wunderschön. Sie begeistern jeden, der sich solch eine schwimmende Kostbarkeit in Ruhe ansieht. Schauen Sie sich mal den YouTube-Kanal des englischen Auto Restaurators Iain Tyrell zum Thema an. Tyrell erzählt wunderbar bescheiden, mit feinem englischem Humor und kenntnisreich aus seinem Metier. Das interessiert mich mittlerweile eher als so manches YouTube-Video von Marketing-Lautsprechern (Stichwort „Insieme Sailing“) zum Bootsthema.

Fazit für Gebrauchtboot-Käufer mit üblichem Geldbeutel

Auch wenn die Klassiker-Szene mit teuren Holzyachten oder hochwertigen Riva-Booten eine spezielle Szene für vermögende Leute ist, orientiert sie auch normal verdienende Eigner moderner Boote:

  • Entscheiden Sie sich für einen Bootstyp oder ein Modell, das zu Ihren Möglichkeiten passt.
  • Schätzen Sie die Instandsetzung oder Restaurierung realistisch bis pessimistisch ein.
  • Lassen Sie das Boot mit einem Gutachter anschauen.
  • Platzieren Sie die Baustelle in Ihrer Nähe, damit die Arbeiten flott über die Bühne gehen.
  • Vertrauenswürdige Handwerker sind das A&O. Nehmen Sie sich zur Klärung dieser Frage Zeit.
  • Hören Sie sich um, wer zu reellen Konditionen gewissenhaft arbeitet.
  • Nutzen Sie das Boot so, wie es einst gedacht war: Ein Jollenkreuzer ist kein Seeschiff und ein Regattaboot kein Cruiser, ein Gleiter nur bedingt rauhwassertauglich.
  • Auch wenn die Versuchung zu Änderungen groß ist. Nutzen Sie das Boot erst mal, wie es ist. So finden Sie heraus, was gelungen ist und bleiben kann. Gerade ältere Boote sind beeindruckend durchdacht.

Lesenswert

  • Uwe Baykowski, Anna Marie-Frick: Pflege und Instandsetzung klassischer Yachten, 160 Seiten, Delius Klasing 39,90 €, ISBN: 9783667123725
  • Thomas Larsson: Holzboote. Renovieren und Instandhalten, 278 Seiten, Delius Klasing 2006 (Antiquarisch), ISBN: 3-7688-1677-X
  • Curt W. Eichler: Holzbootsbau und der Bau von stählernen Booten und Yachten, 389 Seiten, Palstek Verlag, 1996. Standardwerk und Lehrbuch (Antiquarisch)
  • Übersetzung der Charta von Barcelona

Sehenswert

Der YouTube-Kanal des Autospezialisten Iain Tyrrell gibt Einblick in das Metier der Motoren- und Autoinstandsetzung, wo die Latte seit Jahrzehnten hoch liegt. Er erklärt und zeigt mit feinem Humor in wunderbarem, hörenswertem Oxbridge-Englisch.

Weiterführende Links

VG