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Olympische Spiele in Paris: Die Erste!
Seglerin Hélène de Pourtalès gewann die erste Goldmedaille für Frauen bei Olympia in Paris – 1900!
Die Olympischen Spiele finden 2024 bereits zum dritten Mal in Paris statt. Die Premiere ereignete sich im Rahmen der Weltausstellung im Jahr 1900, als auch für die Frauen im Sport Geschichte geschrieben wurde. Durch eine Seglerin!
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 18.04.2024
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Wie Hélène de Pourtalès zum Segeln kam
- Wie sie die erste Goldmedaille für Frauen in der Olympischen Geschichte gewann
- Nach der olympischen Regatta Paris 1900 geriet sie in Vergessenheit
- Sie ebnete zwar den Frauen im Segelsport den Weg, konnte aber das Patriarchat bei Olympia nicht brechen
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Das Erbe von Hélène: Von den 10.500 teilnehmenden AthletInnen der Olympischen Spiele 2024 in Paris, werden 5.250 Männer und 5.250 Frauen sein. Parität, endlich!
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Wir schreiben das Jahr 1900. Die zweiten Olympischen Spiele der Neuzeit finden während der Weltausstellung in Paris statt. Zum großen Bedauern und sogar öffentlich geäußerten Missfallen des Pierre de Coubertin – seines Zeichens Begründer dieser neuzeitlichen Spiele – hatte das Olympische Komitee beschlossen, erstmals Frauen teilnehmen zu lassen.
Sie durften golfen, reiten, Kricket spielen und – segeln! Dass sie seltsamerweise auf dem offiziellen Plakat der damaligen Olympischen Spiele als Fechterinnen abgebildet waren, verstörte etwas: Denn beim Fechten war das damals noch vermeintlich „schwache Geschlecht“ eben nicht zugelassen.
Olympia-Gründer Coubertin wollte keine Frauen
Obwohl die Olympionikinnen in den Medien geflissentlich übergangen wurden – die meist männlichen Sport-Journalisten standen rundum auf der Seite Coubertins – schrieben sie dennoch Geschichte für den Frauensport. Denn wie bei allen Premieren für Frauen handelte es sich auch hier um einen ersten und letztlich enorm wichtigen Schritt zur Gleichberechtigung.
Wenn die auch erst 124 Jahre später am gleichen Ort bei den gleichen Spielen eintreten sollte: Von den 10.500 teilnehmenden AthletInnen der Olympischen Spiele 2024 in Paris, werden 5.250 Männer und 5.250 Frauen sein. Diese Olympischen Spiele werden also die ersten sein, die eine vollständige Geschlechterparität in Bezug auf die Anzahl der Athleten erreichen werden.
!Olympische Spiele im Rahmen der Weltausstellung
Doch zurück ins Paris der vorletzten Jahrhundertwende. Eigentlich erregte damals die Weltausstellung eine unvergleichlich höhere Aufmerksamkeit unter der Bevölkerung als diese "seltsame" Sportveranstaltung unter den fünf Ringen. Immerhin waren bereits 975 Männer und nun 22 Frauen in den unterschiedlichen Disziplinen am Start.
Die Organisatoren verteilten die Wettkämpfe auf fünf Monate und bewarben ihren olympischen Status nur wenig. Viele AthletInnen wussten gar nicht, dass sie tatsächlich an den Olympischen Spielen teilgenommen hatten.
Was jedoch nichts daran änderte, dass ausgerechnet durch eine Seglerin Geschichte geschrieben wurde: Hélène de Pourtalès gewann als erste Frau eine olympische Goldmedaille. Und machte kurz darauf „das Doppel“ klar: Einen Tag später gewann sie als erste Frau eine zweite Medaille (Silber) bei denselben Spielen.
Von allem begeistert, das mit Booten oder Schiffen zu tun hatte
Hélène de Pourtalès war, nach heutigen „Maßstäben“ für Sportlerinnen, alles andere als eine Athletin. Die in Amerika geborene und in den reichen Verhältnissen der Zigaretten-Erben-Familie Barbey aufgewachsene New Yorkerin machte nie einen Hehl daraus, dass sie nur Sportarten goutieren könne, die für sie standesgemäß seien. Womit sich ihre Interessengebiete auf die finanziell aufwändigen Beschäftigungen Reiten und Segeln beschränkte.
Es war allerdings vor allem der Sport unter Segeln, der es ihr angetan hatte. Schon als junge Frau verbrachte sie viel Zeit auf Rhode Island, wo für den America’s Cup trainiert wurde. In einem ihrer Tagebücher, das später auf einer Auktion verkauft wurde, findet man eine minutiöse Beschreibung der Rennen des 7. America’s Cup im Jahr 1887 zwischen dem US-amerikanischen Verteidiger Volunteer und dem britischen Herausforderer Thistle.
In die „feine“ europäische Gesellschaft aufgenommen
Doch erst nachdem sie den schwerreichen Herman de Pourtalès geheiratet hatte, der sich ebenfalls als leidenschaftlicher Segler auszeichnete, konnte sie ihre offensichtlichen Talente am Ruder unterschiedlicher Boote auch bei Regatten ausleben. Was wiederum vorwiegend in Europa geschah. Denn de Pourtalès bewohnte mit seiner Frau hauptsächlich die Besitztümer am Genfer See und in Cannes; entsprechend konzentrierten sich die Regattateilnahmen des mondänen Paares auf den Genfer See respektive Lac Lemans und das Mittelmeer.
Überhaupt waren die beiden Pourtalès von allem begeistert, was mit Booten und Schiffen zu tun hatte. So ließen sie etwa das US-amerikanische Dampfschiff Minnehaha Ende des 19.Jahrhunderts über den Atlantik an den Genfer See bringen. Wie dieses logistische Meisterstück gelang, ist heute nicht mehr bekannt. Doch damals eröffnete es den Pourtalès endgültig Tür und Tor in die Haute Volée der Schweiz.
Selbstverständlich auf der Seine dabei
Doch vor allem segelten die beiden Regatten auf diversen Booten. Dabei saß tatsächlich Helène die meiste Zeit am Ruder und schulte ihr taktisches Können. Auf dem mit launischen Winden gesegneten Genfer See konnte sie so mehrere Regatten gewinnen, ebenso in der Welle vor Cannes und sogar vor Rhode Island. Entsprechend war es fast schon eine Selbstverständlichkeit, dass die beiden Pourtalès sich – wie weitere leidenschaftliche Segler aus den betuchteren Kreisen in Europa – zu den Olympischen Spielen in Paris meldeten.
Hélène de Pourtalès startete gemeinsam mit ihrem Mann und dessen Neffen in der Klasse 1-2 Tonnen auf ihrem Boot Lérina unter Schweizer Flagge.
Gesegelt wurde auf der Seine bei Meulan unweit Paris, wo der Cercle de la Voile de Paris residierte. Die Boote waren in einzelne Tonnen-Klassen unterteilt (bis 20t ). Die Klasse darüber segelte auf dem Ärmelkanal.
Im Schweinerennen qualifiziert
Am 20.Mai stand eine Art Qualifikationsregatta für alle U-20t-Klassen auf dem Programm. Bei eher schwachen Winden segelten 65 Boote gegeneinander und die Crew vom Genfer See profitierte von ihren Erfahrungen mit drehenden, schwachen Winden. Heute würde man zu dieser ersten Regatta „Schweinerennen“ sagen, doch Hélène de Pourtalès kam es auf die Qualifikation an und sonst nichts.
Mit der Startnummer 22 ging dann zwei Tage später die 1-2 Tonner an den Start. Wieder beherrschten drehende Winde mit launischen Böen die Szene. Es wurden eine lange und zwei kurze Bahnen (Runden) mit einer Länge von insgesamt 19 Kilometern gesegelt. Gewichtsunterschiede in den Booten wurden damals schon durch Zeitzuschläge ausgeglichen. So segelte etwa die französische Amulet zwar die drittschnellste Zeit, wurde mit einem Zeitzuschlag von 1:47 min jedoch auf Platz Vier gesetzt.
Goldmedaille nach nur einer Wettfahrt
Doch die klare Siegerin des Rennens waren die de Pourtalès. Mit Helène am Ruder siegten sie nach vielen Wechseln an der Spitze mit einem Vorsprung von zwei Minuten vor der französischen „Martha“. Ob auch dieses Ergebnis aufgrund einer Vergütungsregel zustande kam, ist nicht bekannt.
Tatsache und zudem legendär ist jedoch, dass Steuerfrau Hélène de Pourtalès mit dieser einen Regatta auf dem 2-Tonner Lérina als erste Frau bei den Olympischen Spielen eine Goldmedaille gewann. Und damit nicht genug: Bei der zweiten Wettfahrt, zwei Tage später, gewann sie auf dem gleichen Kurs die Silbermedaille. Sie musste sich dem deutschen Team auf Aschenbrödel mit einer knappen Stunde Rückstand geschlagen geben.
Ruhm verblasste schnell
Obwohl sie aus heutiger Sicht einen wichtigen ersten Schritt für den Olympischen Frauensport und für die Gleichberechtigung der Frauen im Allgemeinen gemacht hatte, konnte sich Hélène de Pourtalès nur kurze Zeit in einem gewissen Ruhm sonnen. Sie erlangte zwar in den „gehobenen“ Seglerkreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad und nach ihrem Sieg auf der Seine tauchte ihr Name noch auf Regatta-Teilnahmelisten am Genfer See und Newport auf.
Doch gelang es ihr mit dem olympischen Erfolg nicht, die patriarchische Domäne im Segelsport zu brechen. So bekamen Frauen erst 1988 mit dem 470er eine „eigene“, rein weibliche Bootsklasse zugesprochen.
Hélène de Pourtalès zog sich nach dem Tod ihres Mannes aus dem Leben der „Oberschicht“ in der Schweiz und den USA zurück und pendelte fortan zwischen ihren Wohnsitzen in Paris und Genf. Sie starb 1945 im Alter von 77 Jahren in Genf – vergessen von der Welt des Sports.
Doch gelang es Hélène de Pourtalès mit dem olympischen Erfolg von 1900 nicht, die patriarchische Domäne im Segelsport zu brechen. So bekamen Frauen erst 1988 mit dem 470er eine „eigene“, rein weibliche Bootsklasse zugesprochen.