Yachtkonstrukteure7 min Lesezeit
Reinke Yachten: Patenter Plattenbau
Warum die pfiffigen Multiknickspanter so beliebt sind

Es gibt ihn in blankem Alu, gestrichen oder aus Stahl. Der Doppelknickspanter mit kantigen Aufbauten, stabil verschraubten Fenstern und flächig aufgeklebten Decksbelägen ist solide, erschwinglich und bei segelnden Aussteigern beliebt.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 15.03.2018
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- was in der cleveren Multiknickspant-Bauweise steckt
- warum der sogenannte "Reinke-Sechskant" tatsächlich ein Achtkant ist
- Kurt Reinkes Leben als Segler und Konstrukteur
- weitere Reinke Ideen zum Fahrtensegeln
- Tabelle der Reinke Konstruktionen
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Diese Merkmale machen Reinke Yachten, sie entstehen meist als Rohbau, der dann in Eigenregie fertig gestellt wird, oder komplett als Eigenbau, zur ersten Wahl für Individualisten und segelnde Aussteiger. Das weitgereiste Expeditionssegler-Ehepaar Wilts ist das berühmteste Beispiel dafür. Ihre «Freydis» brannte in Südamerika aus, sank während einer abenteuerlichen Überwinterung in der Antarktis und überstand 2011 sogar den Tsunami in Japan. Hätte sich das Boot bergen lassen, wären die Wilts heute nicht mit ihrer dritten Reinke Yacht unterwegs.
In fast jedem Hafen und Bootslagerbiotop, wo aus guten Grund auf das Preis-Leistungs-Verhältnis geachtet wird, begegnet man einer Reinke Yacht. Ihre Eigner sind bodenständige und hilfsbereite Leute.
Nun muss ich kurz auf die Qualitäten des «Reinke-Sechskants», wie er in Anspielung auf seine Spantform von Insidern, der Fraktion der Schrauber, Flexer und Schweißer liebevoll genannt wird, zu sprechen kommen, wobei die meistgebauten Reinkes, nämlich die mit Backdeck, eigentlich Achtkanter sind, wenn man die beiden Falze am Übergang der oben eingezogenen Seitenwand des Aufbaues mitzählt.
Ihre Form verdanken die Reinkes der Tatsache, dass sich einer Stahlplatte oder einem Aluminiumblech nicht ohne weiteres eine Rundung um zwei Achsen beibringen lässt. Ein Blech innerhalb gewisser Grenzen um eine Achse biegen mag ja noch gehen, aber eine sogenannte Abwicklung um zwei Achsen hinkriegen, dazu braucht es großes handwerkliches Geschick und spezielles Werkzeug wie fest im Boden verankerte Biegevorrichtungen. Deshalb entwickelte Reinke seine patenten Plattenbauten, wo die Bleche lediglich um eine Achse zu wölben sind.
Reinkes sind, wie andere Bootstypen auch, eine Seglerweltanschauung. Und sie sind das Lebenswerk eines Tüftlers, der es dreißig Jahre wie besessen nebenher, in Feierabendarbeit, realisierte. Hauptberuflich arbeitete Kurt Reinke in der Yachtabteilung der Bremer Edelwerft Abeking & Rasmussen. Dort war er jeden Tag mit der Formgebung von Leichtmetall Rümpfen beschäftigt.
1971/2 beschäftigte sich Reinke als Mitarbeiter von Britton Chance ausgiebig mit Schlepptankuntersuchungen in den Staaten. Reinkes Erkenntnis der etwa 400 Messreihen im Stevens Institute in Hoboken bei New York: Rümpfe mit einem hohen prismatischen Koeffizienten laufen besser. Reinke setzt sie wenig später mit moderat fülligen Vorschiffspartien und dem eigenwilligen Bürzel unter dem Heck seiner Konstruktionen um.
Wieder nach Bremen und zu A&R zurückgekehrt, fing der Autodidakt richtig mit dem Entwurf von Booten an. Er nannte seine Feierabendbeschäftigung in deutlicher Abgrenzung zu seinem Tagwerk bei der angesehenen Werft «Hobby-Design». Daher das bis heute gültige Kürzel HD. Bald wandte sich Reinke von seinen zunächst propagierten rundspantigen Konstruktionen, dem 7,55 m Kajütboot «Omega», der 9,20 m Desty 6,80 m «Contra» oder dem Reinke 5,5er ab. Er entwickelte die Doppelknickspantbauweise, wobei er den oberen Knick zwischen dem mittleren und oberen Bordwandblech so anordnete, dass das Schiff bei 20 Grad Krängung weich einsetzt.
Reinke zeichnete die «Secura», einen 9,30 m langen, Watt-tauglichen, um die 5 Tonnen verdrängenden « Motorsegler» mit 1,80 m Tiefgang (Hubkiel) und ganzen 0,95 m in der kimmkieligen Ausführung. Es folgte die «Taranga», eine 10 m Konstruktion mit 1,60 m, alternativ 1,35 m Tiefgang in der Kurzkielversion, der Reinke 11er, ein gleitfähiger Motorsegler mit Backdeck und Decksalon unter dem angehobenen Aufbau. Schließlich die «Super-Secura», ein 11,20 m Motorsegler mit Ballastschwert und die beliebte 14 m «Hydra», gefolgt von der 17,50 m Ketch «Super Hydra».
Peter Reinke, bei der Fassmer Werft bis 2020 als Diplom-Ingenieur und Kunststoff-Fachmann tätig und neuerdings nach Flensburg umgezogen, erinnert seinen Vater als «durchsetzungsfähige und selbstbewusste Persönlichkeit.» Das wird auch in den Aussagen bezüglich der Segeleigenschaften und weiterer Vorzüge seiner Boote deutlich: «Dieser robuste Doppelknickspanter ist als pflegeleichte Ganzstahl-Konstruktion ausgelegt» heißt es in Reinkes umfänglicher Literatur vollmundig und schlicht irreführend. Stahlboote haben unbestreitbare Vorzüge, pflegeleicht waren sie allerdings noch nie. Das wussten und wissen Generationen Rost klopfender, regelmäßig Mennige malender Seeleute und Freizeitkapitäne und natürlich auch der Metallschiffs- und Bootsbauer Kurt Reinke.
Später, angesichts der Verfügbarkeit und vereinfachten Verarbeitungstechniken von Aluminium, Reinkes Arbeitgeber Abeking & Rasmussen gehörte zu den Pionieren des Aluyachtyachtbau (siehe «Germania IV», «Ondine» und die sogenannte Schweißbadsicherung) ist Reinke von solchen Aussagen abgerückt. Er hat selbst später noch das wesentlich leichtere und pflegeleichtere Aluminium propagiert.
Auch sonst war Kurt Reinke ein Freund von Grundsätzen. So lehnte er den in den Siebzigerjahren in Mode gekommenen Brauch, Vorsegel per Rollanlage zu reffen, ab. Der Segelstand ist unbefriedigend, der Verschleiß einer Rollreffgenua gegenüber einem herkömmlich passend zum Wind gesetzten Vorsegel groß. Reinke entwickelte stattdessen mit seinem Fockbaum reffbare Allroundvorsegel, deren Fläche ähnlich wie beim bewährten und bis heute üblichen Bindereff des Großsegels dem Wind angepasst wird.
Dank seines Faibles für Kürzel, es gibt eine eigene Reinke Nomenklatur, nannte er sie RB Fock, wobei die Buchstaben für Reffbaumfock stehen. Das System wurde von einem norddeutschen Segelmacher, den sogenannten «Trecker», eine Art vorbalancierte Fock weiterentwickelt, die dem Vorschiff einen zappelnden oder schlagenden, letztlich gefährlichen Fockbaum hinzufügt.
Durchgesetzt hat sich bei den Reinkes das so genannte Semi-Cutter Rigg, das seinen ungewöhnlichen Namen der Tatsache verdankt, dass die beiden, an hintereinander angeordneten Vorstagen gesetzten Vorsegel nicht wie beim typischen Kutter gleichzeitig gesetzt werden, sondern abwechselnd – entweder die meist vom beschriebenen Fockbaum stabilisierte Fock, oder die Genua am bis zum Masttop reichenden Vorstag. Die Segelgeometrie und entsprechenden Flächenschwerpunkte tarierte der Reinke so aus, dass sich auch bei Starkwind mit der kleinen Fock nur eine leichte und wünschenswerte Luvgierigkeit ergibt.
Bald setzt Reinke anstelle der herkömmlichen Kimmkielkonfiguration auf den asymmetrischen Kimmkieler, den er als «ASY-Twinkieler» propagierte. Die Lösung kombiniert seglerische Vorteile wie den verbesserten Auftrieb bei am Wind Kursen mit geringem Tiefgang und der Möglichkeit, bei Niedrigwasser in Tidengewässern mit dem Boot problemlos stehenzubleiben.
Peter Reinke erinnert seinen Vater als Workaholic, der sich wenig Schlaf gönnte und zugunsten seiner Passion über Jahrzehnte Raubbau an seiner Gesundheit betrieb. Nach seiner vorzeitigen Pensionierung im Alter von 55 Jahren gab er dann richtig Gas: Geradezu besessen arbeitete der Senior an der Perfektionierung seines «alternativen Yachtbau mit HD-System», den er beharrlich als Typyachtbau von manchem minderwertigen, handwerklich und seemännisch fragwürdigen Erzeugnis der Bootsbastler- und Heimwerkerszene abzugrenzen suchte.
Reinkes Zeichnungen, Baubeschreibungen und Kalkulationen waren bis ins Detail ausgearbeitet. Rundbriefe, Dokumentationen und das umfängliche Manuskript des Standardwerkes «Yachtbau» von Autorentrio Reinke/Lütjen/Muhs lieferte er in legendär sauberen handschriftlichen Druckbuchstaben. Vom Computer hielt Reinke nichts.
Die berstend, mit Argumenten gefüllten Anzeigen im damals noch erhältlichen Klasings Bootsmarkt geben eine Idee seines Sendungsbewusstseins. Auch die dem jeweiligen Zeitgeist angepassten Produktbezeichnungen «Reinke 11,5 Öko» oder «Euro», und die vielseitige Konzeption seines Motorseglers «Reinke 11MS» zeigen, wie werblich er dachte.
«Reinkes sind Langzeitsegler für Langfahrtsegler» fasst Peter Reinke die Segelweltanschauung seines Vaters zusammen. Er lernte das Pläsier mit Schot und Pinne auf der väterlichen «Minisuper» auf der Weser, gefolgt von mancher Meile an Bord einer «Omega». Er führt das väterliche Erbe weiter, seit 2021 von Flensburg aus.
Leider sind Reinke Yachten nicht gerade Juwelen des Bootsbaus. Kantige Rümpfe und Aufbauten liegen aber in der Natur der Sache, wenn man für den Bruchteil der Kosten eines halt- und belastbaren Kleinserien- oder Einzelbaues ein Blauwasser-taugliches Schiff möchte.
Wenn Sie den Kauf einer gebrauchten Reinke in Erwägung ziehen, nehmen Sie einen Metallbauer mit, kriechen in fast jeden Winkel, sehen sich die Schweißnähte und Konservierung an. Mit Glück kommen Sie so zum Boot Ihres Lebens. Mit Pech haben Sie eine Baustelle mit hackeviel Arbeit. Nike Steiger, die junge unbedarfte Seglerin, die eine in Mittelamerika an Land stehende Reinke kaufte, weiß ein Lied davon zu singen. Aber mittlerweile ist sie ja weniger in Baumärkten als auf dem Wasser unterwegs.
Liste der 16 verschiedenen Reinke Yachten
Entwurf, Typ - Stückzahl
1977 Secura – ca. 64 Boote
1978 Omega – ca. 56 Boote
1984 Astra – ca. 20 Boote
1986 11M – ca. 10 Boote
1986 S10 – ca. 45 Boote
1986 12M/S12 – ca. 47 Boote (erste Reinke mit Decksalon)
1987 Taranga – ca. 117 Boote
1987 Hydra – ca. 55 Boote
1987 S11 – ca. 68 Boote
1987 10M – ca. 102 Boote
1988 Super Secura – ca. 9 Boote
1989 15M – ca. 28 Boote
1991 Euro – ca. 23 Boote
1994 13M – ca. 36 Boote
1995 16M – ca. 10 Boote
1996 11MS – ca. 12 Boote
Gesamt etwa 702 Boote – ohne «Contra», «Minisuper», andere Vorläufer und die Dunkelziffer nicht lizenzierter Reinke-Bauten.