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Motoren und Technik4 min Lesezeit

Wind tanken (Kite für Motorboote)

Kite-Segel als zusätzlicher Vortrieb für Motorboote – alte Idee, neu umgesetzt.

Wind tanken (Kite für Motorboote)
© kite-boat-systems.com

Kite-Segel als Hybrid-Antrieb für Motorboote: Das System ist erwachsen geworden. Eine spritsparende, entspannende Alternative zum «Rumheizen» im Vollgasmodus.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 09.03.2017, aktualisiert am 03.01.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Wie man Wind für Motorboote tanken kann.
  • Einige Kite-Systeme für Motorboote sind technisch bereits ausgereift.
  • Ein Trend, der sich in den kommenden Jahren fortsetzen wird.
  • Kites, die als perfekte Hybrid-Einheit Sprit und Emissionen sparen, zudem Ruhe ins Schiff bringen.

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Die Idee ist simpel und im Prinzip ziemlich alt: Ein Boot, das eigentlich nur für Motorenantrieb vorgesehen ist, soll durch eine weitere Energiequelle zusätzlichen Vortrieb erhalten bzw. Treibstoff beim primären Antrieb sparen.

Ein Thema, über das man sich schon seit vielen Generationen Gedanken gemacht hat: So wurden Stützsegel auf Motorboote montiert oder gleich das Motorboot zum Segler erkoren (mitunter auch umgekehrt).

Motorsegler oder Motorboote mit Stützsegel-Rigg können zwar per se auf «zwei Hochzeiten» tanzen, sind aber «weder Fleisch noch Fisch», wie Salzbuckel das ausdrücken würden. Zudem fährt man sein Motorboot ja auch «mit dem Auge». Und wie völlig fehl am Platze würde auf einem schnittigen Gleiter ein verstagter Mast aussehen? Eben!

Doch durch die rasante Entwicklung unterschiedlicher Segelsysteme gab es im Laufe der letzten fünfzehn Jahre eine Menge neuen Denkstoff für die Tüftler der Wassersportbranche.

Primus in dieser Welt der Neuerungen und Verbesserungen ist neben dem Foil der Kite oder Lenkdrachen. Nein, wir wollen Sie jetzt nicht vom Motorbootlenker zum Kite-Boarder bekehren. Doch sei gestattet, dass wir den Motorbootfahrer ein ganz klein wenig zum Segler machen.

© kite-boat-systems.com

Hand aufs Herz: Wie oft haben sie schon auf einen Törn in eine etwas entlegene Bucht oder zu einer ferneren Hafenstadt verzichtet, weil der Spaß «ganz schön ins Geld» gehen würde? Weil Spritverbrauch und Umweltverschmutzung in keinem Verhältnis zu den Freuden in der fernen Bucht stehen würden? Oder wie häufig haben sie sich während einer Tour nicht schon überlegt, dass jetzt die eine oder andere Stunde Ruhe an Bord guttun würde?

Ruhe, bei der man ohne Motor, langsamer und deutlicher entspannter, dennoch weiterhin Richtung Ziel schippert? Und mit einem Augenzwinkern in Richtung Elektromotor-Gemeinde: Wäre es nicht verlockend, wenn sich die Reichweite ihrer Ausflüge durch Einsatz eines weiteren, durchaus umweltfreundlichen Antriebs deutlich vergrößern würde?

Die Antwort auf alle diese Fragen bietet ein trapezförmiges Segel in den Größen zwischen sieben und 15 Quadratmetern Fläche, das sich an bis zu 150 Meter langen Leinen in die Lüfte erheben kann. Und – einmal fest am Boot «verankert» – dasselbe ruhig im tiefenentspannten Modus voranbringt.

«Alles kalter Kaffee», werden jetzt einige Leser abwinken. Schließlich wurden Drachen schon auf Ozeanriesen wie Tankern oder Containerschiffen zum Einsatz gebracht. Und scheiterten – allerdings aus wirtschaftlichen Gründen! Denn die dort nötigen, riesigen Kites mussten mit enormem technischem Aufwand gebändigt werden.

Kein Vergleich zu den bescheideneren Dimensionen, die auf einer Motoryacht nötig sind. Ein relativ kleiner, fast schon dezenter Leinenmast, der fest auf dem Boot installiert wird, wäre die einzige nötige Umbaumaßnahme. Und schon steht dem Kite als zusätzlichem Vortrieb nichts mehr im Wege.

© kite-boat-systems.com

Das deutsche Startup-Unternehmen WingIt Sportartikelvertrieb ist mit seinen Kite Boat-Systemen für unterschiedliche Bootstypen längst aus den «Kinderschuhen» herausgewachsen. Ihre «Wing Commander RC» ermöglichen es, Boote allein mit der Kraft von Kites anzutreiben. Der Kite fliegt dabei in eher windreichen Höhen von 25 bis 150 Metern und zieht das Motorboot, dessen Motoren ausgeschaltet sind, mit bis zu zehnfacher Kraft eines gleich großen Segels.

Der Clou an dem ganzen Spektakel: Die Kontrolle des Kites – inklusive Start und Landung, respektive Einholen – ist mit dem sinnigerweise «Kite Control System» genannten «Herzstück» der Anlage ganz offensichtlich kinderleicht (siehe Video). Die Steuerung des Kites erfolgt direkt vom Boot aus per Joystick oder Autopilot.

Ist erst einmal der Drachen in der Luft und geht seiner zugkräftigen Arbeit nach, profitieren Motorboot-Skipper und Crew von einigen deutlichen Vorteilen:

  • Mit dem buchstäblich «dualen» Antrieb, also bei weiterhin eingeschaltetem Motor, aber mit verringerter Schubkraft, profitieren Motorbootfahrer von einer deutlichen Spritersparnis.
  • Bei ausgeschaltetem Motor genießen Skipper und Crew emissionsfreie, ruhige Zeiten bei entspannter Geschwindigkeit unter Segeln, Pardon: unter Kite. Ohne Motorgeräusche, dafür aber mit null Spritverbrauch.

© kite-boat-systems.com

Doch vielleicht ist das wichtigste Argument für den Einsatz von «Kites» auf Motorbooten ganz woanders zu finden. Alle den vernünftigen und wichtigen, vor allem umweltrelevanten Vorzügen «zum Trotz»: Der Kite am Motorboot macht richtig Spaß! Wobei das Eine das Andere bekanntlich nicht ausschließen muss.

Anwender berichten von einer «diebischen Freude», wenn sie den Drachen im manuellen Modus per Joystick von ihrem Motorboot aus «vor sich hertreiben». Und viele erinnern sich plötzlich an längst vergessen geglaubte Zeiten mit Papierdrachen bei Herbstwind auf dem heimischen Stoppelfeld. Wer hätte damals schon ahnen können, dass genau dieses Prinzip bald eine kleine Revolution im motorbetriebenen Wassersport einläutet?

Übrigens:
Die Kite Boat-Systeme gibt es auch für Segelyachten (dort ersetzen sie herkömmliches Rigg und Beseglung) und natürlich für «Beachboats», auf denen es besonders rasant abgeht.

Video

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