Umwelt- und Meeresschutz7 min Lesezeit
Stoff für die Zukunft
Wasserstoff und Wind – Ersatz für Schweröl und Diesel?
Emissionsfreie Antriebsstränge sind auch in der Berufsschifffahrt ein Thema mit rasant wachsender Relevanz. Der neueste Coup: Energy Observer 2 – ein Frachtschiff, das seinen Elektromotor mit Strom aus Wasserstoffbrennzellen antreibt und zusätzlich den Wind nutzt.
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 07.04.2022
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Die Berufsschifffahrt muss schnellstmöglich ihre Emissionen reduzieren
- Zwei Elemente könnten dabei eine elementare Rolle spielen
- Warum Wind als Antrieb immer noch eine Alternative zu Verbrennermotoren ist
- Wasserstoff – der Stoff, aus dem alternative Träume sind
Artikel vorlesen lassen
In der Berufsschifffahrt und bei großen Motoryachten „dreht der Wind“.
Die meist mit Diesel oder Schweröl angetriebenen Wasserfahrzeuge sind neuesten Analysen zufolge für mindestens sechs Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Denn Emissionen sind im Zusammenhang mit dem Klimawandel bekanntlich in jedem Wirtschaftszweig zu einem elementar wichtigen Thema geworden. Zwar hat sich etwa die IMO (International Maritime Organization) lediglich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 auf allen der Organisation zugehörigen Schiffen die Treibhausgasemissionen um 50 Prozent zu senken. Was von vielen Umweltverbänden, aber auch von einigen zukunftsorientierten Reedern als zu langfristig bezeichnet wird.
Andere Verbände und Organisationen haben hier längst rascheren Handlungsbedarf erkannt bzw. werden (mehr oder weniger dringlich) von Regierungen zu Emission-reduzierenden Maßnahmen aufgefordert oder per Gesetzgebung dazu gezwungen. Kurz: Es wird deutlich, dass sich nicht nur der Wind dreht, sondern „das Boot, in dem wir gemeinsam sitzen“ möglichst schnell in Fahrt kommen muss.
Ganz einfach?
Im Prinzip ist die Lösung der Emissionsproblematik auf Handelsschiffen und Motoryachten naheliegend: Austausch der Motoren, die mittels Verbrennung fossiler Energien ihren Job verrichten gegen Antriebe, die möglichst emissionsfrei und zumindest ansatzweise nachhaltig sind. Dass dies zwar einfach klingt, bis zum heutigen Tag jedoch noch reine Zukunftsmusik ist, dürfte sich herumgesprochen haben. Zwar ist man technisch und theoretisch durchaus in der Lage, entsprechend richtungsweisende Antriebs-Alternativen anzubieten. Doch mit deren Umsetzung im Business-Alltag hapert es noch gewaltig.
Dennoch wird in den kommenden Jahren eine Umrüstung auf umweltfreundliche Antriebe und Energiesysteme unumgänglich. Kreuzfahrtschiffe, Fähren, Tanker, Frachtschiffe und private Yachten müssen dem neuen Trend folgen; auf der internationalen „Umweltuhr“ ist es sowieso schon „fünf nach Zwölf“: Eine mahnende Zeitangabe, der seit einigen Jahren nicht nur Umweltverbände und NGOs folgen, sondern mit wachsendem Enthusiasmus auch Reeder, Lobbyisten und Konzerne.
Wind ist und bleibt ein (fast) perfekter Antrieb
Es müssen also Alternativen her. Ohne Zweifel werden etwa Windantriebe in der Branche schon in den kommenden Jahren erneut an Bedeutung gewinnen. Zwei relevante Formen dürften sich durchsetzen: Primäre Windantriebe mit ergänzenden Hilfsmotoren oder Systeme, bei denen der Antrieb eines herkömmlichen Motorschiffes durch Windkraft zumindest unterstützt wird.
Der neue Trend, bestimmte Nahrungsmittel wie Schokolade, Kaffee, Weine, Spirituosen etc. auf „reinen“ Segelschiffen zu transportieren ist hier zwar höchst begrüßenswert (Neue Ära für Frachtsegler), wird aber nur eine Nische im weltweiten Handel auf der See besetzen.
Es weht ein neuer Wind!
Eine EU-Studie aus dem Jahr 2019 hat ermittelt, dass bis zum Jahr 2030 ca. 10.700 Containerschiffe, Tanker und Massengutfrachter mit entsprechenden Windkraftsystemen ausgerüstet werden könnten.
Egal, ob klassisch anmutende Segel, Wingsails, Flettnerrotoren oder Kites – der Wind als kostenlose Energie könnte in der Berufsschifffahrt und bei Super- und Megayachten durch eine Kombination verschiedener Technologien große Mengen Treibstoff einsparen und somit Emissionsausstöße verringern. Logischerweise ist das Wirkungspotential besonders bei Neubauten groß, da man diese Schiffe und Yachten auf die hybride, alternative Technik von vornherein optimal ausrichten kann.
Uralt, bewährt und kostenlos
Der Wind ist eine bewährte und frei verfügbare Energiequelle, die bereits seit Jahrtausenden unsere Schiffe und Boote antreibt. Erst seit Erfindung des Verbrennungsmotors geriet der nicht immer zuverlässig wehende und mitunter allzu rustikal auftretende Wind ins Hintertreffen. Stichworte: Pünktlichkeit, Geschwindigkeit, Ladevermögen, Zeit ist Geld, wer zuerst kommt, kassiert zuerst und mehr.
Insbesondere bei kleineren Schiffen, die auf den Binnenwasserstraßen oder auf den letzten Seemeilen des langen Transportweges über die Ozeane zum Einsatz kommen, sind die Emissionen pro Ladungstonne am höchsten. Dass sich eine Antriebs-Unterstützung durch Windkraft hier besonders anbieten würde, steht außer Frage.
In verschiedenen Studien von anerkannten Forschungseinrichtungen wurde ermittelt, dass bei Umbauten 10 bis ca. 35 Prozent Einsparungen bei fossilen Brennstoffen durch zusätzlich genutzte Windkraft möglich sind. Bei Neubauten mit entsprechender Ausrichtung auf zusätzliche Windkraft-Anteile sind sogar 50 Prozent Einsparung zu erwarten.
Trotz seiner jahrtausendealten Geschichte bleibt also die Windkraft auch in modernen Zeiten ein Antriebssystem, das in Sachen Ökologie und Ökonomie u. a. im Hybrid-Einsatz „unschlagbar“ ist. Doch davon später noch mehr.
Der Stoff, aus dem (alternative) Träume sind
Ein weiterer aussichtsreicher, weil nahezu emissionsfreier und Ressourcen-schonender Energieträger ist Wasserstoff als hybrider Schiffsantrieb oder als purer Wasserstoffmotor.
Noch vor wenigen Jahren galten Forschungen an Wasserstoff-Antrieben als etwas verschroben oder als die (wenig aussichtsreiche) Suche nach dem Perpetuum mobile. Diverse Forschungs- und Förderprogramme haben den Wasserstoff-Antrieb als Alternative zu fossilen Brennstoffen jedoch in den Fokus der Berufs- und Sportschifffahrt gesetzt.
Wie funktioniert ein Wasserstoff-Antrieb beim Schiff oder auf einer Yacht?
Wasserstoff wird als Antriebsenergie hauptsächlich im Zusammenhang mit Elektromotoren genutzt. Die Energie wird dann über Brennstoffzellen erzeugt. Die wiederum sind sog. Energiewandler, tauschen also Energie zwischen einem System und der Umgebung in mindestens zwei Energieformen aus. Liest sich kompliziert, ist aber einfach nachvollziehbar: In der Brennstoffzelle reagiert ein Brennstoff – wie z.B. Wasserstoff – mit einem Oxidationsmittel wie z.B. Sauerstoff. So entstehen Wasser, elektrische Energie und Wärme. Der Clou dabei: In der Brennstoffzelle läuft die Reaktion automatisch ab und muss nicht herbeigeführt werden. Allerdings muss laufend Sauerstoff und Wasserstoff zugeführt werden.
Und woher kommt der Wasserstoff? Der muss, ähnlich wie fossile Brennstoffe, in Tanks, hier allerdings auf Druck- und Kältebasis mitgeführt werden.
Wasser(stoff) in den Motor
Neben der Energieerzeugung mittels Wasserstoff in der Brennstoffzelle gibt es auch die Möglichkeit, Motoren direkt mit Wasserstoff anzutreiben. Die Energie wird dort im Prinzip ähnlich erzeugt wie etwa in Motoren, die fossile Energieträger nutzen. Wasserstoff wird in diesem Fall als Gas oder in einer Trägerflüssigkeit gebunden zugeführt.
Unternehmen, Reeder und Forschungseinrichtungen wie etwa das Fraunhofer-Institut, die sich intensiv mit wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellensystemen beschäftigen, arbeiten auch mit sogenannter Reformer-Technologie, mit der sich etwa Methanol oder Flüssigerdgas (LNG) an Bord der Schiffe in Wasserstoff umwandeln lässt.
Und der Haken an der Sache?
Eindeutig die Lagerung respektive der Transport des Wasserstoffs! Verdichtet man Wasserstoff bei minus 253 Grad Celsius, verflüssigt sich das chemische Element und erreicht so eine optimale Raumeffizienz. Allerdings ist es technisch aufwändig und energieintensiv, die niedrigen Temperaturen permanent zu gewährleisten. Außerdem lassen sich Abdampfverluste bei einer langfristigen Lagerung nicht vermeiden. Ideal wären also „Tankstellen“ in den großen Industriehäfen der Welt, um den extrem kalten Flüssigwasserstoff zum „Auftanken“ für alle wasserstoffbetriebenen Schiffe zu gewährleisten. Was jedoch noch einige Jahre dauern dürfte.
Die eierlegene Wollmilchsau?
Als eine Art Synergie der beiden genannten, alternativen Antriebssysteme kündigte Anfang 2022 das französische Unternehmen Energy Observer den Bau eines mit Wasserstoff und Wind betriebenen Frachtschiffes an. Was in der Szene zunächst wie ein weiteres „futuristisches Reißbrett-Konzept“ aufgenommen wurde, hat sich mittlerweile zu einem durchweg ernst zu nehmenden Projekt entwickelt. Kunststück, denn das Energy Observer-Team hat in den letzten Jahren bereits unschätzbare Erfahrungen mit dem Wasserstoff-Antrieb auf See gesammelt.
Nach der Entwicklung eines Energie-autonomen Laborbootes mit der ersten, vollständigen Wasserstoffkette, das in der Lage ist, seinen eigenen Wasserstoff mit einem Überschuss an erneuerbaren und nicht-fossilen Energien zu produzieren, promotete Energy Observer seinen emissionsfreien Antrieb mit einem spektakulären Törn (fast) um die ganze Welt.
Mit dem 1983 gebaute Katamaran, der u. a. als „Team Enza“ mit Sir Peter Blake bereits vor 25 Jahren die Jules Verne Trophy (schnellste Nonstop-Weltumseglung mit Crew) gewonnen hatte, fuhr die Energy Observer Crew auf spektakulären Expeditionstörns in extreme, vom Klimawandel besonders betroffene Regionen.
Projekt mit und für die Zukunft
Das Energy Observer 2-Projekt zeichnet sich nicht nur durch das technische Know-how seiner Initiatoren aus, sondern auch durch die beteiligten Partner. So sieht die CMA CGM Gruppe, das größte Schifffahrtsunternehmen Frankreichs und mit 400 eigenen und gecharterten Containerschiffen die Nummer Vier weltweit, im Wasserstoff die Antriebsenergie der Zukunft.
Ein weiteres Schwergewicht in der Szene ist LMG Marin, ein Schiffsbauunternehmen, das Pionierarbeit auf dem Gebiet des dekarbonisierten Antriebs geleistet hat und mit „Hydra“ die erste Flüssigwasserstoff-Fähre der Welt entwickelte. Sie zeichnen für das Design des Energy Observer Frachters verantwortlich.
Die futuristisch anmutenden Wing-Segel auf dem Wasserstoff-Frachter werden von dem französischen Unternehmen Ayro entworfen und gebaut. Deren „Oceanwings“ zierten auch schon Energy Observer 1 bei seiner Weltumseglung.
Übrigens benennen alle Beteiligten nicht nur klimaspezifische Interessen als Grund für ihr Engagement … man hat auch unverhohlen wirtschaftliche Interessen im Fokus.
Die französische Handelsmarine will und muss ihre veraltete Flotte von Mehrzweckfrachtschiffen bis ca. 5.000 Tonnen Ladevolumen erneuern bzw. völlig austauschen. Dieser Schiffstyp macht übrigens mehr als ein Drittel der weltweit agierenden Flotten aus und wird meist auf küstennahen Seerouten, auf großen Binnenseen oder auf Flüssen eingesetzt.
Wind und Wasserstoff als Antrieb für die Schifffahrt: Noch ist das Zukunftsmusik! Doch das „Orchester“ ist schon hervorragend eingespielt und gut hörbar. Verbunden mit den aktuellen Bemühungen vieler Regierungen nach energiepolitischer Autonomie und dem damit einhergehenden Fokus auf alternative, klimafreundliche Energien, werden Wasserstoff und Wind vielleicht bald schon Energieträger wie Diesel, Schweröl oder Gas in der Schifffahrt und zum Teil auch im Wassersport übertönen.
Technische Daten Energy Observer 2:
- Länge: 120 Meter
- Breite: 22 Meter
- Tiefgang: 5,5 Meter
- Fläche der Oceanwings: 1450 m²
- Tragfähigkeit: 5.000 Tonnen
- Container: 240 TEU
- Ro-Ro-Brücke: 480 laufende Meter (Lastwagen, Fahrzeuge und Container)
- Höhe des Zwischendecks: 6,5 Meter
- Zugangsrampe: 15 Meter breit
- Kommerzielle Geschwindigkeit: 12 Knoten
- Elektrischer Antrieb: 4 MW
- Brennstoffzellenleistung (RexH2 EODev): 2,5 MW
- Flüssigwasserstofftanks (LH2): 70 Tonnen (1000 m3)
- Reichweite: bis zu 4.000 nautische Meilen