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Sieben Masten, erste Ölpest und Freitag der 13.
Geschichte einer Superlative, die als Katastrophe endete.

Wir wissen nicht, ob es am Datum lag oder ob „nur“ ein Rechenfehler den Untergang des Siebenmasters "Thomas W. Lawson" herbeiführte. Tatsache ist: am Freitag , den 13. Dezember 1907 lief das größte Segelschiff aller Zeiten vor den Scilly-Inseln auf Grund und sank. 17 Menschen kamen ums Leben, sieben Millionen Liter Öl bedeckten die Küsten des Archipels.
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 28.07.2024
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Wer die „Thomas W. Lawson“ finanzierte
- Ein Siebenmaster-Segeltanker als Bollwerk gegen die Motoren
- Was Freitag, der 13. damit zu tun haben kann
- Ein Navigationsfehler mit verheerenden Folgen
- Das weltweit größte Segelschiff sinkt in wenigen Minuten
- Es folgt die erste Ölpest
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SV „Thomas W. Lawson“
- Länge: 140, 1 m
- Breite: 15,25 m
- Tiefgang: 10, 71 m
- Verdrängung: 5.218 BRT
- Besatzung: 16 - 18 Mann
- Takelung: Gaffelschoner
- Anzahl Masten: 7 (sieben!)
- Segelfläche: 4.330 qm
- Tragfähigkeit: 11.000 t
- max. Geschwindigkeit: 16 kn
- zum Segeltanker/Öltanker umgebaut
Die USA im Jahr 1906. Zwar erschütterte das „Große Erdbeben“ an der Westküste mit seinen tausenden Toten die ganz Nation, doch ansonsten herrschte Aufbruchstimmung: Die Wirtschaft florierte, an der New Yorker Börse konnte man vermeintlich einfach eine Menge Geld verdienen, der Kontinent schien endlich erschlossen und seine Bodenschätze sollten nun vollends ausgebeutet werden. Man begann mit Öl „richtiges Geld“ zu verdienen und überhaupt war „think big“ in jeder Hinsicht angesagt.
Mittendrin schwelgte ein gewisser Thomas W. Lawson. Der aus völlig verarmten Verhältnissen aufgestiegene, mittlerweile 50-Jährige galt als Glückskind in Sachen Börsenhandel, hatte mit Spekulationen die unglaubliche Summe 50 Millionen Dollar an der Börse gerafft und begann in das florierende Transportwesen zu investieren. Sein neuester Coup: Die Investition in den Bau des größten Segelschiffes aller Zeiten – sieben (!) Masten, 4330 qm Segelfläche, 140 m Länge. Baukosten (für Herrn Lawson lächerliche) 250.000 US-Dollar.
Das gesamte Projekt verstand sich zudem als eine Art Aufbäumen gegen die immer mächtiger und erfolgreicher werdende Lobby der Dampfschifffahrt rund um den nordamerikanischen Kontinent.
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Von der Börse auf See
1901 versuchte Lawson mit seiner Yacht Independence (Unabhängigkeit) am America’s Cup gegen den schottischen Teemagnaten Sir Thomas Lipton anzutreten. Doch der New Yorker Yachtclub sperrte Lawsons Boot aus bis heute fadenscheinigen und nicht erklärbaren Gründen. Was zu jahrelangen Streitereien unter den Klubmitgliedern führte.
Lawson war auch bekannt dafür, dass er mit Zeitungsartikeln und in Büchern die „schrägen“ Geschäfte an der Börse anprangerte, in die er angeblich nie involviert war. 1906 arbeitete er an einem Roman mit dem vielsagenden Titel „Freitag der 13.“
Das literarisch nicht gerade anspruchsvolle, aber durch Insider-Wissen interessante Buch handelte von einem Börsenmakler, der an besagtem Freitag, den 13. einen Crash an der Wall Street herbeiführt. Und tausende Aktionäre ins Unglück stürzt.
Freitag, der Dreizehnte
Britische Gewässer, vor den Scilly Inseln im Jahr 1907. Es ist Freitag der 13. Dezember im Jahr 1907 und besagter weltgrößter Schoner, mittlerweile auf den Namen seines Financiers „Thomas W. Lawson“ getauft, segelt durch übles Wetter mit miserabler Sicht Richtung Ärmelkanal.
Hinter dem Giganten der Ozeane lag eine Atlantik-Überquerung unter katastrophalen Bedingungen.
Schon vor dem Ablegen von der Ostküste der USA zur ersten Transat der „T.W.Lawson“ mit dem Ziel London, schwante Kapitän George Dow – einem erfahrensten Kapitäne der USA mit 36 Jahren Amtszeit – nichts Gutes. Sieben der achtzehn Besatzungsmitglieder verließen kurzfristig das Schiff, weil sie sich in Sachen Heuer nicht mit der Reederei geeinigt hatten. Entsprechend musste auf den letzten Drücker eher wenig ausgebildeter Ersatz im Hafen regelrecht shanghait werden. Letztlich standen sieben US-Amerikaner, ein Brite, ein Südamerikaner, sechs Skandinavier, ein Russe, ein Deutscher und ein Österreicher auf der Mannschaftsliste.
Die Atlantik-Überfahrt dauerte 24 Tage und brachte Kapitän und Mannschaft an den Rand der Verzweiflung. Murphy’s Law schlug gnadenlos zu, alles ging schief, was nur schiefgehen konnte. Mit 7,5 Millionen Liter Öl an Bord segelte der Siebenmaster nicht, sondern er schlingerte wie eine Tonne im Seegang. Die unerfahrene, nur teilweise aufeinander eingespielte Mannschaft hatte große Probleme mit den Manövern in teils starken Böen und bei meist hohem Seegang.
Als der segelnde Öltanker schließlich vor den Scilly-Inseln ankam, waren die meisten Segel zerstört oder zumindest nicht einsatzbereit, zwei der drei Rettungsboote im Seegang verloren gegangen und eine Luke leckgeschlagen, sodass Seewasser ins Schiff eindringen konnte.
Um es kurz zu machen: Das Chaos hätte kaum größer sein können.
Auf See gibt es immer eine Steigerung.
Ausgerechnet der erfahrene Kapitän machte offensichtlich einen groben Fehler, als er ein paar Stunden zuvor das Besteck nahm. Am frühen Nachmittag dieses Freitags, den 13. segelte der Schoner nordwestlich der Scilly-Inseln, ca. vier Seemeilen nördlich von Bishop Rock mit südöstlichem Kurs in eines der gefährlichsten Seegebiete vor Großbritannien ein – ohne zu ahnen, wo sie sich tatsächlich befinden. Überall lauern Klippen und nur schlecht markierte Felsen knapp unter der Wasseroberfläche.
Der Kapitän bemerkte seinen Irrtum zu spät und ließ westlich der Insel Annet und 1,5 Seemeilen nördlich des Hellweather’s Reef (südlich Annet) beide Anker werfen.
Somit lag die Thomas W. Lawson jedoch nicht in Sicherheit, etwa im Windschatten, sondern auf der falschen Seite der Inseln und war in einer Art Düse der vollen Gewalt eines erneut aufziehenden Sturmes ausgesetzt.
Rettung naht – und dreht um
Auf den Inseln war der riesige Segeltanker in seiner prekären Lage längst bemerkt worden. Der Leuchtturmwärter von Bishop Rock ließ Seenotrettungsboote bereitstellen, doch Kapitän Dow forderte „nur“ einen Lotsen an.
Der versuchte wiederum Dow zu überreden, das Schiff mit den wenigen verbleibenden Segeln und trotz der sichtlich erschöpften Mannschaft in sicheres Seegebiet zu steuern. Kapitän Dow traute allerdings seiner erschöpften Crew die entsprechenden Manöverarbeiten nicht mehr zu und blieb zunächst vor Anker liegen, im Vertrauen darauf, dass die Ketten das riesige Segelschiff halten würden.
Die Anker waren je 5 t schwer, die gesteckte Kettenlänge betrug 274 m an Backbord und 165 m für den Steuerbordanker.
Bei dem Lotsen handelte es sich übrigens um William „Cook“ Hicks, der das höchste britische Lotsenpatent besaß und als Der damals erfahrenste Lotse im Königreich galt. Mit Dow und Hicks trafen zwei „Größen“ zur See aufeinander, die beide von sich und ihrer Sichtweise mehr als überzeugt waren. Die Wortgefechte an Bord angesichts des weiterhin zulegenden Sturmes dürften gelinde gesagt „kernig“ gewesen sein.
Das erste, St. Agnes ausgelaufene Rettungsboot musste wegen schwerer Seekrankheit eines Mannschaftsmitgliedes abdrehen und zurücklaufen. Das andere, von St. Mary’s ausgelaufene Rettungsboot kollidierte mit dem Heck des Schoners in der stürmischen See, der Mast brach, die Mannschaft musste umkehren.
Von Falmouth wurden Schlepper herbei beordert, die jedoch gegen den Sturm nicht anlaufen konnten und umkehren mussten.
Die Katastrophe nimmt ihren Lauf
Gegen ein Uhr nachts brach die Backbord-Ankerkette, das Schiff vertrieb an der Steuerbordkette, bis diese kurz darauf ebenfalls brach. Erst jetzt befahl Dow, Rettungswesten anzulegen und in die Takelage zu klettern. Eine Maßnahme, die wohl verhindern sollte, dass bei überkommenden Wellen Besatzungsmitglieder über Bord gespült werden.
Die „Thomas W. Lawson“ trieb auf den längst berüchtigten Shag-Rock zu und war somit dem Untergang geweiht. Es lief auf Grund, wurde vom Seegang an der Steuerbordseite gegen den Felsen geworfen, rollte zurück um erneut gegen den Felsen zu krachen. Alle sieben Masten brachen über Backbord ab und rissen die meisten Crewmitglieder in den Tod.
Hinter dem sechsten Mast brach das Schiff auseinander, der Heckbereich sank in kürzester Zeit, mit ihm der Lotse Hicks.
Am nächsten Morgen ragte lediglich ein Teil des Kiels noch aus dem Wasser, die See war schwarz von ausgelaufenem Öl. Das Schicksal wollte es, dass lediglich Kapitän Dow überlebte. Er wurde ausgerechnet vom Sohn des Lotsen Hicks auf einem Felsen in ca. einer Seemeile Entfernung verletzt gefunden und gerettet. Ein weiterer Seemann erreichte lebend das Ufer, erlag aber einen Tag später an seinen Verletzungen.
Siebzehn Mannschaftsmitglieder der „Lawson“ und der Lotse Hicks starben bei diesem Unglück.
Doch damit nicht genug. In der Nacht vom Freitag, den 13. auf Samstag, den 14. Dezember flossen die siebenkommafünf Millionen Liter Öl aus dem Rumpf des riesigen Segeltankers in die See.
Die erste Ölpest auf See!
Die Scilly-Inseln und ihre Bewohner, ihre Fauna und Flora waren somit die ersten, die von einer Ölkatastrophe heimgesucht wurden. Heute bekannte Bilder, die damals schieres Entsetzen auslösten, folgten: Schwarze Strände, Felsen, Vögel mit verklebtem Gefieder, ölverschmierte, verendete Fische und Delfine, verzweifelte Menschen, die mit rudimentärem Gerät wie Eimern , Lappen und Besen versuchten, ihre Heimat von dieser für sie neuen Form der Schwarzen Pest zu befreien.
Über die Dauer der Ölverschmutzung gibt es heute nur noch wenige, teils widersprüchliche Informationen. Wissenschaftler aus dem fernen London bestätigten ein Jahr später, dass die Ölpest nun besiegt sei.
Die Bewohner der Scilly-Inseln klagten jedoch noch drei Jahre nach der Katastrophe, die vom größten Segelschiff aller Zeiten ausging, respektive ausfloss, dass die Gischt, die bei Sturm ihre Fenster beschlug, weiterhin schwarz gewesen sei.
Das zerbrochene und verstreute Wrack der Thomas W. Lawson liegt heute nordöstlich von Shag Rock in einer Tiefe von 17 Metern und ist bei ruhigem Seegang ein beliebter Tauchspot. Einer der Anker ist heute in die Außenwand von Bleak House, Broadstairs, dem ehemaligen Wohnhaus von Charles Dickens, eingebaut und kann zusammen mit einem Bild des Schoners besichtigt werden.