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Klassiker5 min Lesezeit

Splendido

Wenn klassisches Segelspielzeug dem Betrachter die Sicherung rausdreht

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«Orion of the Seas» in Portofino © Carlo Borlenghi/Sandeman Yacht Company

Seit 1910 bringt der Fahrtenschoner «Orion of the Seas» Segler, Sehleute und Spaziergänger um den Verstand. Er dreht die Besitzverhältnisse zwischen Eigner und Schiff augenblicklich um.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 20.04.2021, aktualisiert am 27.09.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • wer das Schiff entworfen und gebaut hat
  • wie viele Eigner und Namen es gab
  • Wissenswertes zur Takelage
  • was aus der berühmten Camper & Nicholsons Werft wurde

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Sie heißt «Orion of the Seas». So unbescheidene Namen haben sonst nur Kreuzfahrtschiffe. Als solches war sie auch gedacht. Allerdings als privates Meeresdomizil. Denn es macht keinen Spaß, in einer Schlange hungriger Zeitgenossen am Buffet anzustehen. Hier wird im kleinen Kreis à la carte gegessen, werden hübsche Häfen an der italienischen Riviera angesteuert, die nebenan unbescheiden aber zutreffend «Golfo Paradiso» heißt.

Sanft schwankt der Schlitten in der Dünung, die vom ligurischen Meer zwischen die Promenade von «Portus Delphini» schwappt. So nannten die alten Römer einst den Naturhafen Portofino.

Mir fällt kein Schiff ein, das besser in dieses Setting passt. Vor einer Weile in Gosport bei Camper & Nicholsons als «Sylvana» aufgetakelt, zählt «Orion» zur Kategorie von Yachten, die die Besitzverhältnisse zwischen Eigner und Schiff umkehren. Bisher wurden zwölf verschiedene Eigner von ihr in Beschlag genommen. Sie gaben ihm 5 verschiedene Namen, wobei es seit 1930 im Wesentlichen bei «Orion» blieb. Der nächste darf sich gerne zu POA-Konditionen übernehmen lassen. Diese drei Buchstaben stehen für «Price on Application». Sie sind ein Kürzel für richtig teuer. Wer sicher ist, ihn und die Betriebskosten mit links zu stemmen und näheres wissen möchte, wende sich vertrauensvoll an die freundlichen Herren der Sandeman Yacht Company.

Etwa die Hälfte ihrer Länge schwimmt. Der Rest schwebt

Dieses Verhältnis bringt Augenmenschen um den Verstand. Die Werft war eine Weile im Thema, als sie das Segelspielzeug nach Plänen von Inhaber Charles Nicholson ihrem ersten Eigner übergab. Er hatte ganze drei Jahre das Vergnügen.

«Sylvana» entstand als «auxiliary schooner». Auxiliary bedeutet, dass es einen Hilfsmotor gab, damals eine leider brustschwache Paraffinmaschine, die mit Ach und Krach für Hafenmanöver reichte. Das Bremsmanöver musste nicht bloß rechtzeitig, es musste früh eingeleitet werden, damit das Gebälk pünktlich zum Stehen kommt. Motoren spielte beim Bootsbetrieb damals noch eine untergeordnete Rolle. Auch waren die Häfen nicht so belegt wie heute. Das Schiff war zum Fahrtensegeln mit einem komfortablen Deckshaus zwischen den Masten gedacht. Dort ißt man à la carte, kann unbehelligt vom Wind Zeitung lesen und den zweiten Kaffee wirken lassen.

Der Schoner wurde in der Belle Époque zum Genußsegeln verfeinert

Schonergetakelte Zweimaster, deren hinterer Mast den vorderen überragt, hatten sich in der ausklingenden Ära der besegelten Schifffahrt in der Fischerei und für Lotsendienste mit kleiner Besatzung bewährt. Die Takelage wurde in der Belle Époque dann zum Schnell-, Bummel-, Genuß-, Herren- und vermutlich auch Damensegeln verfeinert.

Der Blick vom Kirchenvorplatz von San Giorgio über Portofino auf das Segelspielzeug erinnert an die Schwärmerei Joseph Conrads, der Schoner einmal "als Vögel der See" beschrieb. Vor einem Jahrhundert, als von Hand und mit Flaschenzügen statt Winschen dichtgeholt wurde, ging das nur mit dieser, auf mehrere handhabbare Flächen unterteilten Schoner-Besegelung. «Orion» setzt bis zu acht Tücher.

Mangels Baumstämmen in der nötigen Länge waren die Masten zweiteilig. Der untere Maststumpf wurde mit einer separaten Stenge für das Topsegel gestreckt. Bei den Lotsen- und Fischerschonern wurden die Stengen für die stürmische Wintersaison abgenommen, um das nachteilige Topgewicht zu sparen. Yachten wie «Orion» verbrachten das Winterhalbjahr im wärmeren und sicheren Gewässern.

Anlässlich der letzten Generalüberholung wurde der Großmast 2005 mit einer zusätzlichen Stenge zugunsten eines größeren Topsegels gestreckt. Wie der Werbefilm des Yachtmaklers Sandeman zeigt, segelt der Schlitten damit bereits bei einem lauen Lüftchen. Dabei ist das gewaltige Großsegel über dem 22 m langen Baum der Turbo. Bei drei Windstärken pflügt man damit ins seglerische Nirwana. Ich hatte betrüblicherweise nicht das Vergnügen, bin jedoch sicher, dass es den POA, die Gehälter für die siebenköpfige Besatzung, einschließlich Koch, Messingputzer und weitere wiederkehrende bis davon galoppierende Aufwendungen wert wäre.

Es ist schon eine Weile her, dass ich einmal mit Segelfreunden an Bord meines Bootes nach einem langen Schlag die Cinque Terre entlang abends in Portofino ankam. Wir waren gerade bei Einpacken, als ich in der Dämmerung den herrlichen Zweimaster entdeckte. Hingerissen von der Begegnung ließ ich das halb aufgetuchte Großsegel vom Baum an Deck rutschen und spann ein Seemannsgarn von diesem herrlichen Schiff, bis nichts mehr zu sehen war, wir die letzten Bootslängen vorsichtig in das Naturhafen tuckerten und sogar einen Platz an der Mole fanden. Einmal nach Portofino segeln und dann noch «Orion» begegnen, schöner geht es kaum.

Wenn angucken beglückender als segeln ist

Vor einigen Jahren besuchte ich einmal den vorübergehenden «Altaïr»-Eigner, Autosammler, Häuser- und Bootsrestaurator Albert Obrist in seinem wunderbaren Haus oberhalb des Schweizer Skiorts Gstaad. Nach dem Mittagessen erzählte Obrist auf dem Balkon mit schönem Fernblick, dass er sich seinen Schoner lieber im Hafen aus der richtigen Perspektive anguckte, als ihn zu segeln. Segeln, wo meinte er wörtlich, fände er "zwar auch ganz schön, aber nicht so interessant". Das erschien mir damals seltsam. Ich fand es schräg und auch ein wenig dekadent. Heute, beim Blick von San Giorgio auf das große Ganze des privaten Kreuzfahrtschiffes mit dem unbescheidenen Namen «Orion of the Seas» kann ich es beinahe verstehen.

Es hilft bei solch einer Begegnung, wenn so ein Segelfestspiel komplett jenseits der persönlichen Reichweite liegt, weil es wohl allenfalls für die Barkasse in den Davits an der Backbordseite langen würde. So kann man sich «Orion» entspannt anschauen, sich für andere, die das Vergnügen an Bord haben freuen - und irgendwann den Logenplatz neben der Kirche von San Giorgio und den Hafen verlassen.

Orion of the Seas

Konstrukteur: Charles E. Nicholson
Werft/Baunummer/Baujahr: Camper & Nicholsons Gosport/# 191/1910
Bauweise: Teakplanken auf Stahlspanten
Länge über alles: 49,40 m
Länge über Deck: 44,80 m
Länge Wasserlinie: 27,50 m
Breite: 7,50 m
Tiefgang: 4,20 m
Verdrängung: 220 t
Großmast (verlängert): 53 m
Segelfläche: 1.200 - 2.250 qm
letzte Generalüberholung: 2003 - 5
Barkasse für 12 Personen


Stapellauf des America's Cuppers «Endeavour» 1934 in Gosport
Stapellauf des America's Cuppers «Endeavour» 1934 in Gosport © Camper & Nichsolsons Archive


Camper & Nicholsons

Die 1782 in Gosport gegründete Werft war lange erste Adresse englischen Yachtbaues. Hier liefen America's Cupper oder königliche Yachten wie der Drachen "Bluebottle" vom Stapel. In der Southamptoner Zweigstelle entstand die erste große Diesel-Motoryacht und später mit "Philante“ die heutige norwegische Staatsyacht "Norge“. Anfang der Siebzigerjahre beschäftigte C&N noch 1.250 Mitarbeiter und baute unter anderem robuste, weithin geschätzte Kunststoffyachten, die heute noch eine gute Wahl zum Fahrten- und Blauwassersegeln sind. 2001 wurde die Werft vom italienischen Modekaufmann Leonardo Ferragamo übernommen. Leider gelang es nicht, die „älteste und glamouröseste Yachtmarke der Welt“ mit dem Bau von Motorbooten im Retrostil zu reanimieren. Im Dezember 2005 wurde "C&N" geschlossen. Das von Jeremy Lines aufgebaute Archiv mit Unterlagen zu knapp 3 1/2 Tausend Booten wird heute vom italienischen Yachthistoriker Enrico Zaccagni in Italien mit einem lesenswerten Newsletter gepflegt. www.cnyachting.com



Mit dem Yachtmakler "Camper & Nicholsons International" und "Camper & Nicholsons Marinas Ltd.", einer Entwicklungs- und Betreibergesellschaft von Yachthäfen, gibt es zwei weitere Firmen mit ähnlichem Namen.

Eine wertvolle Quelle zur Yachtbaugeschichte
Eine wertvolle Quelle zur Yachtbaugeschichte © Swedesail

Lesenswert

Ian Dear, Consultant Editor Jeremy Lines: Camper & Nicholsons. Two Centuries of Yacht Building. Mit einem Index der 2002 C&N Werftbauten von 1821 bis 1999. Quiller Press London 2001, 282 Seiten. ISBN: 1899163646

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VG