Motoren und Technik5 min Lesezeit
Kein Leben auf der MARS
15 Meter langer Hybrid-Roboter fährt alleine über den Atlantik – autonom!
Unbemannte, autonom agierende Segelboote oder -roboter faszinieren Seefahrer und Wissenschaftler seit Jahrzehnten. Großes Ziel ist die Überquerung der Ozeane. Dabei sollen die Roboter im Dienste der Menschheit meteorologische, meeresbiologische und umweltspezifische Daten sammeln.
Von Michael Kunst, veröffentlicht am 26.07.2022, aktualisiert am 18.02.2023
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Immer mehr Segel- und Motorbootroboter sind auf den Ozeanen unterwegs.
- Manche fuhren bereits unbemannt von Kalifornien bis Hawaii oder über den Atlantik
- MARS sollte zunächst als segelnder Roboter den Atlantik bezwingen.
- Doch dann wurde aus dem Segel- ein Motor-Projekt. Das nach zwei Anläufen tatsächlich eine Transat schaffte.
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Wirklich lange Strecken konnten mit den bisher konstruierten Booten ohne Crew erst in wenigen Fällen zurückgelegt werden. Was nichts am Bastel- und Innovationseifer der «Shore-Crews» ändert, die sich immer wieder auf der ganzen Welt dem Thema widmen.
So haben die mittlerweile jährlich stattfindenden «großen» Events für Segelroboter wachsende Teilnehmerzahlen zu verzeichnen. Und immer mehr renommierte Universitäten unterstützen talentierte Studententeams, aus denen bereits das eine oder andere, vielversprechende Start-up-Unternehmen entstanden ist.
Wohl wissend, dass – ähnlich wie in der Automobilindustrie – zwar die Zukunft nicht unbedingt im vollständig autonomen Wasserverkehr liegen wird, eine gewisse weiterentwickelte «Intelligenz» bei Segel- und Motorbooten jedoch für Skipper und Crew von Vorteil sein dürfte. Und manche monotonen, wochen- und monatelangen Arbeiten auf hoher See können im Dienste der Menschheit und im Kampf gegen die Sünden derselben, durchaus von Robotern erledigt werden.
!Von Kalifornien nach Hawaii
Einen der bisher längsten Törns kann der kalifornische Segelroboter «SD1» für sich verbuchen. Der 5,80 m lange und 2,10 m breite Trimaran segelte unter dem Namen «Projekt Saildrone» im November 2013 von Kalifornien nach Kaneohe auf der hawaiianischen Insel Oahu. Das unbemannte Boot brauchte für die 2.100 Seemeileen 34 Tage, was ungefähr 2,5 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit entspricht. Immerhin 650 Seemeilen bewältigte der Segelroboter bei Windstärken über 35 Knoten.
Das damals federführende Unternehmen «saildrone» machte aus dieser Premiere ein Business: Seitdem segelten Segelroboter gleichen Namens mit unterschiedlichen Forschungsaufträgen über 80.000 Seemeilen datensammelnd etwa durch den Golf von Mexiko, die Beringsee und weit in den Atlantik.
Ebenfalls sehr enthusiastisch bringen sich die jeweiligen Teilnehmer in die seit 2008 durchgeführten «Microtransat Competition» ein. Hier schaffte es der Mini-Roboter "Sail Buoy SB MET" über 5.354 km von Ost nach West als bisher einziges autonomes Segelfahrzeug über den Atlantik. Doch nicht nur auf Langstrecken sind die Roboter unter Segeln aktiv, auch auf kurzer Distanz messen sie sich untereinander. So hat etwa die WorldRobotoc Sailing Championship 2019 in China immerhin fünf Teams am Start gesehen.
!Nur ein Hirngespinst?
In einer ganz anderen Liga bewegte sich dagegen das Projekt MARS der britischen Universität Plymouth. Schluss mit den «Modellbaubooten» tönte es aus England – nur mit wirklich großen Roboteryachten, die auch tatsächlich reichlich wissenschaftliche Hardware mitnehmen konnten, sei der Erfolg der Roboter auf dem Atlantik möglich. So sollte das «Mayflower Autonomous Research Ship» (MARS) beeindruckende 100 Fuß (33 Meter) lang werden und britischer Zukunfts- und Umweltforschung ein gebührendes Denkmal setzen.
Der entsprechend ambitionierte Entwurf der britischen Yacht-Design-Agentur Shuttleworth stellte zunächst einen Trimaran-Zweimaster dar, der mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 Knoten unter Segeln und maximal 12,5 Knoten unter elektrisch angetriebenem Motor unterwegs sein sollte.
Den Bootsdesignern ging es beim Entwurf dieser autonom segelnden Yacht jedoch erst in zweiter Linie um Geschwindigkeit und optimale Segeleigenschaften. Als primär wichtig wurden die Aspekte Sicherheit und Forschung eingestuft. So wollten die Wissenschaftler der Uni Plymouth hauptsächlich «eine Testumgebung für neue Navigationssoftware und neue Formen der Energieversorgung durch Solar-, Wellen- und Segeltechnik» auf der MARS untersuchen.
!Hybrid-Motoren statt Segel
Doch es kam 1. anders und 2. als gedacht. Aus der Mayflower wurde ein autonomer über Solarpaneele, Elektro und Diesel angetriebener Hybrid-Motor-Trimaran, der auf den für Künstliche Intelligenz (KI) doch zu anspruchsvollen Vortrieb durch Windkraft völlig verzichtete. Und auch bei der Länge machte man deutliche Kompromisse, verkürzte den Trimaran um die Hälfte – was allerdings immer noch eine beeindruckende Größe für ein autonom fahrendes Segelboot war und ist!
Zum 400. Jahrestag der legendären Mayflower-Transatlantiker-Überquerung hatte es ebenfalls nicht ganz gereicht. Die erste Atlantik-Überquerung der MARS sollte 2020 stattfinden, denn am 16. September 1620 stach der Dreimaster „Mayflower“ von Plymouth mit 102 Siedlern in See, die am 21. November nahe dem heutigen Ort Provincetown an Land gingen.
!Die zweite Mayflower auf dem Atlantik
Zwei Menschen starben damals während der Überfahrt, ein Kind wurde geboren. Die Reise gilt weithin als erste Besiedlungsfahrt durch Europäer gen Nordamerika, was allerdings historisch nicht richtig ist: Bereits im 16. Jahrhundert wurde Neufundland besiedelt und 1583 als älteste britische Kolonie durch die englische Krone in Besitz genommen. Ganz zu schweigen von den Wikingern, die bereits vor genau 1.000 Jahren Neufundland besiedelten.
Tatsächlich stach die „moderne Mayflower“, mit dem Projekt MARS, „erst“ im Mai 2022 in See. Und nach einigen technischen Rückschlägen hat das autonome Forschungsschiff Mayflower MARS den Atlantik erfolgreich überquert. Es legte 3.500 Meilen (5.600 km) zurück und kam am 5. Juni in Halifax, Nova Scotia, an.
!KI und globale Partner
Das Projekt brachte eine Reihe globaler Partner an Bord, darunter Nvidia, die gemeinnützige Meeresforschungsorganisation ProMare und IBM. Gemeinsam wurde ein KI-Kapitän entwickelt, der zusammen mit sechs KI-gesteuerten Kameras, 15 Edge-Computersystemen, mehr als 30 Sensoren, Navigationstechnik und einer Wetterstation das „Schiffchen schaukeln“ sollte.
Im Juni 2021 brach das führerlose Schiff zu seiner ersten epischen Reise auf, aber der Versuch wurde nach nur drei Tagen Fahrt mit durchschnittlich 7 Knoten über 450 Seemeilen wegen eines Problems mit dem hybriden Solar-Elektro-Diesel-Antriebssystem des Schiffs abgebrochen. Eine Ferndiagnose ergab, dass der Generatorfehler nicht ohne menschliches Zutun behoben werden konnte, so dass die Mayflower zur Basis zurückkehrte.
Am frühen Morgen des 27. April 2022 verließ die Mayflower erneut die Turnchapel Wharf in Plymouth Richtung Vereinigten Staaten. Nicht, wie ursprünglich geplant, nach Plymouth, Massachusetts, sondern diesmal zunächst nach Virginia und dann nach Washington.
!Rückschläge und Erfolge
Am 6. Mai trat erneut ein mechanisches Problem mit dem Generator auf, und es wurde beschlossen, das Schiff zur Untersuchung und Reparatur nach Horta auf den Azoren zu schicken. Wenige Tage später, nach den erforderlichen Basteleien, legte die Mayflower erneut ab.
Die verbleibende Reise über 2.000 Meilen schien problemlos zu verlaufen, bis am 28. und 29. Mai ein Problem mit dem Ladestromkreis für die Starterbatterien des Generators auftrat und die Mayflower nach Halifax in Nova Scotia, Kanada, umgeleitet wurde. Am Sonntag, dem 5. Juni, lief das KI-gesteuerte, autonome Boot dann in den Hafen ein.
Zwar war der Mayflower und dem MARS-Projekt keine autonome, KI-gesteuerte Nonstop-Überquerung des Atlantiks gelungen. Doch kann die Reise im Hinblick auf zukünftige KI-gesteuerte Projekte durchaus als Pioniertat angesehen werden. Ähnlich wie vor etwas mehr als 400 Jahren der legendäre Törn der Original-Mayflower!