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Praxis8 min Lesezeit

Das stehende Gut angucken

Wanten und Stagen sind Verschleißteile und gelegentlich zu erneuern

Das stehende Gut angucken
Mit erneuerten Wanten wird bei viel Wind unbesorgt gesegelt © Swedesail

Kennen Sie das? Sie sind bei herrlichem Segelwind unterwegs und haben gesetzt, was das Boot gerade noch verträgt. Es macht Spaß. Dennoch taucht die Frage auf, ob das Rigg hält.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 05.07.2017, aktualisiert am 13.10.2024

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Rigg-Know-how eines langjährigen Praktikers
  • welche Intervalle zum Wechseln einzuhalten sind
  • wie sich Alterung und Bruch ankündigen
  • was beim Auftakeln zu beachten ist
  • wie das Rigg unterwegs kontrolliert wird
  • wann Terminals „auf“ sind
  • wie preiswert gewechselt wird
  • warum Toggles beim Vor- und Achterstag nicht vergessen werden dürfen
  • warum die Bolzen mit den passenden statt irgendwelchen Splinten zu sichern sind

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Viele Segler sehen das sogenannte stehende Gut, gemeint sind Wanten und Stagen, als endlos haltbare Ausstattung ihres Bootes. Ganz einfach, weil „Edelstahl rostfrei“ lange gut aussieht und nach landläufiger Meinung ewig hält. In etwa so wie Kochtöpfe. Das ist leider nicht so. Da die Drähte an Bord im Laufe der Zeit ihre Elastizität verlieren, eines Tages ausgereckt sind und weil sie in Lee der durchhängenden Wanten über den Terminals oder Wantenspannern an ihrer absehbaren Bruchstelle biegen, ermüden sie durch die häufige Biegebeanspruchung. Jeder kennt das von der Büroklammer. Sie sollten auch wissen, dass Versicherer im Schadensfall prüfen, in welchem Zustand und wie alt Wanten und Stagen sind.

Gerade bei Wind, wenn Segeln besonders Freude macht, ist die Spaßbremsenfrage nach dem Alter und Zustand des Rigg nicht schön, aber berechtigt. Mastbrüche durch ausgereckte und ermüdete Wanten, nachlässig montierte Wantenspanner, überlastete Terminals oder Korrosion kommen vor. Viele Segler betrachten Edelstahl als endlos haltbares Material. Die Aufhängungen im Mast, sogenannte Terminals, die Wanten und Stagen selbst, auch die dazu gehörenden Spanner werden bei Wind und Seegang erheblich in Anspruch genommen. Das stehende Gut ist Verbrauchsmaterial und nach 15 Segelsommern oder 25.000 gesegelten Meilen vielleicht noch nicht komplett am Ende, dennoch vorsorglich zu wechseln.

Erkundigen Sie sich daher bei der Übernahme eines gebrauchten Bootes danach, ob es überhaupt jemals und gegebenenfalls wann es zuletzt gewechselt wurde. Idealerweise gibt es dazu Quittungen. Vage Erinnerungen und mündliche Zusagen zu diesem Thema sind leider Schall und Rauch. Ein kurzer Blick auf die bei den meisten Segelbooten und -yachten übliche Takelage zeigt, warum.

Es lohnt sich, die Grundlagen seines Riggs zu kennen
Es lohnt sich, die Grundlagen seines Riggs zu kennen © Seldén/Gotthardt

Von Exoten abgesehen besteht das stehende Gut üblicherweise aus sogenanntem 1 × 19 Nirostadraht. Dieses Material hat den Vorteil, dass es etwas nachgibt und so die Ruckbeanspruchung durch hartes Einsetzen des Bootes im Seegang oder Böen abgefedert an die Beschläge im Mast und ans Schiff abgibt. Das ist wichtig, weil der Ruck sonst jedes Mal ungebremst in die Beschläge an Deck, die Püttinge und darunter sitzenden Rüsteisen an Bord, im Mast an die Terminals, das sind die Aufhängungen in der Aluröhre, ankommt.

Bedauerlicherweise schwindet diese materialschonende Eigenschaft durch die Zugbeanspruchung des Stahls im Laufe der Jahre. Der Draht dehnt sich. Deshalb lassen sich Wanten immer weiter spannen. Irgendwann, erfahrungsgemäß nach den erwähnten 15 Jahren oder 25.000 Meilen, hat der Draht seine Elastizität verloren. Das kann zu Haarrissen und zum Bruch an den Beschlägen führen. Deshalb sollten Sie bei Übernahme eines gebrauchten Bootes fragen, ob die Wanten und Stagen schon mal erneuert wurden. Da sich kaum ein Bootseigner um dieses Detail kümmert, er möchte sein Boot ja in der kostbaren Freizeit benutzen, vielleicht auch, weil er die Arbeit und die Kosten scheut, sind Wanten und Stagen auf den meisten Booten uralt.

Never change a running system

In diesem Zusammenhang ist ein Blick in die Takeltechnik klassischer Yachten interessant. Bei einer Besichtigung und Probeschlag des William Fife Gaffelkutters „Mariquita“ in der Bucht von Palma de Mallorca war ich baff, wie lose die Wanten, es handelte sich im gespleißte und verzinke Ware, im Hafen und besonders in Lee herum baumelten. Skipper Jim Thom erklärte, dass es genau so sein muss. Die geringe Wantenspannung und die Dehnung ist zur schonenden Nutzung des traditionell geplankten Bootes mit Holzmast erwünscht.

Beim Wechsel des stehenden Guts taucht immer wieder die Frage auf, ob bei der Gelegenheit gleich auf höherwertige und dehnungsarme Ware, beispielsweise sogenanntes Dyform oder Rodmaterial, wie bei Regattabooten zu sehen, umgerüstet werden sollte. Bei einem Serienboot empfiehlt sich das nicht, weil es dafür nicht gebaut ist. Wie heißt es so schön? Never change a running system. Bleiben Sie daher bei der bewährten Machart.

Takeln Sie Ihr Boot bis zu den passenden Splinten richtig auf
Takeln Sie Ihr Boot bis zu den passenden Splinten richtig auf © Seldén/Gotthardt

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Sie ihre Wanten gelegentlich genau anschauen sollten. Im entlasteten Zustand baumeln sie lose in Lee. Ähnlich wie eine Büroklammer durch häufiges Biegen weich wird, biegt der Draht oberhalb der Pressung und ist nach endloser Wiederholung irgendwann so weit geschwächt, dass die ersten Litzen brechen. Dann ist es höchste Zeit für den Wechsel. Das ist beim Whitbread Round the World Race an Bord der siegreichen Swan 65 „Sayula II“ 1974 passiert. Bei einer der routinemäßigen Untersuchungen des Riggs wurde auf dem Atlantik entdeckt, dass die ersten Litzen des Oberwants oben aus der Pressung des Terminals heraus gezwirbelt waren. Entsprechend vorsichtig musste der letzte Schlag auf dem riskanten Bug gesegelt werden, um die Regatta überhaupt beenden zu können. Das Boot war mit mehreren Kenterungen in den gefährlichen südlichen Breitengraden des Indischen Ozeans und des Pazifik arg beansprucht worden.

Dieser Wantenspanner brach, weil ein Toggle fehlte
Dieser Wantenspanner brach, weil ein Toggle fehlte © Battermann & Tillery

Wer das Intervall zum Wechsel der Drähte einhält, passende Bolzen nimmt und sie mit geeigneten Stiftsplinten sichert, segelt sicher. Nehmen Sie nicht die häufig zu sehenden Rundsplinte, bei denen die Gefahr groß ist, dass sie herausrutschen, aufbiegen, Schoten oder Segel mit ihren hervorstehenden Enden beschädigen und die Crew verletzen. Unverzichtbar sind auch spezielle Gelenkstücke, in der Fachsprache Toggles genannt. Sie stellen sicher, dass sich der Endbeschlag des Stags oder der Want in den vorgesehenen Winkeln bewegen kann und der Bolzen nicht verkantet. Vergessene Toggles sind immer wieder Ursache von Mastbrüchen, nachdem das stehende Gut hinfällig geworden wurde.

Prüfen Sie bei auffrischendem Wind nach dem Maststellen oder der Wiederinbetriebnahme des Bootes, unbedingt auch nach Übernahme eines Ihnen in vieler Hinsicht technisch noch unbekannten Gebrauchtbootes, ebenso natürlich einer Werft-neuen Yacht, wie der Mast beim am Wind-Kurs steht. Das geht am besten, wenn Sie am Mast lehnend möglichst dicht die Maströhre entlang nach oben gucken. Da entdecken Sie jede Krümmung oder Welle sofort. Der top getakelte Mast, bei dem Vorstag und Oberwant an der Mastspitze befestigt sind, sollte gerade stehen. Sogenannte geteilt getakelte Masten, in der Fachsprache auch Partialriggs genannt, sollten bei angezogenem Achterstag in einer gleichmäßigen Biegung nach hinten gekrümmt sein. Soweit es eine leichte Biegung seitwärts gibt, sollte sie in einer weitgehend gleichmäßigen Krümmung verlaufen.

Mit solch einem Masttrimm können Sie es auch bei ruppigen Bedingungen „krachen“ lassen. Ich schaue mir jedes Frühjahr nach dem Auftakeln und Trimm des Mastes bei den ersten mit Belastung und entsprechender Krängung gesegelten Schlägen den Mast an. Hängt er irgendwo durch? Für Wellen oder Dellen ist die Maströhre nicht gebaut. Ein welliger Masttrimm lässt sich mit nachträglich justierten Unter-, Mittel- oder Oberwanten beseitigen. Schwergängige Spanner lassen sich entlastet in Lee von Hand am besten nachziehen. Damit Sie den Masttrimm nicht jedes Frühjahr neu erfinden müssen, empfiehlt es sich, die jeweilige Wantenspannerstellung mit einem Maßband auszumessen, die Abstände zu notieren und die bekannten Längen dann einzustellen. So muss das nicht jedes Frühjahr neu „erfunden“ werden. Es spart eine Menge Arbeit und Zeit. Das lohnt sich auch, weil der Masttrimm lediglich einer von vielen Punkten beim Auftakeln und den ersten Schlägen jedes Frühjahr zu Saisonbeginn ist.

Das Heft gibt es zum Download und als Booklet
Das Heft gibt es zum Download und als Booklet © Seldén-Gruppe

Tipps zum Masttrimm und Handhabung der Wantenspanner

  • Spannen Sie die Wanten mit Gefühl. Denken Sie dabei nicht nur an den Mast, sondern auch an das Boot, das Sie unter dem Hintern haben. Knackende Schotten oder Püttinge signalisieren, dass Sie übertreiben
  • drehen Sie die letzten Gewindegänge am entlasteten Leewant des bei 2–3 Windstärken mäßig belasteten Riggs herunter
  • weil Schraubenschlüssel beim Segeln auf dem abschüssigen Deck in Lee flink über Bord gehen, arbeiten Sie zu zweit. Einer reicht die passenden Schlüssel an, kontert und kontrolliert mit dem Bandmaß, einer dreht den Wantenspanner runter
  • damit die Spanner möglichst gewindeschonend bewegt werden, empfiehlt es sich auch, das Rigg im Herbst über die Leewanten beim letzten Schlag unterwegs zum Winterlager zu entlasten. Der Rest wird dann im Hafen von Hand leichtgängig losgedreht
  • fetten Sie die Gewinde, zum Beispiel mit Propellerfett
  • schützen Sie die Gewinde an den Terminalenden der Wanten beim Abtakeln mit drauf gedrehten Muttern oder angebundenen Lappen. Es lässt sich nicht vermeiden, dass sie beim Mastlegen und Abnehmen vom liegenden Mast über den Boden des Winterlagers geschleift werden

Titel der aktuellen Seldén-Mastbroschüre
Titel der aktuellen Seldén-Mastbroschüre © Seldén-Gruppe

Die Gewinde der Wantenspanner sollten sauber gehalten und alljährlich mit wasserfestem Fett eingerieben werden, sonst verschleißen sie vorzeitig. Torsten Rust, Sachverständiger der Battermann & Tillery Global Marine GmbH, erläutert: «Selbst bei bester Pflege und Nutzung hochwertiger Legierungen sind die Standzeiten der Gewinde begrenzt. Empfohlen wird ein Wechsel nach 8 bis 10 Jahren, bei intensiver Nutzung früher.»

Von diesem verschlissenen Gewinde riss die Wantenspannerhülse ab
Von diesem verschlissenen Gewinde riss die Wantenspannerhülse ab © Battermann & Tillery

Auch die in den Aluminiummast heute üblicher Machart eingelassenen Aufhängungen für die T-Terminals der Wanten sollten auf Verschleißspuren wie ausgemergelte Zugaufnahmen und etwaige Haarrisse hin geprüft werden. Für den handwerklich geschickten Eigner ist der Wechsel der Bleche mit dem richtigen Werkzeug und Material (Bohrmaschine, Durchschlag, Neuteil, passende Nieten aus der Speziallegierung namens „Monel“ samt Nietzange) eine Sache von Minuten.

Es sind Kleinigkeiten wie vertauschte Bolzen, nicht zum Bolzen passende Splinte oder verschlissenes Zubehör, das bei viel Wind über die Sicherheit entscheidet. Gerät das Schiff nach einem Mastbruch in Ufernähe bei auflandigem Wind in die Brandung, ist es wahrscheinlich weg. Bestenfalls kommen Sie, Ihre Familie oder Segelfreunde mit dem Schrecken davon. Die Beseitigung des Schadens wird ein teurer Spaß (neues Rigg, neue Segel). Oft ramponiert der gebrochene Mast in offener See das Schiff.

Die Spannung der Ober-, Mittel- und Unterwanten ist aufeinander abgestimmt
Die Spannung der Ober-, Mittel- und Unterwanten ist aufeinander abgestimmt © Swedesail

Als Eigner eines gängigen Markenbootes wenden Sie sich am besten an den Bootshändler. Er sollte die Maße kennen und Ihnen die Drähte mit den passenden Terminals (Endstücken) fertig konfektioniert, in der passenden Länge beschaffen. Wenn Ihnen der Wechsel des gesamten stehenden Guts auf einen Rutsch zu aufwendig und teuer erscheint, machen Sie es in Etappen. Zunächst die Wanten, später die Stagen.

Eine gute Gelegenheit dazu ist das Einwintern des Bootes im Herbst. Da wird das stehende Gut ohnehin vom Mast abgenommen. Statt es an Bord zu verstauen, legen Sie es in den Kofferraum, bringen Sie es Ihrem Takler. Machen Sie es im Herbst oder Winter, nicht im Frühjahr, wenn beim Takler „der Baum brennt“. Verwahren Sie die Quittungen der Takelarbeiten für den unwahrscheinlichen Fall eines Schadens und für denjenigen, der eines Tages mal Ihr Boot kauft.

Ich empfehle das 90-seitige Heft des Mastenbauers Seldén mit Hinweisen zum Thema. Die Schweden haben das Metier ausgezeichnet dokumentiert. Dieses DIN-A5-Heft sollten Sie an Bord haben, auch wenn Sie keinen Mast des angesehenen Herstellers besitzen. Sie können sich die Unterlage auch über die Homepage des Mastenbauers oder bei der Hamburger Vertretung Gotthardt herunterladen.

Drucken Sie sich die relevanten Themen am besten aus und nehmen Sie diese mit zu den Bootsunterlagen an Bord. Nach meiner Erfahrung ist es besser, solche essenziellen Sachen schwarz auf weiß in Ruhe analog zu lesen.

Die Tipps des Mastenbauers Seldén lohnen sich für jeden Segler
Die Tipps des Mastenbauers Seldén lohnen sich für jeden Segler © Seldén/Gotthardt

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