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Osmose: Ruhig bleiben

Hinweise zum meist hochgespielten Reizthema Nr. 1 bei Kunststoffbooten

Osmose: Ruhig bleiben
Wie stehts mit dem Unterwasserschiff beim Kunststoffboot? © www.shutterstock.com / RistoH

Ein Thema, das jeden Interessenten, Käufer oder Eigner eines Kunststoffboots beschäftigt, ist die Osmose. Sie wird meist als Bläschenkrankheit oder „Gfk-Pest“ dramatisiert. Bereits diese alarmierenden, schaurigen Begriffe irritieren. Sie machen Angst.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 04.08.2014

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • warum Sie sich vom Reizthema Osmose nicht verunsichern lassen sollten
  • worauf beim Bootskauf hinsichtlich Osmose zu achten ist
  • wie bei den ersten Blasen am Unterwasserschiff zu reagieren ist

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Serienboote sind meist aus Massivlaminat gebaut. Ihr Rumpf besteht aus Glasfaser und Harz. Er ist mit einer dünnen, speziell gefärbten Gelcoat-Schicht vom Wasser getrennt.

Diese Schicht kann zu lange im Wasser gelegen haben. Das Gelcoat kann in falscher Zusammensetzung angerührt worden oder zu dünn sein. Es kann alt und spröde geworden sein, bereits Risse haben. Dann ist Wasser ans Laminat gelangt und hat sich in etwaigen Hohlräumen als Wasserdampf ausgebreitet. Blasen haben sich gebildet. Das Boot hat oder bekommt Pusteln - und der Eigner spätestens dann Pickel.

Dieser schleichende Prozess wird durch versehentlich einlaminierte Luftblasen oder Glasfasern begünstigt, die nicht komplett von Harz umschlossen sind. Auch tragen minderwertige Harze oder Glasfaser zur Osmose bei. Ein Liegeplatz in warmem Süßwasser beschleunigt Osmose ebenso wie fehlende Trockenzeiten für den Rumpf an einem Landstell- oder Winterlagerplatz.

Problematisch wird es, wenn die Wasserdampf-Blasen in den Hohlräumen das Laminat schwächen. Dann ist das Thema ernst zu nehmen. Allerdings wird es von interessierten Kreisen (Gutachtern, Reparaturbetrieben) auch gezielt hoch- und groß geredet. Mit fehlendem Wissen und entsprechender Verunsicherung werden gute Geschäfte gemacht. Man kennt das von der alten Frau in der Autowerkstatt. Ihr lässt sich fast alles erzählen, sprich verkaufen.

Man muss wegen einer Macke im Gelcoat, Wasser im Laminat und angeblich drohender Osmose nicht gleich seinen Sommertörn abbrechen. Genau solche Horrorszenarien malen gewiefte Servicebetriebe dem ahnungslosen Eigner aber an die Bordwand. Denn sie möchten das Boot kostenpflichtig in der Werft behalten: Sie wollen einen Liege-/oder Stellplatz, die Krangebühr und die Reparatur abrechnen. Die Branche lebt nicht vom praxisnahen Rat, sondern von der kostenpflichtigen Maßnahme. Auch wenn diese nicht nötig ist.

Ein kleiner aktueller Schaden beispielsweise kann zunächst provisorisch „geflickt“ werden. Trocknen (mit dem Heißluftgerät oder Föhn), etwas Epoxidspachtel oder einige Pinselstriche einer Mischung aus Epoxidharz- und härter – fertig. Dazu braucht man ein paar Stunden Ruhe, ein Marmeladenglas, ein Rührstäbchen und einen Pinsel. Fertig.

Anders sieht die Sache beim Kauf eines gebrauchten Kunststoffbootes aus. Hier gilt es herauszufinden, in welchem Revier das Boot wie viele Monate jährlich im Wasser lag.

Am besten sieht man sich das Objekt auf dem Hänger oder an Land aufgepallt gemeinsam mit einem Sachverständigen an. Aber Vorsicht bei der Auswahl des Experten! Ist er wirklich unabhängig oder bestimmten Partnern/Interessen verbunden? Bereits mit der Auswahl eines Fachmanns stellt man sein Boot auf eine bestimmte Helling. Dieses Gleis führt meist direkt in die Halle des befreundeten Bootsbauers. Auch dann, wenn es nicht nötig ist. Deshalb aufpassen, wem man sich anvertraut. Es gibt da - wie in der Autowerkstatt auch – schlechte Berater.

Der vorausschauende Käufer eines Gebrauchtbootes plant die Arbeitszeit und Materialkosten, oder das Budget einer fachmännischen Osmose-Sanierung von vornherein mit ein. Auch wenn die Maßnahme vorerst noch nicht, sondern erst in fünf Jahren nötig ist.

Man kann sich aber auch selbst ein Bild machen und die vorhandenen Antifouling-Anstriche als erste Maßnahme im nächsten Winterlager selbst entfernen. Man legt das Gelcoat vorsichtig frei und sieht sich das Unterwasserschiff in Ruhe an. Man lässt den Rumpf gründlich bis weit ins Frühjahr oder den Frühsommer hinein trocknen. Man beschichtet ihn vorsorglich selbst mit einigen Lagen eines geeigneten Produkts. Dann hat man lange Ruhe.

Hat das Boot tatsächlich Osmose, kann man es entweder für viel Geld (mehrere Tausend Euro) sanieren lassen oder in eigener Regie mit gezielt eingekaufter Hilfe (Sandstrahlen oder Abhobeln des Gelcoat, Spachteln, Schleifen, Malen) für einen Bruchteil des Geldes selbst machen. Das ist eine Frage des handwerklichen Geschicks, des Budgets und der Zeit.

Es ist leider eine unangenehme, sogar gesundheitsschädliche Überkopfarbeit mit feinem Schleifstaub, Lösungsmitteln und üblen Dämpfen.

Übrigens kann man sich die Arbeit auch einteilen. Erst wird die eine Seite des Unterwasserschiffs saniert, im nächsten Jahr die andere. So gerät man nicht unter Zeitdruck und erledigt die einzelnen Schritte mit der gebotenen Sorgfalt.

Dabei sollte die generelle Substanz des Bootes, die Bauweise, Ausstattung, Pflege und Renommee, nicht zuletzt die persönliche Begeisterung fürs Boot die Arbeit und Kosten aufwiegen.

Es ist einem Boot nicht ohne Weiteres anzusehen, ob es ein Osmose-Kandidat ist. In das Laminat selbst kann man schlecht hineingucken.

Der vorsichtige Bootskäufer erkundigt sich daher vor dem Kauf eines gebrauchten Bootes hinsichtlich der Werft/Marke, zum Fabrikat oder der speziellen Serie bei anderen Eignern zum Thema Osmose.

Auch ein Blick in Bootsforen oder eine gezielt gestellte Frage kann orientieren. Man sollte aber die unterschiedlich qualifizierten Hinweise und Meinungsäußerungen zu filtern wissen. Im Internet nicht ohne Weiteres erkennbar, wer aus welchen Motiven, was postet - und ob er überhaupt Ahnung hat.

Im Vergleich zu Holz, Stahl oder Aluminium ist Kunststoff ein außerordentlich vielseitiges, wartungsarmes und zugleich bei einem Minimum an Pflege dauerhaft ansehnliches Material. Bei gelegentlicher Politur glänzt das Gelcoat auch nach zwei oder drei Jahrzehnten fast wie neu.

Bei entsprechenden Voraussetzungen lässt sich ein Kunststoffboot jahrzehntelang ohne Osmose nutzen. Deshalb ist und bleibt es vorerst das beste Material für alle, die für ihr Hobby nicht zum Bootsbauer werden wollen. Also: nicht verrückt machen lassen!

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VG